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Ausschließlichkeitsrechte und Verhandlungsverfahren

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) darf die „Ausschließlichkeitssituation“ zur Begründung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb beim Rückgriff auf technische Gründe oder zum Schutz von Ausschließlichkeitsrechten nicht dem Auftraggeber zuzurechnen sein.

EuGH, Urteil vom 09.01.2025, Rs. C-578-23

Das Finanzministerium der tschechischen Republik schloss 1992 mit einem im IT-Bereich tätigen Unternehmen einen Vertrag, auf dessen Grundlage ein Informationssystem für die tschechische Steuerverwaltung geschaffen wurde. Im Frühjahr 2016 führte die nunmehr zuständige staatliche Stelle, die neu gegründete GFD, als Auftraggeberin ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung exklusiv mit dem vom Finanzministerium bereits früher beauftragten Unternehmen durch und vergab einen Auftrag über die Wartung des betroffenen Informationssystems. Dies wurde mit der technischen Kontinuität zwischen dem in Rede stehenden Informationssystem und seiner Wartung nach der Garantiezeit sowie mit dem Schutz von ausschließlichen Urheberrechten der Auftragnehmerin am Quellcode dieses Systems begründet. Die Auftragnehmerin ist Inhaberin der Lizenzrechte für das System. Dieses Vorgehen hat das tschechische Wettbewerbsamt für rechtswidrig gehalten, da die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Auftragsbekanntmachung nicht vorgelegen hätten. Die Auftraggeberin habe nicht nachgewiesen, dass der in Rede stehende öffentliche Auftrag aus technischen Gründen ausschließlich von der Auftragnehmerin habe ausgeführt werden können. Auch sei die Erforderlichkeit, die ausschließlichen Rechte der Auftragnehmerin zu schützen, die Folge des vorherigen Verhaltens des Rechtsvorgängers der Auftraggeberin, des Finanzministeriums, gewesen. Eine hiergegen gerichtete Klage der Auftraggeberin blieb in der ersten Instanz erfolglos. In der zweiten Instanz legt das zuständige Gericht die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung ist nur in den in den Vergaberichtlinien bestimmten, abschließend aufgezählten Fällen zulässig und hat im Verhältnis zum offenen und nicht offenen Verfahren Ausnahmecharakter. Dementsprechend sind diese Regelungen eng auszulegen und die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen der betreffenden Vorschriften erfüllt sind, trägt derjenige, der sich auf diese Ausnahme berufen will.

Ein Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung ist möglich, wenn der Auftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden kann. Dabei stellt der EuGH klar, dass hierbei zu berücksichtigen ist, ob ein öffentlicher Auftraggeber durch sein eigenes Verhalten eine Ausschließlichkeitssituation im Sinne des Vergaberechts herbeigeführt hat. Es kommt dabei auch auf die rechtlichen und tatsächlichen Umstände an, die den Abschluss des Vertrags über die ursprüngliche Leistung, auf dem die öffentlichen Folgeaufträge beruhen, begleitet haben. Dies vorausgesetzt, fordert der EuGH, dass der öffentliche Auftraggeber nachweisen muss, dass ihm die Ausschließlichkeitssituation nicht zuzurechnen ist. Der Wortlaut der Vorschrift sieht ein solches Erfordernis - anders als bei einer Rechtfertigung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb wegen des Vorliegens dringlicher, zwingender Gründe - zwar nicht vor. Der EuGH betont aber, dass ein öffentlicher Auftraggeber verpflichtet ist, alles zu tun, was vernünftigerweise erwartet werden kann, um den Rückgriff auf den Ausnahmetatbestand eines exklusiven Verhandlungsverfahrens aus den aufgezeigten Gründen zu vermeiden. Es dürfe einem Auftraggeber nicht erlaubt sein, die betreffenden Bestimmungen anzuwenden, wenn er zur Erreichung des Ziels des betreffenden Auftrags die Ausschließlichkeitssituation nicht herbeiführen musste oder über tatsächliche und wirtschaftlich vertretbare Mittel verfügte, um diese Situation zu beenden.

Fazit

Hat der öffentliche Auftraggeber den Erstauftrag ordnungsgemäß im Vergabewettbewerb vergeben und wurden so Ausschließlichkeitsrechte begründet, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Auftraggeber über tatsächliche und wirtschaftlich vertretbare Mittel verfügt, um diese Situation zu beenden. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein ordnungsgemäß angeschafftes, mit einem Ausschließlichkeitsrecht verbundenes IT-Bestandsystem vollständig neu auszuschreiben wäre, wenn der Auftraggeber nur ein zusätzliches Modul erwerben will, welches lediglich der Bestandsanbieter liefern kann. Auch sind die bereits getätigten Investitionen bei der Frage, ob die Alleinstellung tatsächlich und mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln beendet werden kann, zu berücksichtigen.

 

Autor

Dr. Thomas Kirch

Dr. Thomas Kirch

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