Section-Image

Zur AGB-rechtlichen Unwirksamkeit von „Kombi-Bürgschaften“ in Bauverträgen

LG Köln, Urteil vom 14.10.2021 - 8 O 440/20

Der Fall

Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit umfangreichen Bau- und Abbrucharbeiten. Bestandteil des Vertrages waren die VOB/B sowie die „Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau, Ausgabe 2014“ (ZVB/E‑StB 2014) als Teil des „Handbuchs für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau“ (HVA B-StB) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und digitale Infrastruktur. Die ZVB/E-StB 2014 enthielten folgende Regelungen bzgl. der geforderten Sicherheitsleistungen des Auftragnehmers:

„110     Sicherheitsleistung

110.1   Sicherheit für Vertragserfüllung ist (…) in Höhe von 5 % der Auftragssumme (ohne Nachträge) zu leisten. Diese wird nach Abnahme auf Verlangen des Auftragnehmers gegen eine Sicherheit für Mängelansprüche ausgetauscht.

110.2   Die Sicherheit für Mängelansprüche beträgt 3 % der Brutto-Abrechnungssumme. Sind bei der Abnahme festgestellte Mängel noch zu beseitigen, ist hierfür als Sicherheit ein Druckzuschlag (brutto) gem. § 641 (3) BGB als Einbehalt (…) zu leisten. (…) Wenn ein Einbehalt nicht möglich ist, kann zur Absicherung des Druckzuschlags separat eine gesonderte Mängelansprüchebürgschaft gestellt werden.

(…)

  1. Bürgschaften

111.1   Wird Sicherheit durch Bürgschaft geleistet, sollen die für den jeweiligen Sicherungszweck einschlägigen Formblätter des Auftraggebers verwendet werden. Werden andere Formblätter verwendet, müssen diese inhaltlich vollständig den betreffenden Formblättern des Auftraggebers entsprechen und zwar für:

-           die Vertragserfüllung das Formblatt (kombinierte) „Vertrags- und Mängelansprüchebürgschaft“

            -           die Mängelansprüche das Formblatt „Mängelansprüchebürgschaft“ (…).

(…)

111.5   Die Urkunde über die (kombinierte) Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft ist unter Beachtung der Regelungen in Ziffer 110.2 nach Abnahme gegen eine Mängelansprüchebürgschaft auszutauschen.“

Nach Kündigung des Bauvertrages verlangte die Klägerin die Herausgabe der gestellten Vertragserfüllungsbürgschaft unter Bezugnahme auf die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede in den ZVB/E-StB 2014 aus § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Nach Weigerung der Beklagten wurde die Herausgabe eingeklagt.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Das LG Köln hielt die gesamte Sicherungsabrede der Vertragserfüllungssicherheit wegen der benachteiligenden Klauseln für unwirksam und verurteilte die Beklagte nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zur Herausgabe der aufgrund der unwirksamen Klauseln hergegebenen Bürgschaftsurkunde. In seinem Urteil führt das LG aus, dass die genannten Klauseln eine Übersicherung der Beklagten ermöglichen und deshalb eine unangemessene Benachteiligung für die Klägerin darstellen. Zwar ist die Forderung einer Sicherheit für die Vertragserfüllung i.H.v. 5 % der Auftragssumme nach Ziff. 110.1 ZVB/E-StB 2014 sowie die Forderung einer Sicherheit für Mängelansprüche i.H.v. 3 % der Brutto-Abrechnungssumme nach Ziff. 110.2 ZVB/E-StB 2014 jeweils für sich genommen nicht zu beanstanden. Bei Zugrundelegung der kundenfeindlichsten Auslegung der Klauseln kommt jedoch die Möglichkeit in Betracht, dass die Klägerin für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Mängelansprüche der Beklagten eine Sicherheit i.H.v. 5 % der Auftrags- und 3 % der Abrechnungssumme leisten muss. Denn aufgrund der Formulierungen in den genannten Klauseln ist eine Auslegung denkbar, nach der die Sicherheit für die Vertragserfüllung, wenn sie als Bürgschaft geleistet wird, auch Mängelansprüche nach Abnahme (und nicht, wie von der Beklagten angeführt, lediglich Mängelansprüche vor Abnahme) mit umfasst. Es ist ebenfalls denkbar, dass diese Bürgschaft noch längere Zeit nach der Abnahme nicht zurückgegeben wird, während bereits zeitgleich die Sicherheit für Mängelansprüche verlangt werden kann. Diese Überschneidung kann dazu führen, dass insgesamt eine Übersicherung der Mängelansprüche vorliegt, denn die zulässige Höchstgrenze für eine Absicherung von Mängelansprüchen nach der Abnahme liegt bei 5 % der Abrechnungssumme. Es fehlt in den ZVB/E-StB 2014 an einer eindeutigen Definition, welche Ansprüche von den jeweils zu stellenden Bürgschaften erfasst sein sollen. Der Umstand, dass auch eine kundenfreundliche Auslegung dahingehend vertretbar wäre, dass die „(kombinierte) Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft“ nur Mängelansprüche vor der Abnahme absichern soll, ist nicht ausschlaggebend, da für die Beurteilung der Wirksamkeit der Klauseln allein die kundenfeindlichste Auslegung maßgeblich ist.

Der in Ziff. 110.1 ZVB/E-StB geregelte „Austausch“ der beiden Sicherheiten steht auch einer zeitlichen Überschneidung nicht entgegen, denn es ist zumindest denkbar, dass hier nur die geplante regelmäßige Vorgehensweise beschrieben wird, ohne jedoch eine Aussage über mögliche Zurückbehaltungsrechte der Beklagten zu treffen. Insbesondere im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung kann die Beklagte die Sicherheit für die Vertragserfüllung noch einbehalten, während aufgrund der erfolgten Abnahme auch bereits eine Mängelansprüchesicherheit zu leisten ist. Die Austausch-Regelung in Ziff. 110.1 ZVB/E-StB 2014 enthält nämlich weder eine Regelung zur Fälligkeit der Mängelansprüchebürgschaft (sodass es bei der Regelung des § 17 Abs. 7 VOB/B verbleibt und die Mängelansprüchesicherheit grundsätzlich 18 Werktage nach Vertragsabschluss bzw. nach allgemeiner Ansicht spätestens bei Abnahme zu stellen ist), noch wird dadurch ein verbindliches Austauschrecht der Klägerin vereinbart.

Das OLG Köln schloss sich mit einem Hinweisbeschluss (OLG Köln, Beschl. v. 30.05.2022, 11 U 67/22) der Einschätzung der Klägerin und des LG an und kündigte die Zurückweisung der durch die Beklagte eingelegten Berufung an. Die Berufung wurde daraufhin durch die Beklagte zurückgenommen, sodass es nicht mehr zu einem obergerichtlichen Urteil kam.

Fazit

Die Entscheidung steht im Einklang mit der bisherigen durch die ober- und bundesgerichtliche Rechtsprechung vertretenen Linie, nach der sog. „Kombi-Bürgschaften“ grundsätzlich kritisch zu betrachten sind. Diesbezüglich gab es bereits Entscheidungen zu den Vorgängerklauseln der früheren ZVB/E-StB, die ebenfalls für unwirksam erklärt wurden. Wegen der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung ist eine rechtskonforme Ausgestaltung von Kombi-Bürgschaften in AGB praktisch kaum möglich, wenn zusätzlich noch eine Mängelansprüchesicherheit verlangt wird. Zur Vermeidung von Risiken und Rechtsunsicherheiten sollte deshalb aus Auftraggebersicht von einer solchen Konstruktion bei der Vertragsgestaltung abgesehen werden. Stattdessen sollte eine strikte Trennung zwischen Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchesicherheiten erfolgen, die bereits bei der Wahl der Begrifflichkeiten beginnt, damit aus keinem denkbaren Blickwinkel eine zeitliche und inhaltliche Überschneidung der beiden Sicherheiten in Betracht kommen kann. Für Auftragnehmer mit älteren Verträgen aus den Jahren 2014 bis 2018 kann sich insbesondere bei gekündigten Vertragsverhältnissen und Einbehaltung der Vertragserfüllungssicherheit durch den Auftraggeber ein Blick in die Vertragsunterlagen lohnen. Die nachfolgende Fassung der ZVB/E-StB 2018 enthält die streitgegenständlichen Klauseln hingegen nicht mehr.

Autor

Kristin Beckmann

Kristin Beckmann

Weitere Artikel dieser Ausgabe

  • Dr. Amneh Abu Saris: Zwischentermine können konkludent vereinbart werden!

     

  • Dr. Danilo Rosendahl: Bedenken des Auftragnehmers begründen grundsätzlich kein Leistungsverweigerungsrecht