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Vergaberecht besser machen, um den 500-Milliarden-Infrastrukturfonds umzusetzen - 10 Thesen für eine schnelle Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur

These 1: Die Vorgabe in § 97 Abs. 4 GWB, dass Aufträge in Fach- und Teillosen vergeben werden sollen, gehört abgeschafft, jedenfalls für Großbauprojekte ab 30 Mio. Euro.

Aktuell sind nach § 97 Abs. 4 GWB öffentliche Auftraggeber zur Vergabe von Fach- und Teillosen angehalten, unabhängig von der Größe eines Projekts. Das führt zu zersplitterter Verantwortung, großem Projektsteuerungsaufwand bei den Auftraggebern und einer Vielzahl von Verträgen mit allen typischen Risiken, Schnittstellenproblemen und Verzögerungen. Die öffentlichen Auftraggeber werden die Zusatzvolumina des 500-Milliarden-Infrastrukturpakets mit ihrem Personalstand nicht bewältigen können. Hier müssten für die vielen Teillose erhebliche, externe Steuerungs- und Überwachungskapazitäten eingekauft werden, die wieder nur neue Schnittstellen und Steuerungsaufwand schaffen. Die Steuerung eines Großprojekts sollte dem darin erfahrenen Generalunternehmer (GU) überlassen werden. Er überwacht die Ausführung und setzt viele Subunternehmer ein, die er auch überwacht. Der Bauherr überwacht nur seinen GU als alleinigen Bau-Vertragspartner und kann so auch mit überschaubarem Personalaufwand große Projekte begleiten. Der GU haftet für alles und gerade auch für die Funktionalität und Betriebstauglichkeit seiner Gesamtleistung, es können sich nicht mehr viele Verantwortliche die Schuld gegenseitig zuschieben.

These 2: Planung und Bau gehören zusammen - in eine Hand.

Bisher plant der Auftraggeber allein, ohne Beteiligung von Firmen, die die vom Auftraggeber beigestellte Planung dann später im Bau nur noch umsetzen. Das kostet viele kreative Ideen und praktische Verbesserungen, die erst später, nach Beauftragung der Bauleistungen, als Nachträge den Preis und die Bauzeit treiben. Der Auftraggeber kann seine Anforderungen aber auch nach Art eines Lastenhefts (Zweckbeschreibung, Raumbuch) genau beschreiben, ohne eine konkrete Planung vorlegen zu müssen. Auf diese sog. Funktionale Leistungsbeschreibung können dann Generalunternehmer im Vergabeverfahren ihre Angebote erstellen, wobei sie die wesentlichen Planungsleistungen mit übernehmen. Dann kann im Wettbewerb auch die Ästhetik eines Planungsentwurfs mit bewertet werden, z.B. bei architektonisch anspruchsvollen Gebäuden (weniger bei Straße und Schiene). Ein leistungsstarker Generalunternehmer kann sowohl die Planung wie auch die Baugewerke effizient koordinieren und so Großprojekte schneller betriebsbereit herstellen.

These 3: Kein Angebotsausschluss mehr wegen fehlender oder falsch ausgefüllter Formulare und Angaben

Noch immer scheitern viele Angebot an öffentliche Auftraggeber an Formalitäten: Nachweise fehlen, ein Zertifikat wird nicht beigefügt, ein verwandtes Formular ist veraltet oder es wird falsch ausgefüllt - und das Angebot wird ausgeschlossen. Das ist nicht mehr zeitgemäß und nicht sachgerecht.

Angebote sollten grundsätzlich ohne Nachweise eingereicht werden können. Erst die beiden bestplatzierten Bieter liefern vom Auftraggeber gewünschte Angaben und Unterlagen auf Anforderung nach. Schon mit der Ausschreibung wird vorab mitgeteilt, was der Auftraggeber dann noch anfordern wird. Das sichert eine schnelle Angebotserstellung, ist unkompliziert und fair.

Vergabeverfahren sollen Qualität sichern, nicht Bürokratie verwalten. Kein Bieter sollte wegen eines fehlenden Dokuments rausfliegen, obwohl sein Angebot technisch und preislich gut ist.

These 4: Auftragsvergaben sollten ohne Formularbücher auskommen

Vergabehandbücher des Bundes (teilweise auch Handbücher der Länder) sind mittlerweile aufgeblähte, dicke Regelwerke mit Hunderten Seiten und Dutzenden Formularen für jede vorstellbare Variante. Allein das Heraussuchen der passenden Formblätter und deren Ausfüllen kostet jede Seite Zeit, Nerven und Effizienz.

Es muss darauf verzichtet werden, solche Handbücher zur verpflichtenden Grundlage von Ausschreibung und Vergabe zu machen. Sie können eine Ideensammlung darstellen, aus der man einzelne Formulare heranziehen kann oder auch nicht. Solange die Vergabevorschriften (VOB/A, VgV, SektVO) eingehalten werden, ist das nicht zu beanstanden. Wer viele Formulare verteilt, bekommt viele Fehler beim Ausfüllen geliefert und kann sich gezwungen sehen, ein Angebot allein wegen falsch ausgefüllter oder vergessener Formulare vom Wettbewerb auszuschließen, obwohl es technisch und wirtschaftlich gut ist. Das führt nur zu mehr Frust und mehr Verzögerungen.

These 5: Nachprüfungsverfahren beschleunigen - ohne Rechtsstaat light.

Werden Bieter benachteiligt oder läuft eine Vergabe schief, muss man sie stoppen oder modifizieren können. Für solchen Rechtsschutz gibt es Vergabekammern. Viele Verfahren dort dauern aber zu lange, weil die Kammern zu knapp besetzt sind oder zu bürokratisch arbeiten. Dann werden die Bearbeitungsfristen oft mehrfach verlängert. Es muss Schluss damit sein, dass solche Kammern sich mit einem Fall beliebig lange befassen können und Bundesländer sich hinter Personalproblemen verstecken und die Bearbeitungsdauer darauf schieben können.

Die Vergabekammer muss die Vorgabe erhalten, zwingend in 7 Wochen zu entscheiden. Ergeht bis dahin keine Entscheidung, sollte der Nachprüfungsantrag als erfolgreich gelten - der Bieter bekäme dann allein deshalb Recht, weil die Vergabekammer zu langsam arbeitet. Das ist ein guter Anreiz, schnell und effizient zu verfahren. Bei der Vergabekammer des Bundes läuft die Bearbeitung schon jetzt ziemlich zügig. Mit dieser neuen Vorgabe würden lange Verfahrensdauern zu Lasten des Staates gehen.

Auch die Verfahrenskosten für eine Nachprüfung sind zu hoch. Die Gebühren der Vergabekammer müssen um 50 % gesenkt werden. Bei den Gebühren der Vergabekammer fehlt auch eine echte gesetzliche Grundlage, sie werden innerhalb einer Spanne von 2.500 bis 100.000 Euro nach Ermessen festgesetzt. Auch das gehört sauber geregelt, bei abgesenkten Kosten. Wenn es schneller geht, kann es auch billiger werden.

These 6: Beschwerdeverfahren muss echten Rechtsschutz geben, aber schnell

Wenn es gegen die Entscheidung der Vergabekammer in die sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht geht, muss diese Beschwerde zum OLG automatisch aufschiebende Wirkung haben, d.h. solange sie läuft, kann der Auftrag nicht erteilt werden. Ausnahme: Das OLG hält die Beschwerde für aussichtslos und gestattet den Zuschlag vorab.  Geschieht das nicht, wird die Beschwerde meist erfolgreich sein. Das OLG sollte eine Maximalfrist zur Entscheidung von drei Monaten haben.

Die alte wie die neue Bunderegierung wollten umgekehrt vorgehen: Wer sich an das OLG wendet, soll die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittelverfahrens verlieren. Das ist ein falscher Weg: Der Auftrag könnte dann wirksam erteilt werden, obwohl die Vergabe noch angefochten wird. So wird Rechtsschutz zur Farce. Schon heute gilt: Wenn der Auftraggeber dringend den Zuschlag erteilen muss, kann er das aktiv beim OLG in einem Zwischenschritt beantragen. Dabei kann es bleiben. Die von der Regierung beabsichtigte Neureglung zu Lasten des Beschwerdeführers begünstigt schlechte und/oder falsche Auftragsvergaben und ist rechtsstaatlich bedenklich, allein unter dem Deckmantel, dass die Vergabe schnell gehen soll. Am Ende zahlt der Staat doch, denn Schadensersatz kann der übergangene Bieter auch später noch geltend machen. Solche Prozesse werden unweigerlich zunehmen, wenn man eine Auftragsvergabe in 2. Instanz nicht mehr stoppen kann.

These 7: Landesvergabegesetze abschaffen - kein Mensch braucht sie

Wer bundesweit für die öffentliche Hand arbeitet, kennt das Problem: Jedes Bundesland hat sein eigenes Vergabegesetz, seinen eigenen Mindestlohn, eigene Formulare. Was in Hamburg gilt, kann in Hessen schon zum Ausschluss führen, Bayern will andere Erklärungen zum Angebot als Berlin oder Sachsen-Anhalt.

Seit es den bundesweiten Mindestlohn gibt, braucht es keine landesspezifischen Regelungen mehr. Sie wurden ursprünglich nur eingeführt, weil es keinen bundesweiten Mindestlohn gab. Jetzt haben wir allerlei „Vergabe-Mindestlöhne“ nebeneinander, z.B. auch in Bremen und Niedersachsen, obwohl de facto ein einheitlicher Wirtschaftsraum besteht. Das ist grotesk, ebenso wie der eifernde Wettbewerb der Bundesländer um den höchsten Mindestlohn, der scheinbar die höchsten Sozialstandards signalisieren soll, in Wirklichkeit aber nur kaum zu überprüfende bürokratische Anforderungen aufbaut. Alle Landesvergabegesetze gehören schleunigst abgeschafft, nur der Bund sollte vergaberechtliche Vorgaben treffen. Ein schlankes Vergaberecht spart Zeit, vermeidet Fehler - und macht den Wettbewerb effizienter und fairer.

These 8: Bieter müssen leichter Alternativvorschläge zur Ausschreibung machen können

Alternativvorschläge - sog. Nebenangebote – sind seit langem in Angeboten für Bauleistungen üblich, werden aber oft nicht berücksichtigt, weil Auftraggeber Sorge haben, sie würden nicht in die vorab mitgeteilten Wertungs- oder Qualitätskriterien passen. Dennoch werden oft Nebenangebote mit wesentlich intelligenteren technischen Ideen oder einer schnelleren Ausführung oder niedrigeren Folgekosten erarbeitet. Es muss leichter werden, solche intelligenten Bietervorschläge zu berücksichtigen, ohne ein Vergabeverfahren aufzuheben oder an den Anfang zurückzuversetzen. Über solche Nebenangebote sollten Verhandlungen ermöglicht werden, damit viele Bieter sich Gedanken machen, ob und wie sie eine ausgeschriebene Leistung besser machen und anbieten können.

These 9: Mut zu großen Ausschreibungen und neuen Vertragskonzepten

Das gewaltige Investitionsprogramm für Verteidigung und Infrastruktur kann von den bestehenden Beschaffungsstrukturen des Bundes und der Länder nicht bewältigt werden. Hier bedarf es beherzter, neuer Ausschreibungskonzepte. Maßnahmen wie Brückensanierungen und Neubauten könnten sowohl auf der Genehmigungsseite, wie auch bei Planung und Ausführung einem Komplettanbieter überlassen werden. Brücken sollten möglichst als vorgefertigte Teile gebaut werden, weil das die Bauzeit maximal verkürzt und den Verkehr minimal beeinträchtigt. Dieser Anbieter muss dann auch die Planung erbringen, nicht der Bauherr wie bisher. Ob dann viele Brücken gleich aussehen werden, ist demgegenüber nachrangig. Bei wichtigen Verkehrsstrecken muss das ganze Jahr über 7 Tage die Woche und auch nachts gearbeitet werden können, allerdings auch seitens des Auftraggebers, der Zwischenabnahmen und Prüfungen auch am Wochenende durchführen muss. Hier stehen oft noch überholte Feiertagsgesetze im Weg.

Mehrkosten in der Ausführung müssen nach einfachen Formeln vorläufig an die Auftragnehmer gezahlt werden können, das erhöht die Motivation. Später wird dann im Detail verhandelt. Die Auftraggeber müssen generell kurze Zahlungsfristen einhalten und sonst automatisch zu Verzugszinsen verpflichtet sein. Die Kündigungsmöglichkeiten bei Bauaufträgen sind sinnvoll einzuschränken, um den Projektfortschritt nicht zu gefährden. Auf Basis der VOB/B sollte die öffentliche Hand einen echten Musterbauvertrag entwickeln, der eine faire Risikoverteilung vorsieht.

These 10: Wenn es doch Streit gibt - dann mit neuen Methoden

Bei Streitigkeiten in Bauprojekten ist eine verbindliche Adjudikation auch in öffentlichen Verträgen vorzusehen, damit nicht alles auf einen späteren, langen Prozess vor Gericht geschoben werden kann. Alle großen Infrastrukturprojekte sollten vor den neuen Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten prozessiert werden können, die seit April in Deutschland für große Verfahren eingeführt wurden. Auch der staatliche Auftraggeber soll sich dort verklagen lassen können, was bisher noch nicht vorgesehen ist. Und: um ein faires Verfahren zu gewährleisten, muss die Befreiung staatlicher Auftraggeber von den Gerichtskosten entfallen oder sie muss auch der anderen (privaten) Partei gewährt werden. Dass bisher der Staat kostenfrei prozessieren kann, seine Vertragspartner aber das Gericht zu 100% bevorschussen und am Ende auch Kosten tragen müssen, ist eine überholte Regelung und heute nicht mehr rational begründbar. Zusätzlich ist den Vertragsparteien die Wahl zu lassen, dass auch ein Schiedsgericht mit der Klärung von Streitigkeiten eingesetzt werden kann.

Autor

Prof. Dr. Ralf Leinemann

Prof. Dr. Ralf Leinemann

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