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Treuwidrigkeit ist nicht gleich Treuwidrigkeit: Zu den unterschiedlichen Voraussetzungen von Einwendungen gegen die Abrechnung von Architektenhonorar nach Mindestsätzen

BGH, Urteil vom 03.08.2023 – VII ZR 102/22

Der BGH hat mit seiner Entscheidung vom 03.08.2023 klargestellt, dass die Voraussetzungen, unter denen ein Architekt nach Treu und Glauben gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit wirksamen Honorarvereinbarung gemäß § 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013 zu berufen, nicht identisch sind mit den Voraussetzungen, unter denen die Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise treuwidrig ist. Die beklagte Auftraggeberin (AG) wurde mit der Planung und Errichtung einer Flutbrücke beauftragt und hat ihrerseits die klagende Auftragnehmerin (AN) mit den Planungsleistungen beauftragt. Die AN hat vor Leistungsbeginn ein erstes schriftliches Angebot unterbreitet und nach Leistungsbeginn ein zweites, welches auf ein Pauschalhonorar über 170.000,00 Euro lautete. Die AG hat keines der Angebote angenommen, sondern einen eigenen Vertragsentwurf zu einem Pauschalhonorar über ca. 162.000,00 Euro übersandt, den wiederum die AN nicht unterzeichnet hat. Unter Bezugnahme auf „bestehende Vereinbarungen“ hat die AN mehrere Abschlagsrechnungen gelegt, die die AG bezahlt hat. Nach Fertigstellung ihrer Leistungen hat die AN letztlich ein Honorar über 170.000,00 Euro abgerechnet. Die AG hat ca. 162.000,00 Euro gezahlt und jede weitere Zahlung abgelehnt. Die AN hat sodann unter Verweis auf eine fehlende schriftliche Honorarvereinbarung bei Auftragserteilung ihre Leistungen auf Basis der Mindestsätze der HOAI 2013 abgerechnet (§ 7 Abs. 1, 5 HOAI 2013) und verlangt klageweise ein über die Zahlung der AG hinausgehendes weiteres Honorar in Höhe von ca. 114.000,00 Euro. Die Auftraggeberin wendet dagegen ein, die Abrechnung auf Basis der Mindestsätze sei treuwidrig, weshalb die Auftragnehmerin sich auch nicht auf einen Schriftformverstoß berufen könne. Während die Klage zunächst erfolglos geblieben ist, hat der BGH die Entscheidung des Berufungsgerichts (OLG Celle, Urteil vom 27.04.2022 – 14 U 156/21) aufgehoben und zurückverwiesen.

Der BGH führt aus, dass zwischen der Treuwidrigkeit der Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI und der Treuwidrigkeit des Berufens auf einen Formverstoß zu unterscheiden ist. Die Fälle unterliegen unterschiedlichen Voraussetzungen. Nach st. Rspr. des BGH kann es bei Vereinbarung eines Pauschalhonorars unterhalb der Mindestsätze ausnahmsweise treuwidrig sein, gemäß § 7 Abs. 1, 5 HOAI 2009/2013 ein höheres Honorar auf Basis der Mindestsätze abzurechnen (was für bis zum 31.12.2020 geschlossene Architekten- und Ingenieurerträge europarechtlich nicht zu beanstanden ist, vgl. insoweit BGH, Urteil vom 02.06.2022 - VII ZR 12/21). Dieses Vorgehen kann dann treuwidrig sein, wenn der AN hinsichtlich des niedrigeren Pauschalhonorars einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der AG darauf vertraut hat und auch vertrauen durfte und sich so eingerichtet hat, dass die Zahlung des Differenzbetrages gemäß § 242 BGB unzumutbar wäre. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der AG bereits besondere Dispositionen getroffen hat und die Mehrzahlung eine besondere Härte bedeuten würde (vgl. nur BGH, Vorlagebeschluss vom 14.05.2020 – VII ZR 174/19). Anders gelagert ist allerdings der vorliegende Fall, bei dem schon keine wirksame Honorarvereinbarung vorliegt und die AN deswegen ein höheres Honorar auf Basis der Mindestsätze abrechnet. Nach st. Rspr. des BGH darf sich grundsätzlich jede Partei auf Formverstöße berufen. Nur ausnahmsweise, wenn dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann dies gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein. Das kommt vor allem dann in Betracht, wenn die sich darauf berufende Partei die andere von der Einhaltung der Schriftform (die gemäß § 126 Abs. 2 BGB grundsätzlich voraussetzt, dass beide Parteien auf derselben Urkunde unterschreiben) abgehalten hat, so z. B., wenn ein Architekt den Anschein erweckt, es bedürfe nur der Unterschrift des AG auf der Vertragsurkunde. Ferner kann Rechtmissbrauch vorliegen, wenn sonst eine besondere schwere Treuepflichtverletzung vorliegt oder in Folge der Formwidrigkeit eine Existenzbedrohung der anderen Partei eintreten würde. Der BGH weist darauf hin, dass diese Rechtsprechung auch auf das Formerfordernis gemäß § 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013 Anwendung findet. Für den vorliegenden Fall hat der BGH entschieden, dass die genannten Voraussetzungen nicht hinreichend festgestellt worden sind. Insbesondere genügt es für die Annahme von widersprüchlichem Verhalten der AN nicht, überhaupt einen Pauschalpreis angeboten zu haben, den die AG nicht angenommen hat. Auch genügt es nicht, bewusst ein Honorar angeboten zu haben, das unterhalb der Mindestsätze liegt. Dadurch hat die AN die Formunwirksamkeit der Honorarvereinbarung, die auch der AG bewusst war, nicht herbeigeführt.

Fazit

Die Relevanz für „Altfälle“ dürfte hauptsächlich darin liegen, genau zu prüfen, welche Einwendung tatsächlich vorliegt und ggf. entsprechend vorzutragen. Aber auch für Fälle, die mittlerweile unter die HOAI 2021 fallen, hat die vorliegende Entscheidung Relevanz. Nach § 7 Abs. 1 HOAI 2021 gilt zwar „nur“ noch die Textform gemäß § 126b BGB, sodass Honorarvereinbarungen z. B. durch wechselseitige E-Mails geschlossen werden können. Es ist aber darauf zu achten, dass sowohl Angebot als auch Annahme in Textform, und nicht etwa mündlich oder konkludent, erklärt werden. Ansonsten wäre der Architekt – vorbehaltlich dessen, dass die dargestellten Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs nicht eingewendet werden können – berechtigt, eine Formunwirksamkeit einzuwenden und ein ggf. höheres Honorar auf Basis der Mindestsätze abzurechnen.

Autor

Yannic Linnemann

Yannic Linnemann

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