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Zur Darlegung des anderweitigen Erwerbs nach einer freien Kündigung

BGH, Beschluss vom 15.03.2023 - VII ZR 150/22

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einem Beschluss vom 15.03.2023 erneut mit der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der ersparten Aufwendungen und eines anderweitigen Erwerbs nach einer freien Kündigung befasst, welche sich der Unternehmer bei der Kündigungsabrechnung nach § 649 Abs. 2 BGB gegenzurechnen hat: Je wahrscheinlicher ein anderweitiger Erwerb des Unternehmers ist, umso ausführlicher muss der Unternehmer dazu vortragen, warum ein solcher anderweitiger Erwerb nicht erzielt werden könnte.

Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit Fassadenreinigungsarbeiten. Zwischen den Parteien kam es zum Streit über die Art und Weise der Reinigung. Im Zuge dieser Auseinandersetzung kündigte die Beklagte den Vertrag mit der Klägerin ordentlich nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B. Die Parteien stritten anschließend gerichtlich über wechselseitige Ansprüche aus dem gekündigten Vertrag. Die Klägerin machte vor allem Werklohn für nicht erbrachte Leistungen geltend, die Beklagte widerklagend als Schadensersatz die Kosten der Beauftragung eines Drittunternehmens.

Sowohl das Landgericht als auch das OLG Dresden hatten der Klägerin lediglich die noch offene Vergütung für die von ihr bis zur Kündigung erbrachten Leistungen voll zugesprochen. Die Kündigungsvergütung wurde der Klägerin erstinstanzlich gar nicht, vom OLG nur in Höhe der in § 649 Abs. 3 BGB gesetzlich vermuteten 5% der vereinbarten Vergütung gewährt. Beide Instanzen hielten der Klägerin vor, dass diese zum anderweitigen Erwerb, um den die vereinbarte Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen zu reduzieren ist, nicht ausreichend vorgetragen habe.

Der BGH hat die Entscheidung des OLG in seinem Beschluss vom 15.03.2023 bestätigt. Dabei stellt der BGH klar, dass die Darlegungs- und Beweislast zu den von der Kündigungsvergütung abzuziehenden ersparten Aufwendungen und einem anderweitigem Erwerb grundsätzlich beim Auftraggeber liegt, hier aber zu differenzieren ist: Die ersparten Aufwendungen lassen sich konkret vertragsbezogen ermitteln und aus dem Vertrag ableiten. Hier hat der Besteller eine hinreichende eigene Erkenntnislage für Gegenvortrag. Beim anderweitigen Erwerb ist der Besteller jedoch in der Regel kaum in der Lage, die hierfür notwendigen Tatsachen, also insbesondere die konkreten Möglichkeiten der Annahme eines „Füllauftrags“, aus eigener Kenntnis vorzubringen. Daher obliegt dem Unternehmer die sog. „sekundäre Darlegungslast“ dergestalt, dass er zunächst vorzutragen und zu beziffern hat, was er sich insoweit anrechnen lassen will. Dazu reicht es grundsätzlich aus, wenn der Unternehmer sich zum anderweitigen Erwerb wahrheitsgemäß, nachvollziehbar und ohne Widerspruch ausdrücklich oder auch konkludent erklärt. Je wahrscheinlicher ein anderweitiger Erwerb ist, umso ausführlicher müssen die Angaben des Unternehmers jedoch sein. Eine erhöhte Darlegungslast kann sich etwa aus den Vertragsumständen ergeben, wenn es z.B. nach Art und Dauer des gekündigten Teils nahe liegt, dass das Personal anderweitig beschäftigt worden ist. Genügt der Unternehmer in diesem Fall seiner sekundären Darlegungslast nicht, geht er unter Umständen leer aus - so wie im vorliegenden Fall.

Fazit

Ein gekündigter Unternehmer sollte sich nicht allzu sehr darauf verlassen, dass der Besteller ihm einen gegenzurechnenden anderweitigen Erwerb nicht wird nachweisen können. Vielmehr sollte er nach Möglichkeit seine betrieblichen Vorgänge bei der (erfolglosen) Bemühung um Füllaufträge bestmöglich dokumentieren, um im Streitfall seiner sekundären Beweis- und Darlegungslast genügen zu können.

Autor

Christian Kirschberger

Christian Kirschberger

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