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Stoffpreisgleitklausel bei Bauvergaben ein „Muss“?

Die Stoffpreisgleitklausel ist im Baurecht schon länger ein Thema und nun erreicht der aktuelle „Dauerbrenner“ der baurechtlichen Beratung auch das Vergaberecht:

Im Züge des Ausbruches des Krieges in der Ukraine und der hiermit verbundenen, gravierenden Preisschwankungen auf dem Weltmarkt hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) am 25.03.2022 ein Rundschreiben veröffentlicht, in welchem Sonderregelungen in Bezug auf die Vereinbarung von Stoffpreisklauseln sowohl für Vergabeverfahren wie auch für bestehende Verträge getroffen worden sind. Ähnliche Rundschreiben und Erlasse folgten dann auch in einer Vielzahl der Bundesländer für Vergaben auf Landesebene.

Ungeachtet dieser Vorgaben/Empfehlungen kam es jedoch regelmäßig und bis dato immer wieder vor, dass Auftraggeber ohne entsprechende Preisgleitklauseln ausschreiben.

Über die Folgen des Fehlens einer Stoffpreisgleitklausel im Lichte dieses Runderlasses hatte die VK Thüringen (Beschl. v. 03.06.2022 – 5090-250-4002/779) zu entscheiden.

Sachverhalt:

Mitte Februar des Jahres 2022 schrieb die Auftraggeberin unter einer Angebotsfrist bis zum 24.03.2022 einen Bauauftrag zur Herstellung von elektrotechnischen Anlagen aus. Die Antragstellerin reichte Fristgerecht ein Angebot ein.

Im Zuge der Auswertung wurde die Antragstellerin ausgeschlossen, da ihr Angebot von den Vertragsunterlagen abwich. Die Antragstellerin rügte den ihr im Vorabinformationsschreiben gemäß § 134 GWB mitgeteilten Ausschluss und suchte einen Rechtsanwalt auf, der Mitte Mai die Vergabeentscheidung erneut bei der Auftraggeberin rügte. In diesem Schreiben wurde erstmalig das Fehlen einer Stoffpreisgleitklausel gerügt: Um diese hätte die Auftragsgeberin aufgrund des durch sie umgesetzten Rundschreibens des BMWSB nachträglich die Vergabeunterlagen ergänzen müssen. Durch die Durchführung des Verfahrens ohne eine Preisgleitklausel werde dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann, aufgebürdet und folglich gegen die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A verstoßen. Die Auftragsgeberin war der Ansicht, die Antragstellerin ihrer Rügeobliegenheit nicht rechtzeitig nachgekommen, da sie bereits am 05.04.2022 Kenntnis von dem Rundschreiben des BMWSB hatte.

Entscheidung:

Die Vergabekammer folgte dem Vortrag der Antragstellerin und stellte fest, dass das Vergabeverfahren durch das Fehlen einer Stoffpreisgleitklausel vergaberechtswidrig war und die Antragstellerin dadurch in eigenen Rechten verletzt worden ist: Die Antragsgegnerin wurde verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Angebotsabgabe zu versetzen und – sofern an der Beschaffungsabsicht festgehalten wird – die Unterlagen im eine Stoffpreisgleitklausel zu ergänzen.

Die VK sieht in der sehr dynamischen Preisentwicklung des Marktes auf Grund des Krieges in der Ukraine und der weltweiten Sanktionen gegen Russland durch das Fehlen einer Preisgleitklausel die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 3 EU als erfüllt an. In der Folge der Ereignisse hätte die Ausschreibung nach Ansicht der Vergabekammer unter Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel erfolgen müssen. Wörtlich führt sie hierzu aus:

Die Bieter haben keinen Einfluss auf die Kriegssituation in der Ukraine sowie auf die weltweiten Sanktionsfolgen und die dadurch ausgelöste und noch anhaltende dynamische Entwicklung der Preise für viele Baustoffe. Den Bietern ist aufgrund dieser Entwicklung eine kaufmännisch vernünftige Preiskalkulation unzumutbar erschwert bzw. unmöglich gemacht worden. Die Bieter der vorliegenden Ausschreibung sind daher derzeit einem ungewöhnlichen Wagnis ausgesetzt, das durch die bislang vom AG abgelehnte Aufnahme einer Stoffpreisklausel (Formblatt 225 VHB) in die Vergabeunterlagen beseitigt werden kann.

In dem Erlass des BMWSB wurde angeordnet, Stoffpreisgleitklausel auch in laufende Verfahren einzubeziehen, sodass auch der Antragsgegnerin grundsätzlich klar gewesen sein musste, dass eine Ergänzung der Unterlagen noch möglich war. Überdies war die Rüge der Antragstellerin auch nicht verspätet, denn die Notwendigkeit der Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel war nach Ansicht der Vergabekammer ohne eine anwaltliche Beratung nicht erkennbar.

Hinweise für die Praxis:

Der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen gehören leider noch nicht der Vergangenheit an. Das Rundschreiben, welcher die Grundlage der Entscheidung bildete, wirkt sich auch noch heute aus: Die inhaltlichen Regelungen des Rundschreibens gingen unter Einarbeitung von einigen kleineren Änderungen in dem Bundeserlass vom 22.06.2022 auf. Durch den Bundeserlass vom 06.12.2022 wurden diese Sonderreglungen zuletzt bis zum 30.06.2023 verlängert.

Auch im Unterschwellenbereich sollten stets die Landesregeln und insbesondere die aktuellen Vergabeerlasse und Rundschreiben geprüft werden: Auch dort finden sich häufig entsprechende Vorgaben.

Ob allerdings eine Vergabekammer auch betreffend einen späteren Sachverhalt gleichermaßen entschieden hätte, ist fraglich. Wie auch vom BMWSB selbst festgestellt, ist auf den Weltmärkten ein Stabilisierungstrend zu erkennen. Die sehr dynamische Situation vom März dieses Jahres besteht in der Art nicht mehr. Dem Erlass von 22.06.2022 ist hinzukommend zu entnehmen, dass eine nachträgliche Einbeziehung einer Stoffpreisgleitklausel in laufende Vergabeverfahren nicht ausnahmslos erfolgen müsse, sondern in begründeten Ausnahmefällen auch hiervon abgesehen werden könne.

Zu beachten ist hinzukommend, dass § 7 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A nur für Bauvergaben gilt:

Die VK Bund hat in einer jüngeren Entscheidung (VK Bund, Beschluss vom 19.10.2022 - VK 1-85/22) bestätigt, dass bei Lieferverträgen die Rechtslage nicht anders als vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges zu bewerten sei. Hiermit erteilt sie einem etwaigen Anspruch der Bieter auf eine Preisgleitklausel abseits von Bauvergaben eine klare Absage, was angesichts der Preissteigerungen auch für andere Rohstoffe (z. B. Papier, Lebensmittel etc.) nicht zwangsläufig zu erwarten war.

Ob eine Preisgleitklausel in ein vergaberechtliches Verfahren einbezogen werden sollte, ist vom Auftraggeber stets einzelfallbezogen zu prüfen. Mit entsprechenden Ersuchen von Bietern während eines laufenden Vergabeverfahrens sollte sich der Auftraggeber entsprechend ergebnisoffen und fair auseinandersetzen und gegebenenfalls die Vergabeunterlagen um eine Preisgleitklausel ergänzen. Vor dem Hintergrund, dass auch der Auftraggeber auf Angebote angewiesen ist, sollten diese Überlegungen stets und unabhängig davon erfolgen, ob es sich um eine Bauleistung handelt oder nicht.

Bieter können eine Preisgleitklausel aktuell nur im Rahmen von Bauvergaben „erzwingen“. Allerdings sollten sich Bieter nicht darauf verlassen, dass auch andere Vergabekammern die Präklusionsregeln so großzügig auslegen, wie die Vergabekammer Thüringen. Spätestens seit dieser Entscheidung müssen Bauunternehmen dieses Problem kennen, erkennen und frühzeitig rügen.

Der Beitrag wurde mit Unterstützung von Frau Monika Wojciechowska erstellt, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Frankfurter Standort von Leinemann Partner tätig ist.

Autor

Jonas Deppenkemper

Jonas Deppenkemper

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