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Kein Zustandekommen eines Werkvertrages bei verzögerter Vergabe?

BGH, Urteil vom 03.07.2020 – VII ZR 144/19

Ausgangslage:

Die Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Bauvertrag in einem verzögerten öffentlichen Vergabeverfahren zustande kommt, war bereits Gegenstand mehrerer Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Danach kann ein Zuschlag in einem solchen Fall auf das erstplatzierte Angebot eines Bieters – sofern dieser sein Einverständnis zu einer Bindefristverlängerung erklärt hat oder aber der Bieter auf Nachfrage des AG sein Einverständnis nachträglich erklärt hat (OLG Celle, Beschluss vom 30.01.2020 – 13 Verg 14/19; BGH, Urteil vom 28.10.2003 – X ZR 248/02) – in unveränderter Form selbst dann erfolgen, wenn die ausgeschriebenen Ausführungsfristen/Vertragsfristen objektiv nicht mehr eingehalten werden können. Der so zustande gekommene Bauvertrag ist, wenn die Parteien sich im Nachhinein nicht einigen, ergänzend dahin auszulegen, dass die Bauzeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der vertragliche Vergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Abs. 5 VOB/B anzupassen sind (BGH, Urteil vom 11.05.2009 – VII ZR 11/08; Urteil vom 26.11.2009 – VII ZR 131/08).

Zum Sachverhalt:

Die Vergabestelle schrieb die Klägerin nach einer verzögerten Vergabe, bei der die Klägerin ihr Einverständnis zu einer Bindefristverlängerung erklärt hatte, mit dem Formblatt HVA B-StB an und erklärte, dass … „aufgrund Ihres vorbezeichneten Angebotes erhalten Sie… den Zuschlag auf folgende Angebotsteile: Ihr Hauptangebot. Die Vertragsfristen gemäß Ziffer 2 der Besonderen Vertragsbedingungen werden wie folgt neu festgelegt: 2.1 Beginn der Ausführung: frühestens am 04.05.2018, 2.3 Vollendung der Ausführung nach Datum: spätestens am 15.08.2018. Ich fordere Sie auf, sich gemäß § 18 Abs. 2 VOB/A bzw. § 18 EU Abs. 2 VOB/A unverzüglich über die Annahme des vorliegenden Zuschlagsschreibens zu erklären. Sie werden gebeten, umgehend die anliegenden Vordrucke ausgefüllt zurückzusenden, sowie die Preisermittlung für die vertragliche Leistung (Urkalkulation) – soweit noch nicht geschehen – zu übergeben“.

Mit dem Antwortschreiben bedankte sich die Klägerin bei der Vergabestelle für die Zuschlagserteilung und teilte mit, der gewünschte Realisierungszeitraum könne derzeit nicht bestätigt werden. Sie führte hierzu aus: „Vorbereitend zur Bauanlaufberatung… sind wir dabei, die erforderlichen Kapazitäten zu prüfen. Wir werden unsere Kapazitäten nach der verspäteten Vergabe neu ordnen und Ihnen dann möglichst am… die möglichen Termine bekannt geben. Vorsorglich möchten wir es jedoch nicht versäumen, Ihnen schon jetzt erforderliche Mehrkosten infolge der verspäteten Vergabe und den damit verbundenen geänderten Ausführungsfristen anzukündigen. Die Grundlage dazu ist der § 2 Abs. 5 der VOB/B.“

Die Vergabestelle teilte der Klägerin daraufhin mit, dass sie das im Zuschlagsschreiben enthaltene modifizierte Angebot der Beklagten nicht angenommen habe, weil sie die geänderten Vertragsfristen nicht als ursprünglichen Vertragsinhalt bestätigt und eine Mehrvergütung verlangt habe. Einen Tag später informierte die Vergabestelle die Klägerin zudem darüber, dass sie das Vergabeverfahren gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aufgehoben habe, weil der Zuschlag aufgrund der eingetretenen Verzögerungen nicht mehr rechtzeitig für den beabsichtigten Baubeginn habe erteilt werden können.

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass zwischen den Parteien im konkreten Fall kein Bauvertrag durch das Zuschlagsschreiben der Beklagten zustande gekommen sei. Anders als bei der oben geschilderten Ausgangslage ist für eine Auslegung kein Raum, wenn sich aus dem Zuschlagsschreiben klar und eindeutig ergibt, dass die neue Bauzeit Bestandteil des Vertrages werden soll. Das ist etwa der Fall, wenn über die Bauzeit nicht mehr verhandelt werden soll, der Auftraggeber sie also einseitig vorgibt und er dem Auftragnehmer nur die Möglichkeit lässt, sie als Vertragsbestandteil anzunehmen oder das so geänderte Angebot – eventuell verbunden mit einem eigenen Vorschlag – abzulehnen. Die Erteilung des Zuschlages stellt in einem solchen Fall eine Ablehnung des im Vergabeverfahren unterbreiteten Angebotes des Bieters und zugleich ein neues Angebot des Auftraggebers dar (BGH, Urteil vom 06.09.2012 – VII ZR 193/10, Rn. 16). Ein davon abweichendes Verständnis ergibt sich nach dem BGH auch nicht aus dem Grundsatz des vergaberechtlichen Nachverhandlungsverbots (§ 15 Abs. 3 VOB/A). Denn es ist rechtlich möglich, dass der Auftraggeber unter Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot einen Zuschlag unter veränderten Bedingungen erteilt und damit ein neues Angebot im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB abgibt. Maßgeblich für das Zustandekommen des auf der Grundlage einer öffentlichen Ausschreibung zu schließenden Vertrags sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Soweit in der Ablehnung durch die Klägerin und der damit verbundenen Forderung einer zusätzlichen Vergütung ihrerseits wieder ein neues Angebot gesehen werden könnte, bestehen im konkreten Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vergabestelle dieses ausdrücklich oder konkludent angenommen hat. Der hilfsweise von der Klägerin begehrte Schadensersatzanspruch auf das positive Interesse wegen rechtswidriger Aufhebung der Ausschreibung wurde ihr auch nicht zugesprochen, da die ausschreibende Stelle den ausgeschriebenen Bauauftrag nicht vergeben hat und die neue Ausschreibung auf einen anderen Vertrag, nämlich unter grundlegender Änderung der Vergabeunterlagen, gerichtet gewesen sei.

Praxishinweise:

Zunächst ist herauszustellen, dass die einseitige Vorgabe neuer Vertragsfristen durch die Vergabestelle ein Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot darstellt und dementsprechend vergabewidrig ist. Dieses wurde im konkreten Fall im Ergebnis deshalb nicht sanktioniert, weil die ausschreibende Stelle die Verdingungsunterlagen bei der Neuausschreibung grundlegend geändert hat.

Der Bieter steckt hier in einer Zwickmühle, zum einen möchte er den Auftrag ausführen, zum anderen möchte er jedoch auch nicht seinen Anspruch auf Anpassung der Fristen und der Vergütung im Hinblick auf die verzögerte Vergabe verlieren. Eine denkbare Reaktion auf das Zuschlagsschreiben wäre das Ausbringen einer Rüge gegenüber dem Auftraggeber.

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