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Vergabeverzögerung: kein Ersatz von Vorhaltekosten nach § 642 BGB

BGH, Urt. v. 26.04.2018, VII ZR 81/17

Vor rund einem Jahr sprach das OLG Rostock mit Urteil vom 14.03.2017 (Az. 4 U 69/12) einem Auftragnehmer einen Anspruch auf Ersatz seiner Vorhaltekosten vor einer verzögerten Zuschlagserteilung zu. Der Aufraggeber (AG) war mit seiner Revision gegen das Urteil nun erfolgreich. Der BGH hob diese Entscheidung auf.

Der Sachverhalt war wie folgt: Ein Straßenbauamt schreibt getrennt von den Streckenbauarbeiten der grundhaften Ausbau der A 19 die Leistungen der Verkehrsführung und Verkehrssicherung aus. Die Klägerin ist erstplatzierte Bieterin und soll den Auftrag erhalten. Der Ausführungsbeginn wird vorbehaltlich der Zuschlagserteilung auf das Bauhauptlos für den 01.09.2004 vorgesehen.

Die Angebotsbindefrist wird fünfmal verlängert. Hintergrund waren zunächst monatelang andauernde Aufklärungen mit dem erstplatzierten Bieter des Bauloses, danach dessen Ausschluss und sodann ein von ihm eingeleitetes, erfolglos endendes Vergabenachprüfungsverfahren. Einen Tag vor Ablauf der letzten Bindefristverlängerung zum 31.03.2006 (!) erhält die Klägerin schließlich den Zuschlag. Schon seit dem Jahr 2005 hatte sie ihre für diesen Auftrag vorgehaltenen Wandelemente soweit möglich auf anderen Baustellen eingesetzt. Als schließlich der Zuschlag kam, musste sie jedoch mangels eigener Verfügbarkeit einen Nachunternehmer beauftragen. Mit der Klage fordert sie nun nicht etwa die Mehrkosten des Nachunternehmers (die wurden bezahlt), sondern die Vergütung der Vorhaltung jener Gleitwandelemente, die im Vergabeverzögerungszeitraum nicht anderweitig eingesetzt werden konnten. Auch hier bringt der Prozess ein Auf und Ab: Das LG weist die Klage komplett ab, vor dem OLG gewinnt der AN alles, beim BGH kommt dann die endgültige Niederlage.

Das Urteil

Der BGH stellt klar, dass die Vorhaltekosten vom klagenden AN nicht als Kosten einer Bauzeitverschiebung infolge verzögerter Vergabe geltend gemacht werden. Ebensowenig geht es um die Kosten einer nach Vertragsschluss eingetretenen Veränderung von Leistungspflichten des AN. Vielmehr stützt der AN seinen Anspruch auf die Störung der Rechtsbeziehung vor Zuschlagserteilung, denn er macht die Kosten für die in Erwartung des Auftrags vorgenommene Vorhaltung der auftragsnotwendigen Gleitwände über die Bindefristverlängerungen hinweg geltend (soweit sie nicht anderweitig eingesetzt werden konnten). § 642 BGB kommt nach Ansicht des BGH für einen solchen Anspruch für den Zeitraum vor Vertragsschluss nicht in Betracht. Deswegen hatte das OLG Rostock als Vorinstanz den Anspruch in analoger Anwendung von § 642 BGB befürwortet. Auch eine Analogie lehnt der BGH jedoch ab, denn vor Zuschlag könne keine Mitwirkungsobliegenheit des AG bestehen.
Der Anspruch des AN auf Vergütungsanpassung wegen verzögerter Vergabe betrifft aber nur Kosten, die nach Zuschlag entstanden sind, um die es hier nicht geht. Der AG gerät nicht etwa in Annahmeverzug, nur weil im Zeitpunkt des Zuschlags die Ausführungsfristen bereits verstrichen sind. Dafür greift der Anspruch auf Mehrvergütung infolge verzögerter Vergabe (BGH, Urt. v. 11.05.2009, VII ZR 11/08, S. 23, Leinemann, VOB/B-Kommentar, 6. Aufl., § 2 Rn. 269ff.). Die Fristen sind ebenso wie der Preis der ausgeführten Leistung ohnehin anzupassen. Die Vorhaltung von Material während der Bindefristverlängerung und vor Zuschlag ist nach BGH-Ansicht eben nur als Aufwand der Vertragsakquise anzusehen und liegt somit im Bieterrisiko.

Dennoch besteht ein Problem in der Situation, dass ein Bieter als Erstplatzierter den Auftrag erhalten wird und bei Verzögerungen des Zuschlags vor dem Problem steht, ob er Personal und Gerät unproduktiv vorhält oder Füllaufträge ausführt. Wenn dann plötzlich der Zuschlag erfolgt, kann es zu Problemen mit der Verfügbarkeit von Material und Gerät kommen. Hier hilft die Klarstellung des BGH: Der AN musste seine Wandelemente nicht über den gesamten Zeitraum der verzögerten Vergabe vorsorglich vorhalten – etwa um die Verzögerungsmehrkosten des AG zu mindern. Damit ist nun klar, dass keine Pflicht eines Bieters besteht, schon vor Zuschlag die Interessen des AG (mit) wahrzunehmen. Er kann über seine Produktionsmittel frei disponieren und solche Mehrkosten, die daraus entstehen, dass er bei Zuschlag dann - anders als zunächst geplant - teurere Nachunternehmer und Lieferanten statt eigener Kräfte einsetzen muss, im Rahmen der Mehrkosten der verzögerten Vergabe vom AG beanspruchen.

Autor

Prof. Dr. Ralf Leinemann

Prof. Dr. Ralf Leinemann

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