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(Noch) Keine Entschädigung bei witterungsbedingten Einflüssen

BGH, Urteil vom 20.04.2017 - VII ZR 194/13

Es ist vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen keine dem Auftraggeber obliegende erforderliche Mitwirkungshandlung im Sinne des § 642 BGB, während der Dauer des Herstellungsprozesses außergewöhnlich ungünstige Witterungseinflüsse auf das Baugrundstück in Form von Frost, Eis und Schnee, mit denen nicht gerechnet werden musste, abzuwehren.*)

Ein Auftragnehmer (AN) wird in 2009 unter Einbeziehung der VOB/B mit der Errichtung einer Autobahnbrücke beauftragt. Die Leistungen sollen am 15.05.2010 fertig gestellt sein. Anfang 2010 stellt sich eine außergewöhnlich lange Periode mit Frost, Eis und Schnee ein, die über den Durchschnittswerten der vorangegangenen 30 Jahre liegt. Der AN zeigt dem Auftraggeber (AG) die witterungsbedingte Einstellung der Bauarbeiten an. Am 08.03.2010 nimmt er die Leistungen wieder auf. Ein Nachtragsangebot des AN, mit dem er auch die Kosten für die Vorhaltung von Baustelleneinrichtung, Baustellengemeinkosten, Personal sowie wegen Unterdeckung der Allgemeinen Geschäftskosten in Höhe von etwa EUR 100.000 aufgrund der witterungsbedingten Verzögerung geltend macht, lehnt der AG ab. Der AN erhebt Klage und unterliegt vor dem LG und dem OLG. Mit seiner Revision verfolgt der AN seinen Anspruch weiter.

Ohne Erfolg in dieser konkreten Fallkonstellation. Die Parteien haben für den Fall, dass wegen außergewöhnlich ungünstiger Witterungseinflüsse eine Behinderung des AN vorliegt und eine Verlängerung der Ausführungsfristen gemäß § 6 Nr. 2 Abs. 1 c), Nr. 1 VOB/B erfolgt, keine Anpassung des Vergütungsanspruchs vereinbart. Auch § 642 BGB, der einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch des AN bei Annahmeverzug des AG regelt, kam hier nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann eine angemessene Entschädigung verlangt werden, wenn der AG eine ihm obliegende Mitwirkungshandlung unterlässt, die bei der Herstellung des Werks erforderlich ist, und hierdurch in Verzug der Annahme gerät. Voraussetzung ist eine erforderliche Mitwirkungshandlung des AG bei der Herstellung des Werks. Mitwirkungshandlungen des AG sind dabei in einem weiten Sinn zu verstehen und können sowohl in einem Tun als auch in einem Unterlassen bestehen. Maßgebend ist, dass ohne die Mitwirkung des AG die Herstellung des Werks nicht erfolgen kann. Ob dem AG eine erforderliche Mitwirkungshandlung in diesem Sinne obliegt, kann nur anhand des Vertrags der Parteien ermittelt werden. Art und Umfang der dem AG obliegenden erforderlichen Mitwirkungshandlung sind danach durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien gemäß §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art und Beschaffenheit des vom AN herzustellenden Werks und der vom AN übernommenen Leistungspflichten, zu bestimmen; daneben kann auch die Verkehrssitte von Bedeutung sein.

Nach diesen Maßstäben hat der AG keine ihm obliegende Mitwirkungshandlung unterlassen. Allerdings ergibt sich aus dem Umstand, dass die Parteien als herzustellendes Werk die Errichtung einer Autobahnbrücke vereinbart haben, im Wege der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB, dass der AG als erforderliche Mitwirkungshandlung des AN das betreffende Baugrundstück während des Herstellungsprozesses für die Erbringung der vereinbarten Leistungen zur Verfügung zu stellen hatte. Hieraus ergibt sich ferner, dass der AG grundsätzlich auch gehalten war, das Baugrundstück in einer Weise zur Verfügung zu stellen, dass der AN die von ihm geschuldeten Leistungen erbringen konnte, mithin etwa erforderliche Vorarbeiten, die nicht vom AN zu leisten waren, rechtzeitig durchgeführt wurden. Indes kann dem Vertrag nicht entnommen werden, dass es dem AG oblag, für die Dauer des Herstellungsprozesses zugrunde zu legenden äußeren Einwirkungen in Form von Frost, Eis und Schnee auf das zur Verfügung gestellte Baugrundstück abzuwehren. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass die Verhinderung dieser Einwirkungen für eine Fortführung der Bauausführung erforderlich gewesen wäre. Eine ausdrückliche Regelung zu einer derartigen Mitwirkungshandlung haben die Parteien nicht getroffen. Sie kann dem Vertrag unter Berücksichtigung des Verständnisses einer redlichen Partei auch nicht konkludent entnommen werden. Bei Frost, Eis und Schnee handelt es sich um Umstände, die von keiner Partei beeinflusst werden können. Darüber hinaus ist es auch tatsächlich oder zumindest mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln nicht möglich, diese Einwirkungen auf das Baugrundstück durch Schutzmaßnahmen in einer Weise auszuschließen, dass die Erbringung der anstehenden Leistungen des AN möglich gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund verbietet sich die Annahme, eine hierauf gerichtete Mitwirkungshandlung des AG ergebe sich im Wege der Auslegung auch ohne ausdrückliche Regelung konkludent aus dem Vertrag.

Fazit:

Auch wenn der AN hier mit seinem Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB unterlag, enthält die Entscheidung des BGH für die Zukunft einen wesentlichen Hinweis. Wenn es tatsächlich oder mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln nicht möglich ist, die hindernden Einwirkungen auf das Baugrundstück durch Schutzmaßnahmen in einer Weise auszuschließen, dass die Erbringung der anstehenden Leistungen des AN möglich sind, muss umgekehrt gelten, dass eine Entschädigung nach § 642 BGB in Betracht kommt, wenn solche Maßnahmen durch den AG tatsächlich möglich sind und mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln erreicht werden können, der AG aber solche Maßnahmen nicht ergriffen hat. Dies gilt etwa für entstandene Unwetterschäden, die der AG nicht beseitigt und durch die der AN außerstande gesetzt wird, seine Leistungen weiter auszuführen. Das muss auch für die Schutzmaßnahmen gelten, die der AG vor angekündigten ungewöhnlichen Witterungseinflüssen in zumutbarer Weise erbringen kann. Dann allerdings muss vor dem Ereignis eine den Annahmeverzug begründende (Behinderungs-) anzeige gemäß §§ 293 ff. BGB des AN in die Zukunft gerichtet sein.

Autor

Dr. Thomas Hildebrandt

Dr. Thomas Hildebrandt

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