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Rücktritt oder freie Kündigung? Die folgenschwere Umdeutung

OLG Schleswig, Urt. v. 11.09.2024 – Az.: 12 U 156/22

Das OLG Schleswig beschäftigte sich gleich mit zwei praxisrelevanten Themenfeldern: Dem Verhältnis zwischen Rücktritt oder Kündigung eines Bauvertrages sowie der Erforderlichkeit der Bezifferung eines Sicherungsverlangens.

Der Sachverhalt

Ein Bauträger (AG) schloss mit einem Bauunternehmen (AN) einen Bauvertrag mit einer Auftragssumme von rund EUR 43.000 brutto. Der AN forderte von dem AG eine Vorauszahlung in Höhe von EUR 21.500, welche durch den AG bezahlt wurde. Doch dann kam der AG in finanzielle Schwierigkeiten. In der Folge fanden Baubesprechungen statt, in deren Rahmen der AN eine Bauhandwerkersicherheit gemäß § 650f BGB verlangte, ohne dabei eine konkrete Höhe zu benennen. Da die Baustelle aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten des AG stillstand und die Wohnungseigentümer das Bauvorhaben zu Ende führen wollten, einigten sich beide Seiten auf die Beendigung der Bauträgerverträge sowie die Übereignung der jeweiligen Wohnungen an die Erwerber. Zudem trat der AG sämtliche Ansprüche gegen die Bauunternehmen an die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) ab. Dem AN wurde der Eigentumswechsel sowie die Abtretung der Ansprüche mitgeteilt. Die WEG erklärte zudem, dass ein anderes Bauunternehmen die Bauarbeiten nun übernehmen werde. Gleichzeitig forderte sie die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung in Höhe von EUR 21.500. Der AN verweigerte die Rückzahlung mit Verweis auf das bestehende Vertragsverhältnis. In einem anwaltlichen Schreiben erklärte die WEG hilfsweise die Beendigung des Vertrages mit den Worten: „[…] kündige ich diesen Vertrag […]“. Der AN stellte daraufhin eine Schlussrechnung über rund EUR 16.500 und veranlasste die Rückzahlung eines Betrags von EUR 4.500. Der Schlussrechnungsbetrag über EUR 16.500 ergab sich durch die Kündigungsvergütung für nicht erbrachte Leistungen, abzüglich ersparter Aufwendungen für Materialkosten und Lohnkosten. Daraufhin klagte die WEG gegen den AN auf Rückzahlung der Anzahlung in Höhe von EUR 21.500 vor dem LG Kiel. Das LG Kiel hat der Klage stattgegeben. Dies wurde damit begründet, dass dem AN keine Kündigungsvergütung zustehe und der AN damit nicht gegen den Rückzahlungsanspruch der WEG aufrechnen könne. Ein Anspruch auf Kündigungsvergütung in Höhe von EUR 16.500 bestehe schon deshalb nicht, weil die WEG den Vertrag nicht gekündigt habe, sondern von diesem zurückgetreten sei. Dies sei auch wegen der endgültigen und ernsthaften Leistungsverweigerung des AN ohne Fristsetzung möglich gewesen. Dem AN stand auch kein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 650f Abs. 5 BGB zu. Hierfür hätte der AN eine Bauhandwerkersicherheit in einer konkret bezifferten Höhe verlangen müssen. Gegen die Entscheidung des LG Kiel legte der AN Berufung vor dem OLG Schleswig ein.

Die Entscheidung des OLG Schleswig

Mit Erfolg! Das OLG Schleswig entschied, dass die WEG zwar einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung hat, der AN jedoch mit seinem Anspruch auf Kündigungsvergütung aufrechnen konnte. Das OLG Schleswig stellte fest, dass die WEG den Vertrag mit dem AN gekündigt hat. Die WEG hätte ausdrücklich die Kündigung erklärt. Eine Umdeutung der Kündigung in einen Rücktritt käme nicht in Betracht. Für einen Rücktritt hätte es gem. § 323 Abs. 1 BGB einer Fristsetzung zur Leistungserbringung bedurft. Eine solche habe hier jedoch nicht vorgelegen. Auch sei die Fristsetzung nicht entbehrlich gewesen, insbesondere habe keine „ernsthafte und endgültige“ Leistungsverweigerung des AN vorgelegen. Der AN habe die Leistung zwar verweigert, jedoch habe dieser wirksam von seinem Leistungsverweigerungsrecht gem. § 650f Abs. 5 BGB Gebrauch gemacht. Gemäß § 650f Abs. 5 BGB darf der AN die Leistung verweigern, wenn der AN von dem AG erfolglos unter Fristsetzung die Leistung einer Bauhandwerkersicherheit gem. § 650f Abs. 1 BGB gefordert hat. Auch wenn bereits die Hälfte der Vergütung als Anzahlung geleistet worden war, habe weiterhin ein Anspruch des AN auf Sicherheitsleistung gemäß § 650f Abs. 1 BGB bestanden. Der AN habe bei einer Baubesprechung eine Sicherheit gem. 650f Abs.1 BGB gefordert. Für dieses Sicherheitsverlangen sei es nicht erforderlich gewesen, einen konkreten Betrag zu benennen – es genüge, dass die Höhe der Sicherheit bestimmbar gewesen sei. Die WEG habe sich daher nur durch Kündigung vom Vertrag lösen können. Mangels wichtigen Grundes musste die Kündigung als freie Kündigung nach § 648 BGB gewertet werden. Zudem hätte es an einer vorherigen Fristsetzung und Abmahnung gefehlt. Infolge der Kündigung war der AN berechtigt, gegenüber der Rückzahlungsforderung der WEG mit seinem eigenen Anspruch auf Kündigungsvergütung aufzurechnen. Der AN hatte im Ergebnis der WEG nur noch EUR 1.750 zurückzuerstatten.

Fazit

Der Fall zeigt einige weit verbreitete Fehlannahmen von AG bei der Kündigung von Bauverträgen. Erstens: In der Praxis gehen AG häufig davon aus, dass sie den Vertrag mit einem AN bei dessen Nichterfüllung stets aus wichtigem Grund kündigen können. Dabei wird oft übersehen, dass dem AN Leistungsverweigerungsrechte zustehen können. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung aus wichtigem Grund werden daher oft nicht korrekt geprüft. Zweitens: Eine Kündigung aus wichtigem Grund ist nur wirksam, wenn tatsächlich ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegt. Fehlt dieser, kann die Erklärung unter Umständen in eine freie Kündigung umgedeutet werden. Bei einer freien Kündigung steht dem AN aber auch die Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen zu. Dieser Anspruch umfasst die vereinbarte Vergütung, abzüglich ersparter Aufwendungen sowie etwaiger Einkünfte aus anderweitiger Nutzung der Arbeitskraft. Aufgrund der Rechtsfolgen einer freien Kündigung versuchte der AG, die Kündigung in einen Rücktritt umzudeuten. Da Kündigung und Rücktritt sich jedoch in den Voraussetzungen unterscheiden und die Voraussetzungen des Rücktritts nicht vorlagen, scheiterte die Umdeutung. Zudem meinte der AG, aufgrund der fehlenden Bezifferung einer geforderten Sicherheit nach § 650f BGB könne kein Leistungsverweigerungsrecht des AN bestehen. Das OLG Schleswig vertritt jedoch die Auffassung, die fehlende Bezifferung des Sicherungsverlangen führe nicht zu deren Unwirksamkeit. Hierbei widerspricht das OLG Schleswig der Rechtsauffassung anderer Oberlandesgerichte: Sowohl das OLG Jena (Urt. v. 17.03.2010 – 7 U 289/09) als auch das OLG Köln (Urt. v. 23.04.2015 – 3 U 124/14) vertreten die Auffassung, dass die Höhe der geforderten Sicherheit stets angegeben werden müsse und die fehlende Angabe ansonsten zur Unwirksamkeit des Sicherungsverlangen führe. Das OLG Schleswig folgt hingegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 09.11.2000 – VII ZR 82/99), wonach ein Sicherungsverlangen wirksam sei, sofern die Höhe der Sicherheit für den Auftraggeber zumindest „feststellbar“ sei. Ob ein unbeziffertes Sicherungsverlangen ausreichende Anknüpfungspunkte für die Feststellbarkeit der Höhe bietet, ist stets eine Frage des Einzelfalls. Um rechtliche Streitigkeiten zu vermeiden, ist AN dringend zu empfehlen, bei der Forderung einer Bauhandwerkersicherheit nach § 650f Abs. 1 BGB die Höhe der geforderten Sicherheit ausdrücklich zu beziffern.

Autor

Widar Ebner

Widar Ebner

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