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Kündigungsrecht des AN nach § 6 Abs. 7 VOB/B bei Verzögerung des Baubeginns

OLG Frankfurt, Urteil vom 28.04.2017, Az.: 29 U 166/16 (nicht rechtskräftig)

Ein Bauvertragspartner kann den Bauvertrag aus wichtigem Grund kündigen, wenn der andere Bauvertragspartner seine Vertragspflichten grob verletzt hat, etwa dadurch, dass er seinerseits unberechtigt gekündigt hat.*)

Das Kündigungsrecht des Auftragnehmers nach § 6 Abs. 7 VOB/B setzt nicht voraus, dass mit den Arbeiten bereits begonnen worden ist. Es reicht auch aus, dass sich der vertraglich vorgesehene Beginn um mehr als drei Monate hinausschiebt.*)

Eine den Baubeginn nicht fixierende, sondern vom Abruf des Auftraggebers abhängig machende Regelung ähnlich § 5 Abs. 2 VOB/B ist regelmäßig als Bestimmungsrecht nach billigem Ermessen zu verstehen. Der Bauunternehmer wird durch ein derartiges Abrufrecht nicht unangemessen benachteiligt.*)

Wann ein Hinauszögern des Leistungsabrufs durch den Auftraggeber nicht mehr billigem Ermessen entspricht, sondern für den Auftragnehmer unzumutbar ist, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab. Bei einem Bauvorhaben erheblichen Umfangs (hier: drei Mehrfamilienhäuser) kann jedenfalls ein Abruf binnen drei Monaten nach dem im Vertrag unverbindlich abgegebenen „Circa.“-Baubeginns noch ermessensfehlerfrei sein.*)

Mit der Klage vor dem OLG Frankfurt macht die Bauherrin (Klägerin) gegenüber der Auftragnehmerin (Beklagten) Ersatz für Mehrkosten nach Kündigung eines Bauvertrages sowie die Erstattung von Kosten eines Privatgutachtens geltend. Ende April schlossen die Parteien einen Vertrag über umfangreiche Fliesenarbeiten für das Projekt „Neubau X, Stadt 1“, den Bau von drei Mehrfamilienhäusern. Im Vertrag selbst wurde kein verbindlicher Termin zum Beginn der Ausführung festgehalten, sondern nur der Zeitraum des voraussichtlichen Zeitpunkts der Leistungsaufforderung mit „April/Mai 2013“ geregelt. In den besonderen Vertragsbedingungen ist unter Bezugnahme auf § 5 Abs. 2 S. 2 VOB/B für die Klägerin das Recht geregelt, den Beginn der Arbeiten einseitig durch Abruf anzuordnen. Nachdem bis zum 05.08.2013 ein Abruf der Leistungen durch die Klägerin nicht erfolgt war, erklärte die Beklagte mit Schreiben von diesem Tag die Kündigung des Vertrages. Daraufhin forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihre Bereitschaft zur Leistungserbringung bis zum 08.08.2013 mitzuteilen, welche die Beklagte mit Schreiben vom 07.08.2013 ausdrücklich verweigerte. Daraufhin kündigte die Klägerin ihrerseits den Vertrag am 08.08.2013. Das LG Frankfurt am Main gab der Klage statt. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Berufung.

Ohne Erfolg! Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B. Mit dem Schreiben vom 08.08.2013 hatte die Klägerin den streitgegenständlichen Bauvertrag wirksam gekündigt. Das Kündigungsrecht der Klägerin folgte hierbei aus der groben Vertragsverletzung durch die Beklagte, durch die zuvor am 05.08.2013 erfolgte, unberechtigte Kündigung, denn ein Kündigungsrecht nach § 6 Abs. 7 VOB/B war nicht gegeben. Die Voraussetzung hierfür wäre eine Unterbrechung der Arbeiten von mehr als drei Monaten gewesen und eine solche lag zum Zeitpunkt der Kündigung der Beklagten nicht vor. Dabei stellt das OLG Frankfurt ausdrücklich heraus, dass mit der Ausführung der Leistungen nicht notwendigerweise begonnen worden sein muss, um den Unterbrechungstatbestand zu bejahen. Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 7 VOB/B klingt es zwar so, als müsse sich das Bauvorhaben im Ausführungsstadium befinden, dies ist jedoch nicht der Fall. Es besteht auch dann ein Kündigungsrecht, wenn sich der vertraglich vorgesehene Beginn um mehr als drei Monate hinausschiebt. Dass im vorliegenden Fall im Vertrag kein bestimmter Termin zur Leistungserbringung vorgesehen war, führt noch nicht zu einer Versagung des Kündigungsrechts nach § 6 Abs. 7 VOB/B. In solchen Fällen kann ein Kündigungsrecht vorliegen, wenn der Auftraggeber die Leistung trotz entsprechender Aufforderung des Auftragnehmers über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten nicht abruft. Der Auftraggeber darf die Leistung auch ohne Terminvereinbarung nicht auf unbestimmte Zeit hinausschieben. Im vorliegenden Fall ergab sich aus dem Vertrag ein Zeitpunkt zur Leistungsaufforderung für April/Mai 2013. Das Berufungsgericht stellte fest, dass ein Abruf der Leistung dann noch zulässig ist, wenn er zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die dem Vertrag zugrunde gelegte Vergütung des Auftragnehmers noch dem für ihn bei der Angebotsabgabe vorhersehbaren Wagnis entspricht und er im Rahmen seiner betrieblichen Disposition im Hinblick auf die Erfüllung anderer Bauverträge nicht in unüberwindliche oder nur mit unzumutbarem Verlust verbundene Schwierigkeiten gerät. Bei Bauprojekten mit erheblichem Umfang, wie dem vorliegenden, dem Bau von drei Mehrfamilienhäusern, sind Verzögerungen des Bauablaufs keine Seltenheit. Nach dem Vertrag musste die Beklagte zumindest mit einem Abruf bis Ende Mai 2013 rechnen. Danach stand der Klägerin unter Berücksichtigung der Regelungen des § 6 Abs. 7 VOB/B noch ein Zeitraum von drei Monaten für den Abruf zur Verfügung. Demzufolge wären ein Kündigungsrecht der Beklagten nach § 6 Abs. 7 VOB erst bei einer möglichen Unterbrechung bis September 2013 entstanden. Eine solche hatte die Beklagte aber nicht behauptet. Als Ausnahme, stellte das Berufungsgericht klar, ist ein Kündigungsrecht vor Ablauf der dreimonatigen Frist nur dann zulässig, wenn mit Sicherheit feststeht, dass die Unterbrechung länger als drei Monate andauern wird. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Ein Kündigungsrecht nach § 9 Abs. 1 VOB/B, verneinte das OLG ebenfalls, denn die Klägerin befand sich zum Zeitpunkt der Kündigung Anfang August 2013 noch nicht im Annahmeverzug, weil ihr Ermessensspielraum, wie gerade dargestellt, noch nicht überschritten war. Ob die E-Mail vom 05.08.2013 eine hinreichende Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung im Sinne des § 8 Abs. 3 VOB/B darstellte, war im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, weil die Beklagte mit Schreiben vom 07.08.2013 jedenfalls eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung abgegeben hatte.

Fazit:

Bevor das Kündigungsrecht nach § 6 Abs. 7 VOB/B ausgeübt wird, sollte also immer genau geprüft werden, ob ein Unterbrechungszeitraum von drei Monaten bereits vorliegt. Dies kann, wie das OLG Frankfurt klarstellte, auch bereits vor Ausführungsbeginn, bei Verzögerung des Baubeginns möglich sein. Für das Kündigungsrecht nach § 6 Abs. 7 ist dabei zu beachten, dass es für beide Vertragsparteien besteht; grundsätzlich auch für die Partei, aus deren Risikobereich die Ursache der Unterbrechung der Bauausführung stammt, denn in dieser Regelung wird grundsätzlich gerade nicht nach Risikosphären oder nach Verschulden differenziert (siehe Leinemann-Leinemann/Kues, VOB/B, 6. Aufl. 2016, § 6, Rn. 277), allerdings ist dann immer im Einzelfall zu prüfen, ob eine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag für die kündigende Partei gegeben ist.

Es wurde Revision eingelegt und es ist zu erwarten, dass der BGH dieses Urteil bestätigt.

Autor

Eva Hildebrandt-Bouchon, M.A.

Eva Hildebrandt-Bouchon, M.A.

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