News | Newsletter | Neues zum Baurecht 02/2025
Neue Möglichkeiten im Prozess durch Commercial Courts
Ralf Leinemann & Oleksiy Melnikov
Seit April 2025 haben einige Bundesländer eine neue Möglichkeit geschaffen, die Unternehmen eine verbesserte Möglichkeit zur Prozessführung vor Gericht gibt. An den OLG’s wurden sog „Commercial Courts“ eingerichtet, die bei Prozessen ab 500.000 € Streitwert als erste Instanz tätig werden können. Sie sind mit besonders spezialisierten Richtern besetzt.
Im April 2025 wurden Senate als Commercial Courts in Berlin am Kammergericht, sowie an den OLG’s Düsseldorf Bremen und Stuttgart eingerichtet. Das OLG Frankfurt will zum 1. Juli folgen, ebenso Hamburg. Sind Unternehmen die Parteien eines Rechtsstreits, können sie einen der bestehenden Commercial Courts für ihren Prozess wählen. Die Landesregierungen legen durch Rechtsverordnung fest, welche Sachgebiete (§ 119b Abs. 1 S. 2 GVG) vor den Commercial Court kommen können. Meist sind das jedenfalls auch Bausachen (außer in Bremen).
Diese neuen Commercial Courts sind ein zusätzliches Angebot der staatlichen Gerichtsbarkeit für größere Prozesse. Man will eine stärker professionalisierte Verfahrensführung in Anlehnung an das Verfahren bei Schiedsgerichten erreichen. So ist etwa die Durchführung eines frühen „Organisationstermins“ zwischen Gericht und Parteien vorgesehen, § 612 ZPO n. F. In Schiedsverfahren heißt das „case management conference“ und dient der wichtigen Vorstrukturierung des Verfahrens gemeinsam mit den Parteien. Wie im internationalen Schiedsverfahren kann vor dem Commercial Court auf Antrag auch ein Wortprotokoll aufgenommen werden (wie ein transcript im Schiedsverfahren).
Baurechtlicher Schwerpunkt in Düsseldorf und Berlin
Für Bauprozesse ist es besonders erfreulich, dass besonders qualifizierte Baurechtler den Vorsitz der Commercial Courts übernehmen: am Berliner Kammergericht ist das Björn Retzlaff und beim OLG Düsseldorf Tobias Rodemann. Damit sind diese beiden Gerichte besonders interessant für künftige große Bauprozesse. Das schafft interessante neue Möglichkeiten, denn die meisten Landgerichte sind mit umfangreichen Baustreitigkeiten eher überfordert. Für alle, die künftig baurechtlich prozessieren müssen, gibt es nun eine interessante Alternative zur hergebrachten Klage beim Landgericht.
In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin (ab Juli in Hessen) sind an den Landgerichten zusätzlich noch „Commercial Chambers“ eingerichtet, also entsprechend spezialisierte Kammern, vor denen auch auf Englisch verhandelt werden kann und die für Streitwerte unter 500.000 € zuständig sind.
Zuständigkeit muss vereinbart werden
Man kommt nicht automatisch zum Commercial Court. Erste Voraussetzung ist ein Streitwert ab 500.000 €. Die streitenden Parteien müssen dann im Einzelfall (bei künftigen Verträgen auch vorab durch eine entsprechende Vertragsklausel) vereinbaren, dass ihre Sache vom Commercial Court entschieden werden soll. Einigt man sich nicht, muss eine Klage auch weiterhin beim Landgericht eingereicht werden und kommt dann als Bausache zur Baukammer, die seit 2018 an allen LG’s eingerichtet sind. Wurde in Verfahren, in denen die Parteien die Zuständigkeit des Commercial Courts vereinbaren können, die Klage beim Landgericht anhängig gemacht, kann sie nach § 611 Abs. 1 ZPO zum Commercial Court verwiesen werden, wenn der Streitwert über 500.000 € geht und beide Parteien das wollen. Das gilt auch bei späterer Streitwerterhöhung.
Auch die rügelose Einlassung ist möglich, sofern grundsätzlich die Zuständigkeit des Commercial Court vereinbart werden könnte. Allerdings kann man dann auch gleich eine ausdrückliche Vereinbarung treffen.
Verfahrenssprache
Vor dem Commercial Court kann das Verfahren sogar in englischer Sprache geführt werden, wenn die Parteien das vereinbaren (§ 184a GVG). Ein später hinzukommender Streitverkündeter kann dann verlangen, dass ggf. für ihn gedolmetscht und übersetzt wird.
Allerdings gibt es zum Zwecke der Wahrung der Verjährungsfristen eine kritische Regelung in § 607 Abs. 1 S. 1 ZPO. In einem englischsprachigen Verfahren gilt ein in englischer Sprache verfasster Schriftsatz als nicht zugestellt, wenn der Dritte die englische Sprache nicht versteht und der Zustellung deshalb binnen zwei Wochen gegenüber dem Gericht widerspricht. Das kann (nur) geheilt werden, wenn die streitverkündende Partei binnen zwei Wochen nach einer „unverzüglichen“ Inkenntnissetzung und Aufforderung durch das Gericht (§ 607 Abs. 2 ZPO) eine deutsche Übersetzung zusammen mit dem englischsprachigen Schriftsatz zustellen lässt (§ 607 Abs. 3 S. 1, 3 ZPO).
Besonders heikel ist § 607 Abs. 1 ZPO, wenn es sich bei dem „Dritten“ (Streitverkündeten) um eine ARGE handelt. Auf wessen Kenntnis ist dann abzustellen – muss der Geschäftsführer des Federführers Englisch können oder irgendein Mitarbeiter? Nach dem Wortlaut des § 607 Abs. 1 ZPO n.F. sind die kumulativ erforderlichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Widerspruchs gegen die Zustellung, dass der Dritte die englische Sprache nicht versteht und „deshalb“ der Zustellung widerspricht. Die bloße Behauptung, man könne kein Englisch, reicht wohl nicht allein. Die Begründung des Gesetzentwurfs bleibt hier ohne Aussage (BT-Ds. 20/8649, S. 34). Im Ergebnis wird ein Streitverkünder nicht umhinkommen, zumindest die Streitverkündungsschriftsätze in Anlehnung an die Vorgehensweise des § 607 Abs. 3 S. 1 ZPO auf Deutsch und Englisch einzureichen und vorsorglich deren Zustellung beantragen. Man kann aber davon ausgehen, dass für Zwecke des Bauprozesses eher auf Deutsch prozessiert werden wird.
Verfahren und Revision
Gegen alle Urteile des Commercial Courts ist stets automatisch die Revision zum BGH zugelassen, § 614 ZPO n. F. Nähere Regelungen enthalten die neu eingefügten §§ 610 bis 614 ZPO.
Der Staat ist nicht Partei vor dem Commercial Court
Leider sind die Commercial Courts nur für Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern (§ 14 BGB) zuständig, so dass Klagen gegen die öffentliche Hand dort nicht verhandelt werden können.
Große Baustreitigkeiten involvieren aber sehr oft staatliche Stellen als Auftraggeber. Daher ist diese Beschränkung aus Praxissicht dringend korrekturbedürftig. Zudem profitiert der Staat als typischer Beklagter von der langen Verfahrensdauer neben der kaum begreiflichen Begünstigung, von allen Prozesskosten befreit zu sein (§ 2 Abs. 1 GKG). Ob sich der Bundesgesetzgeber dieses Problems bewusst war und die angestrebte Beschleunigung gerade bei den Großverfahren mit Beteiligung der öffentlichen Hand nicht gewollt hat, ist der Gesetzesbegründung (BT-Ds. 20/8649) leider nicht eindeutig zu entnehmen. Die Gesetzesbegründung stellt als einen der Zwecke der Reform dar, die „Landgerichte von unternehmerischen Großverfahren“ entlasten zu wollen (BT-Ds. 20/8649 S. 17). In der Infrastruktur ist jedoch die öffentliche Hand der Standard-Beklagte in Großprozessen. Auch in Hinblick auf die „…erhebliche Entlastung der Wirtschaft von Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren durch die Möglichkeit des Überspringens der ersten Instanz der Landgerichte…“ (BT-Ds. 20/8649 S. 22), besteht keine Veranlassung, gerade die Verfahren gegen den Staat als Auftraggeber von der Möglichkeit des Instanzensprungs auszuschließen. Hier besteht Reformbedarf, auch der Staat soll vor die Commercial Courts gehen können.
Immerhin können aber als GmbH oder AG verfasste öffentliche Unternehmen auch die Zuständigkeit des Commercial Court vereinbaren, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn AG oder Stadtwerke-GmbHs, Flughäfen und Verkehrsbetriebs-GmbH‘s. Da der Commercial Court ein ordentliches, staatliches Gericht gem. GVG darstellt, sollte einer entsprechenden Vereinbarung auch in diesen Fällen nichts im Wege stehen.
Ausblick
Mit den neu geschaffenen Commercial Courts besteht jetzt eine interessante Möglichkeit zur Prozessführung vor allem in größeren Baustreitigkeiten. Wer solche Verfahren einleiten muss und kein Schiedsgericht vereinbaren kann oder will, sollte einen Prozess vor dem Commercial Court künftig in Erwägung ziehen. Jedenfalls die Zuständigkeit des Kammergerichts und des OLG Düsseldorf kann auch dann vereinbart werden, wenn die Verfahren nicht aus deren Gerichtsbezirk stammen.
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