News | Newsletter | Neues zum Vergaberecht 04/2025
Transparenz beim Zielpreisverfahren: „10,9 Mio. Euro“ ≠ „10.900.000,00 Euro“
Wenn der öffentliche Auftraggeber im Verhandlungsverfahren einen Zielpreis „von 10,9 Mio. Euro“ nennt, muss er unmissverständlich klarstellen, ob damit die exakte Summe von 10.900.000,00 Euro gemeint ist. Andernfalls fehlt es an der erforderlichen Transparenz. In dem zugrunde liegenden Verfahren beanstandete die Vergabekammer die finale Angebotsaufforderung, weil der Zielpreis aus Sicht der Bieter entgegen § 17 Abs. 13 VgV nicht eindeutig zu interpretieren war.
VK Bund, Beschluss vom 16.05.2025, VK 1-32/25
Der Antragsgegner (AG) führte ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb zur Erstellung von Grundlagenmodellen durch. Nach einem Erstangebot und einem Testauftrag sahen die Unterlagen ein Zielpreisverfahren vor: Auf Basis der indikativen Angebote sollte der Median ermittelt, den erfolgreichen Bietern als Zielpreis mitgeteilt und der Zuschlag auf die vier Angebote erteilt werden, die diesem Zielpreis am nächsten kommen. Die Bewertungsmatrix stellte hierfür auf die „größte Nähe zum Zielpreis“ ab. In der finalen Runde teilte der AG einen Zielpreis „von 10,9 Mio. Euro“ mit. Die Antragstellerin (ASt) bot, wie zuvor, einen Preis von 10.903.925,00 Euro; die Beigeladenen jeweils 10.900.000,00 Euro. Der Zuschlag sollte an die vier Beigeladenen gehen. Die ASt rügte, die Zielpreisangabe sei intransparent. Mathematisch sei „10,9 Mio. Euro“ nicht notwendig gleich 10.900.000,00 Euro, vielmehr erkenne sie darin den aus Gründen des Geheimwettbewerbs gerundeten Median ihres Erstangebots wieder. Sie verwies zudem darauf, dass das Angebotsformblatt Fragen nicht ausräume und die Rundungspraxis (DIN 1333) nicht für eine Gleichsetzung spreche. Der AG hielt dem entgegen, aus dem Empfängerhorizont und dem Verhalten der Mitbieter ergebe sich, dass der exakte Betrag gemeint gewesen sei. Die Festlegung diene dem Geheimwettbewerb. Die ASt leitete ein Nachprüfungsverfahren ein.
Mit Erfolg! Die VK Bund erklärte den Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet. Sie stellte zunächst klar, dass der Auftraggeber zwar nicht verpflichtet ist, den Zielpreis identisch mit dem Medianpreis festzusetzen. Den Unterlagen sei lediglich zu entnehmen, dass der Zielpreis „auf Basis des Median“ ermittelt werde. Vergaberechtswidrig sei aber die Kommunikation des Zielpreises in der finalen Aufforderung zur Abgabe eines Angebots: Die Formulierung „Zielpreis von 10,9 Mio. Euro“ sei nicht hinreichend präzise. Aus Sicht eines verständigen Bieters sei diese Angabe nicht eindeutig mit 10.900.000,00 Euro gleichzusetzen. Gerade die ASt durfte - weil ihr Erstangebot den Median bildete - annehmen, dass die gerundete Angabe ihren Betrag abbilde. Die Gleichbehandlung aller Bieter und das Transparenzgebot im Verhandlungsverfahren nach § 17 Abs. 13 VgV verlangten eine eindeutige, für alle gleiche Informationslage. Dazu gehöre, den exakten Zielpreis zu benennen, wenn die exakte Zahl maßgeblich sein soll. Für die Auslegung sei nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen. Die Übereinstimmung anderer Bieterpreise mit 10.900.000,00 Euro entfalte keine Indizwirkung, weil die ASt, anders als ihre Mitbewerber, aufgrund des Verfahrensablaufs ihren Median wiedererkennen durfte. Nicht durchgreifend sei der Einwand des AG, die Vergabeunterlagen hätten allein den exakten Preis als Bewertungsgrundlage vorgesehen: Auch dort werde mehrfach von einer „Nähe“ zum Zielpreis gesprochen, was das Verständnis einer gerundeten Angabe nicht ausschließe.
Ob darüber hinaus das Zielpreisverfahren als solches mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 97 Abs. 1 GWB unvereinbar sein könne, lässt die Vergabekammer offen. Denn darauf kam es wegen des festgestellten Transparenzverstoßes nicht an.
Die Vergabekammer ordnete nach alledem die Rückversetzung des Verfahrens und eine erneute Angebotsaufforderung unter Nennung des exakten Zielpreises an.
Fazit
Die Entscheidung unterstreicht, dass Zielpreisverfahren nur dann rechtssicher durchgeführt werden können, wenn die maßgeblichen Wertungskriterien, insbesondere der Zielpreis, inhaltlich eindeutig und formal klar mitgeteilt werden. Die Verwendung gerundeter Beträge oder abgekürzter Formulierungen wie „10,9 Mio. Euro“ kann aus Bietersicht unterschiedlich verstanden werden und genügt nicht den Anforderungen an Transparenz und Gleichbehandlung. Maßgeblich ist, dass der Zielpreis so konkret benannt wird, dass er für alle Bieter zweifelsfrei identifizierbar ist. Auch die Wahl der Bewertungsmethode, ob eine Punktlandung oder eine Nähe zum Zielpreis gewertet wird, muss klar geregelt und in den Unterlagen nachvollziehbar dargestellt sein. Unklarheiten in wertungsrelevanten Angaben gehen regelmäßig zulasten des öffentlichen Auftraggebers. Lesbarkeitsgründe sind keine ausreichende Rechtfertigung für eine unpräzise Angabe, wenn dies die Eindeutigkeit und Transparenz des Verfahrens beeinträchtigt.
Autor
Laura Maria Wloka
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