Section-Image

Auch, wenn es der Bieter besser weiß: Der AG bestimmt, was beschafft wird!

In der Welt der öffentlichen Auftragsvergaben gibt es immer wieder Diskussionen und Streitigkeiten bezüglich der Vergabeunterlagen. Eine regelmäßig wiederkehrende Herausforderung ist das Erfassen der Leistungsbeschreibung.

Die Vergabeunterlagen stellen die Grundlage für die Bewertung der Angebote der Bieter dar. Zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs darf der Auftraggeber nur Angebote berücksichtigen, die seinen Vorgaben entsprechen und somit vergleichbar sind. Demnach genügt bereits die formale Abweichung von den Vergabeunterlagen bzw. der Leistungsbeschreibung für einen Ausschluss des Angebots, ohne dass es auf die Wettbewerbsrelevanz, Wesentlichkeit oder Geringfügigkeit der Abweichung ankommt.

Sofern sich bei der Auslegung ergibt, dass eine Leistungsbeschreibung zu unbestimmt oder unklar ist, genügt sie ihrerseits den Anforderungen des § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht und ist vergaberechtswidrig. Ist die Leistungsbeschreibung zu unbestimmt und unklar, kann ein „Abweichen“ des Bieters nicht zu dessen Ausschluss führen solange er sich im Rahmen des beschriebenen bewegt.

Welche rechtlichen Auswirkungen es hat, wenn Vergabeunterlagen subjektiv als „unzweckmäßig“ beurteilt werden und Bieter aufgrund dessen von diesen abweicht, hat das OLG Bremen in einer kürzlich veröffentlichen Entscheidung (Beschluss vom 04.11.2022 – 2 Verg 1/22) bewertet:

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) schrieb einen Lieferauftrag von Rechenclustern (Verbund aus Prozessoren samt Grafikkarten) aus. Die Antragstellerin wurde bei der Angebotswertung mit der Begründung ausgeschlossen, sie sei mit ihrer angebotenen Lieferung von Rechenknoten technisch von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abgewichen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin.

Das Angebot umfasste die Lieferung von GPU-Rechenknoten mit insgesamt 16 identischen GPU-Karten, wobei die GPU-Rechenknoten teils mit zwei und teils mit drei GPU-Karten bestückt werden sollten. Der AG vertritt die Ansicht, die von der Antragstellerin angebotenen GPU-Rechenknoten (Grafikkarten) seien untereinander nicht identisch. Identität bestehe dann, wenn ein Prozessor mit zwei Grafikkarten (= 1 Rechencluster) ODER zwei Prozessoren mit vier Grafikkarten (= 1 Rechencluster) angeboten werden.

Dagegen argumentiert die Antragstellerin: Aus der Sicht eines Erklärungsempfängers aus dem Verkehrskreis der angesprochenen Hersteller von solchen Rechenclustern sei ein anderes Verständnis der Vorgaben des Leistungsverzeichnisses wegen besonderer technischer Umstände anzunehmen.

Entscheidung

Das OLG Bremen gab dem AG Recht und erklärte den Angebotsausschluss der Antragstellerin für rechtskonform. Auf eine Zweckmäßigkeit der Vergabeunterlagen kommt es nicht an, denn

„Ihre Ausführung, dass es technisch auf eine exakte Identität der GPU-Rechenknoten mit Blick auf die Anzahl der jeweils verwendeten GPU-Karten deshalb nicht ankomme, weil es unproblematisch möglich sei, eine ausgewogene Ansteuerung auch ungleich verteilter GPU-Karten mit Rechenvorgängen durch die verwendete Software sicherzustellen, vermag ein solches abweichende technische Verständnis jedenfalls nicht zu belegen. Auf diese Weise stellt die Antragstellerin vielmehr lediglich die Zweckmäßigkeit der Vorgaben der Antragsgegnerin infrage. Dies allein rechtfertigt aber keine Abweichung von für sich genommen eindeutigen Vorgaben der Leistungsbeschreibung, da es Sache des Auftraggebers ist, den eigenen Bedarf bis hin dazu zu definieren, welche Anforderungen er an die von ihm gewünschte Leistung stellt. Der Auftraggeber ist auch nicht verpflichtet, in der Ausschreibung eine weitergehende Vielfalt von technischen Lösungen zuzulassen. Daher muss auch der Darstellung der Antragsgegnerin, dass die Aufteilung der GPU-Karten technisch sehr wohl einen Unterschied mache, nicht nachgegangen werden.“

Der Senat stellt nochmals klar, dass die Vorgaben des Auftraggebers für die Vergabeunterlagen bindend sind, solange sie eindeutig formuliert sind. Dies war vorliegend der Fall.

Die Argumentation der Antragstellerin, wonach es technisch unproblematisch sei, eine ausgewogene Steuerung ungleich verteilter GPU-Karten zu gewährleisten, führt zu keiner anderen Bewertung, da lediglich die Zweckmäßigkeit der Vorgaben des AG infrage gestellt wird. Ein Bieter kann zwar die Unzweckmäßigkeit der Vorgaben bemängeln, dies rechtfertigt aber keine Abweichung von den eindeutigen Vorgaben. Es liegt in der Verantwortung des Auftraggebers, den eigenen Bedarf korrekt und eindeutig zu definieren, um Missverständnissen vorzubeugen. Der AG ist nicht gehalten, in der Ausschreibung weitere/andere technische Lösungen zuzulassen.

Praxistipp

Auftraggeber sollten das Ziel verfolgen, die Vergabeunterlagen so weit wie möglich zu konkretisieren bevor sie veröffentlicht werden. Hierfür ist eine sorgfältige Prüfung des eigenen Bedarfs Voraussetzung, um sicherzustellen, dass dieser verständlich dargestellt und letztlich bedient werden kann. Hierfür kann es – gerade dann, wenn eigenes Know-How fehlt – sinnvoll sein, externe Berater hinzuzuziehen.

Umgekehrt reicht für einen Bieter nicht, sich auf – aus seiner Sicht ungeeignete – Vergabeunterlagen zu berufen, um eine Abweichung von den festgelegten Vorgaben wirksam zu begründen. Im Gegenteil berechtigt jede Abweichung von den Vergabeunterlagen einen Ausschluss des Angebots.

Dem Bieter ist somit dringend zu raten, die Vorgaben des Auftraggebers sorgfältig zu beachten und das eigene Angebot entsprechend den Vorgaben auszuarbeiten. Ein Angebot dient nicht der Platzierung eigener Zweckmäßigkeitserwägungen. Sofern der Bieter eine (vermeintlich) „bessere Idee“ zur Erreichung des Vergabeziels hat, muss er eine Bieterfrage stellen und hoffen, dass der AG diese Ansicht teilt und die Unterlagen anpasst.

Denn es bleibt dabei: Jede (noch so kleine) Abweichung führt zum Ausschluss!

Autor

Maren Elvira Hintze

Maren Elvira Hintze

Weitere Artikel dieser Ausgabe

  • Jonas Deppenkemper: Stoffpreisgleitklausel bei Bauvergaben ein „Muss“?

     

  • Peter Schwientek: Die Vergabe von Cloud-Leistungen (EVB-IT Cloud)

     

  • Mark von Dahlen: Zuschlagskriterien - Nachträgliche Konkretisierung zulässig, sogar als Testaufgabe