News | Newsletter | Neues zum Baurecht 04/2025
KG Berlin: Konkretisierung der Anforderung an die Nachtragsvergütung – ein Korridor für Zuschläge und eine Absage für BGK
KG Berlin, Urteil vom 18.07.2025, Az.: 21 U 176/24
Mit seinem Urteil vom 18.07.2025 hat das Kammergericht Berlin eine wegweisende Entscheidung im Bauvertragsrecht gefällt. Zentrale Grundsätze der Nachtragsvergütung wurden darin präzisiert und bestätigt.
- Was war passiert?
Der Auftragnehmer (AN) eines VOB/B-Vertrages verlangte vom Auftraggeber (AG) die Stellung einer Bauhandwerkersicherheit gemäß § 650f BGB über EUR 310.000,00, die auch beauftragte Nachtragsleistungen des AN absichern sollte. Der AG verweigerte die Stellung einer Sicherheit in der vom AN verlangten Höhe. Der AN erhob daraufhin Klage. Die Parteien stritten im Prozess insbesondere darüber, wie der AN seine Nachtragsforderungen darzulegen hat.
- Entscheidung des KG Berlin
1.) Wesentliche Leitsätze des Gerichts:
- Grundlage des Mehrvergütungsanspruchs aus § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B sind die tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen, zuzüglich eines angemessenen Zuschlags (vgl. KG, Urt. v. 10.07.2018, Az. 21 U 30/17 u. v. 27.08.2019, Az. 21 U 160/18).
- Als Zuschlagsfaktor können je nach Einzelfall unterschiedliche Werte innerhalb eines angemessenen Bereichs herangezogen werden. Angemessen ist insbesondere der Faktor, der sich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten aus der vereinbarten Vergütung ergibt und den der Unternehmer bis auf Widerspruch oder Widerlegung unter Bezugnahme auf seine Kalkulation vortragen kann. Alternativ kommt die Bestimmung des Zuschlagsfaktors in freier Überzeugung durch das Gericht in Betracht, wobei jedenfalls Werte im Bereich von 1,05 oder 1,0526 (= 20/19) bis 1,2 als angemessen gelten können.
- Die schlüssige Darlegung einer Mehrvergütung aus § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B erfordert grundsätzlich, dass der Unternehmer den Aufwand, der ihm durch eine geänderte oder zusätzliche Leistung entstanden ist, zumindest nach Kostenarten (Material, Geräte, Arbeit) aufschlüsselt.
- Davon kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn die Herleitung der Mehrvergütung auch ohne eine solche Aufgliederung nachvollzogen werden kann, insbesondere weil es sich um eine übersichtliche und nicht komplexe Teilleistung mit aussagekräftiger Beschreibung handelt.
2.) Inhalt der Entscheidung
Mit Urteil vom 18.07.2025 hat das KG Berlin den beklagten AG verurteilt, dem AN eine Sicherheit in Höhe von EUR 105.138,40 für dessen in Zusatzaufträgen vereinbarte Vergütung zu stellen. Soweit der AN eine weitergehende Sicherheit verlangte, wurde die Klage abgewiesen.
Das KG Berlin entschied, dass zur Berechnung einer Nachtragsvergütung die dem AN tatsächlich entstandenen Mehr- oder Minderkosten, zuzüglich eines angemessenen Zuschlags gemäß § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B, heranzuziehen sind.
Die unmittelbaren, direkten Mehrkosten, wie z.B. Material, Lohn, Gerätekosten und Nachunternehmerleistungen, bilden hierbei die Basis für die Nachtragsvergütung. Auf seine ihm entstandenen Mehrkosten steht dem AN ein Zuschlag für Allgemeine Geschäftskosten (AGK), Wagnis und Gewinn zu. Baustellengemeinkosten (BGK) sind bei der Bestimmung des gesuchten Zuschlagsfaktors nicht zu berücksichtigen. Nach Ansicht des KG Berlin muss der Zuschlagsfaktor „angemessen“ i.S.v. § 650c Abs. 1 Satz 1 BGB sein. Für einen bestimmten Bauvertrag gibt es damit nicht nur einen korrekt zu bestimmenden Faktor, sondern vielmehr einen Angemessenheitskorridor. Die Urkalkulation kann hierbei als Darlegungshilfe dienen, genügt isoliert jedoch nicht und muss durch belastbare Belege ergänzt werden. Eine erste Orientierung könne der Zuschlagsfaktor geben, der sich aus der vereinbarten Vergütung ergäbe. Alternativ kann das Gericht den Zuschlagsfaktor in Höhe eines üblichen Rahmens auch gemäß § 287 Abs. 2 ZPO schätzen. Auf diese Weise können Faktoren von mindestens 1,05 oder 20/19 bis jedenfalls 1,2 im Einzelfall angemessen sein.
3.) Kein Widerspruch zu bisheriger BGH-Rechtsprechung
Das KG Berlin betont zudem, sein Konzept der Vergütungsermittlung gemäß § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B stehe nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 14.03.2013, Az. VII ZR 142/12). Das vom BGH in der genannten Entscheidung skizzierte Verfahren der Preisfortschreibung führe nicht zu einem anderen Ergebnis als die vom KG für richtig gehaltene Methode. Für eine Anknüpfung an die tatsächlich erforderlichen Kosten spräche, dass diese ohne Weiteres ermittelt werden könnten und insofern eine realistische Bewertung ermöglichten. Eines Rückgriffs auf die vorkalkulatorische Preisfortschreibung bedürfte es nicht, um der Störung des Äquivalenzverhältnisses zwischen AN und AG adäquat zu begegnen. Für beide Vertragsparteien seien die tatsächlich erforderlichen Kosten, zuzüglich angemessener Zuschläge für allgemeine Geschäftskosten und Gewinn, der speziellere und gerechtere Maßstab. Insbesondere könnten damit die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls auch angemessen berücksichtigt werden.
III. Praxishinweis
Erfreulicherweise wird durch die Entscheidung des KG Berlin eine realkostenorientierte Nachtragskalkulation gestärkt. Die Kehrseite der Medaille ist, dass Nachtragsforderungen nun erhöhten Anforderungen hinsichtlich der Kalkulation, der Darlegungspflichten und der Verhandlungsspielräume unterliegen. Generealunternehmer wie Subunternehmer müssen ihre internen Prozesse daran anpassen, um zukünftig Streitigkeiten vermeiden und ihre Ansprüche effektiv durchsetzen zu können.
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