News | | Neues zum Immobilienrecht 01/2025
Dingliches Vorkaufsrecht des Angehörigen schlägt vertragliches Vorkaufsrecht des Mieters
Nachdem zu der Rechtsfrage des Konkurrenz- bzw. Rangverhältnisses zwischen einem dinglichen Vorkaufsrecht und einem gesetzlichen Vorkaufsrecht bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorlag, entschied der Bundesgerichtshof nunmehr in seinem Urteil vom 27.09.2024 (Az. V ZR 48/23), dem in gleicher Sache der Beschluss vom 27.04.2023 (Az. V ZB 58/22) vorausging, dass ein dingliches Vorkaufsrecht zugunsten einer Familienangehörigen Vorrang vor dem gesetzlichen Vorkaufsrecht eines Mieters genießt – und zwar selbst dann, wenn dieses erst nach Einzug des Mieters bestellt worden ist.
Der Sachverhalt
Die Parteien sind geschiedene Eheleute und einigten sich im Zuge ihrer Trennung im Jahr 2016 darauf, ihre gemeinsame Immobilie in Wohnungseigentum, bestehend aus drei Wohnungen, aufzuteilen. Zwei Wohnungen erhielt der Beklagte und eine die Klägerin. Ferner bewilligten sich die Parteien jeweils gegenseitig dingliche Vorkaufsrechte.
Der Beklagte vermietete seine streitgegenständliche Wohnung. Im Jahr 2019 verkaufte der Beklagte die bereits vermietete Wohnung an einen Dritten. Daraufhin übte seine Ex-Frau, die Klägerin, ihr Vorkaufsrecht aus. Der Mieter übte ebenfalls sein gesetzliches Mietervorkaufsrecht aus. Im Herbst 2019 schlossen der Beklagte und der Mieter sodann einen notariellen Kaufvertrag und der Mieter wurde als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen. Das Vorkaufsrecht der Klägerin wurde 2022 gelöscht.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten insbesondere die Auflassung des Eigentums an der streitgegenständlichen Wohnung Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung und Bewilligung der Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch.
Die Klage blieb sowohl vor dem Landgericht Dresden als auch vor dem Oberlandesgericht Dresden ohne Erfolg, sodass die Klägerin mit der vom Oberlandesgericht Dresden zugelassenen Revision vor den Bundesgerichtshof zog.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof entschied in dieser Sache in einem vorangegangenen Rechtsbeschwerdeverfahren in Grundbuchsachen, dass das dingliche Vorkaufsrecht der Klägerin nach § 1094 BGB jedenfalls dann Vorrang vor dem Vorkaufsrecht des Mieters aus § 577 BGB genießt, wenn es von dem Eigentümer und hiesigen Beklagten – wie hier – zu Gunsten eines Familienangehörigen im Sinne des § 577 Abs. 1 S. 2 BGB bestellt wurde.
Gemäß § 577 Abs. 1 S. 2 BGB ist der Mieter nicht zum Vorkauf berechtigt, wenn der Vermieter die Wohnräume an einen Familienangehörigen oder an einen Angehörigen seines Haushaltes verkauft. Zwar sind die Parteien geschiedene Eheleute; der Begriff des Familienangehörigen entspricht hier jedoch dem aus § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB über die Eigenbedarfskündigung. Daher sind die Parteien hier – wie beispielsweise auch beim Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO – auch dann als Familienangehörige anzusehen, wenn sie geschieden sind.
Allerdings betont der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung, dass die Ausnahmeregelung des § 577 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegend keine unmittelbare Anwendung findet, da die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts keinen „Verkauf“ im Sinne der Norm darstellt. Aus der Norm des § 577 Abs. 1 S. 2 BGB kommt jedoch die gesetzgeberische Wertungsentscheidung zum Ausdruck, dass dem von dem Vermieter und hiesigen Beklagten zugunsten der Klägerin bestellte dingliche Vorkaufsrecht gegenüber dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters Vorrang zukommt. Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung liegt nämlich darin, der Gefahr der Verdrängung des Mieters aufgrund einer spekulativen Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zu begegnen. Demgegenüber vorrangig betrachtet der Gesetzgeber jedoch das Interesse des Vermieters, die Wohnung an bestimmte ihm nahestehende Personen verkaufen zu können. Dies kann nach der Begründung des Senats wiederum im Einzelfall eine Wertungskorrektur erfordern, etwa in Fällen von Rechtsmissbrauch, für den hier indes keine Anhaltspunkte bestanden.
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass das dingliche Vorkaufsrecht der Klägerin zeitlich erst nach Überlassung der Wohnung an den Mieter bestellt wurde. Hierzu führt der Senat an, dass der Vermieter die Wohnung schließlich auch auf direktem Wege an den Familienangehörigen verkaufen könnte (vgl. § 577 Abs. 1 S. 2 BGB), ohne dass ein gesetzliches Vorkaufsrecht des Mieters besteht.
Der Bundesgerichtshof kommt somit zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ihr dingliches Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt hat und dieses gegenüber dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters Vorrang genießt. Damit kommt der Klägerin die Vormerkungswirkung nach § 1098 Abs. 2 BGB i.V.m. § 883 Abs. 2, § 888 BGB zugute, sodass die zugunsten des Mieters vorgenommene Verfügung des Beklagten der Klägerin gegenüber relativ unwirksam ist und sie weiterhin die Auflassung des Eigentums Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung verlangen kann.
Fazit
Erstmalig äußert sich des Bundesgerichtshofs zu der in der Literatur umstrittenen Frage der konkurrierenden Vorkaufsrechte und legt überzeugend dar, warum der Streit jedenfalls im Falle von Familienangehörigen zugunsten des dinglichen Vorkaufsrechts zu entschieden war.
Gleichzeitig ist zu beachten, dass die Frage des generellen Verhältnisses zwischen Mietervorkaufsrecht und dinglichem Vorkaufsrecht hier keiner Entscheidung bedurfte, da die Ausnahmeregelung des § 577 Abs. 1 S. 2 BGB greift. Eine generelle Übertragung des Urteils auf den Kern des Meinungsstreits dürfte daher zu kurz greifen.
Es bleibt daher abzuwarten, ob in der Zukunft weitere Rechtsprechung dazu ergehen wird. Bis dahin dürfte die Rechtsfrage des grundsätzlichen Verhältnisses in der Literatur weiterhin umstritten bleiben, was eine fachkundige und aktuelle Beratung im Einzelfall erfordert. Es empfiehlt sich daher bei der Vereinbarung von dinglichen Vorkaufsrechten die Formulierung anwaltlich prüfen oder entwerfen zu lassen, um eine rechtssichere Vereinbarung zu erzielen, die sich im Falle eines kollidierenden Vorkaufsrechts auch tatsächlich durchsetzt.
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