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§ 134 GWB – „Zitterfrist“ kann einseitig verlängert, jedoch nicht verkürzt werden

Vorabinformationsschreiben müssen beinhalten: Namen des Unternehmens, welches den Zuschlag erhalten soll, die Gründe der Nichtberücksichtigung, aber auch den frühestmöglichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses.

Gerade zur Weihnachtszeit rückt das Thema der Fristen wieder in den Fokus der AnwältInnen. Für sich dem Ende neigende Vergabeverfahren bedeutet dies für wartende Bieter häufig noch ein rechtzeitiges Weihnachtsgeschenk durch Zuschlagserteilung vor den Feiertagen. Aber Achtung, möglicherweise muss das Weihnachtsgeschenk im Nachprüfungsverfahren verteidigt werden.

Mit dem immer wieder auftauchenden Vergaberechts-Klassiker – der Stillhaltefrist gemäß § 134 GWB – hat sich die VK Lüneburg (Beschluss vom 08.05.2023, VgK-8/2023) einmal mehr und noch bei milderen Temperaturen beschäftigt:

Der Fall

Nach einer europaweiten Ausschreibung reichte der unterlegene Bieter nach erfolgloser Rüge einen Nachprüfungsantrag gegen die Zuschlagserteilung an die Beigeladene ein. Neben dem Vortrag der falschen Bewertung der Qualität, griff er zudem die unwirksame und verfrühte Zuschlagserteilung an.

Die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin am 03.02.2023 darüber, dass sie den Zuschlag nicht erhalte, da sie nicht das wirtschaftlichste Angebot eingereicht habe. Als Begründung wurde die Punktzahl der Beigeladenen genannt. Zudem teilte Sie mit, dass die Beigeladene den Zuschlag am 31.03.2023 erhalten solle.

Nach der unbeachtet gelassenen Rüge erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen am 14.02.2023 den Zuschlag. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen im Vergabenachprüfungsverfahren.

Entscheidung

Mit Erfolg.

Zwar enthalte das Vorabinformationsschreiben alle notwendigen Informationen gem. § 134 Abs. 1 GWB (Name des Unternehmens, welches den Zuschlag erhalten soll; Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung; frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses), allerdings habe die Antragsgegnerin den von ihr selbst gesetzten Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 31.03.2023 nicht abgewartet und am 14.02.2023 den Zuschlag erteilt. Hierdurch wurde zwar die 10-tägige Mindestfrist (bei elektronischem Versand) gem. § 134 Abs. 2 GWB eingehalten, jedoch hat die Antragsgegnerin diese Frist durch Angabe, den Zuschlag erst am 31.03.2023 erteilen zu wollen, eigenständig verlängert. Eine Zuschlagserteilung vor Ablauf der selbst gesetzten Frist hat nach Ansicht der VK Lüneburg die Unwirksamkeit gem. § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB zur Folge.

Denn bei § 134 Abs. 2 GWB handele es sich um eine Mindestwartefrist und keine gesetzliche Frist, sodass diese von Seiten der Auftraggeber beliebig verlängert werden kann. Sofern eine verlängerte Wartefrist dann auch dem unterlegenen Bieterkreis mitgeteilt wird, wird ein Vertrauenstatbestand geschaffen. Dies, da die mitgeteilte Wartefrist für den unterlegenen Bieter eine Rechtsschutzgewährleistung bedeutet, die man nicht erst „schenken“ und dann wieder nehmen könne.

Demnach wurde die Antragsgegnerin zur Zurückversetzung vor Zuschlagserteilung verpflichtet. Die VK gab an, dass die Vorabinformationsschreiben an sich nicht fehlerhaft waren, lediglich der Zeitpunkt des Zuschlages vor Ablauf der §134-Stillhaltefrist. Im Übrigen konnte die Wertung nicht angegriffen werden, sodass eine weitere Zurückversetzung zugunsten der Antragsgegnerin ausblieb.

Fazit

Was bedeutet diese Entscheidung für die Praxis? Hier müssen zwei Perspektiven betrachtet werden:

Wenn man durch die Brille des Auftraggebers schaut, so sollte man im Vorabinformationsschreiben die Zuschlagserteilung immer nach Ablauf der Mindestfrist von 10 Tagen datieren, denn letztlich kann man den Vertrag auch später schließen, ohne jedoch gegenüber den unterlegenen Bietern einen Vertrauenstatbestand zu schaffen.

Durch die Brille des unterlegenen Bieters sollte man auch nach Ablauf der Wartefrist von 10 Tagen rügen und Nachprüfungsanträge in Erwägung ziehen, solange das Datum des Vertragsschlusses nicht erreicht ist, denn eine vorherige Zuschlagserteilung würde nach zutreffender Ansicht der VK Lüneburg zu einem unwirksamen Vertrag gemäß § 135 GWB führen. Aber Achtung: Ein Vergabenachprüfungsverfahren allein begründet mit einem Verstoß gegen § 134 GWB führt (allenfalls) zu einem „Pyrrhussieg“; ohne materiell-rechtlichen Vergaberechtsverstoß, der binnen der Fristen des § 160 Abs. 3 GWB zu rügen ist, lohnt sich ein Vorgehen in aller Regel nicht (mehr).

Und mit Blick auf die Weihnachtszeit:

Auch, wenn die Wartefrist grundsätzlich mindestens 10 Tage betragen muss, ist es zumindest dann, wenn einem Bieter faktisch weniger als vier oder fünf Arbeitstage verbleiben, die Frist zu verlängern (vgl. VK Südbayern, Beschluss vom 04.08.2022 - 3194.Z3-3_01-22-1). Auftraggeber sollten dies bei den in der Praxis doch recht beliebten Vorabinformationen am letzten Werktag vor den Feiertagen, entsprechend berücksichtigen.

Autor

Sabrina Stahler (geb. Hißting)

Sabrina Stahler (geb. Hißting)

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