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Die Abfrage nach dem Umsatz ist keine Mindestbedingung an die Geschäftsexistenz

Eignungskriterien sind eindeutig festzulegen. Das Formblatt 124 verlangt von den Bietern „lediglich“ die Angabe zum Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass das Unternehmen bereits drei Jahre am Markt tätig sein muss.

OLG Dresden, Beschluss v. 05.02.2021 - Verg 4/20

Auftragsgegenstand des dem OLG zu entscheidenden Falls war die Installation der Reinstgasversorgung in einem neu zu errichtenden Laborflügel. Im Mai 2020 schrieb die Vergabestelle (VSt) den Bauvertrag in einem offenen Verfahren europaweit aus. In Abschnitt III der Bekanntmachung legte die VSt fest, dass die Bieter ihre Eignung entweder durch Eintragung in das Präqualifikationsverzeichnis oder durch Eigenerklärung gemäß Formblatt 124 nachweisen müssen. In dem Formular 124 werden die Bieter dazu aufgefordert, den Umsatz des Unternehmens in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren anzugeben. Die Antragstellerin (ASt) reichte ein Angebot mit dem unterschriebenen Formblatt 124 ein, wobei sie bei dem anzugebenden Umsatz dreimal „0 Euro“ eintrug. Die VSt schloss das Angebot der ASt mit der Begründung aus, die ASt habe nicht den geforderten Eignungsnachweis erbracht, da sie ihre Geschäftstätigkeit erst am 1. August 2019 aufgenommen habe. Dadurch sei der Nachweis der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre nicht erbracht worden. Gegen den Ausschluss wendete sich die ASt nach erfolgloser Rüge im Nachprüfungsverfahren, und zwar u.a. mit der Begründung, dass sie das Formblatt korrekt und vollständig ausgefüllt habe. Weder Auftragsbekanntmachung noch dem dort verlinkten Formblatt lasse sich ein Eignungskriterium entnehmen, wonach der Bieter eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit nachweisen müsse.

Mit Erfolg. Nach Ansicht der VK Sachsen fordert das Formblatt 124 nicht den Nachweis einer dreijährigen Geschäftstätigkeit. Eine derartige Auslegung des Formblattes sei ausgeschlossen. Nach der für die Auslegung der Bekanntmachung maßgebenden Sicht eines verständigen und mit der Leistung der ausgeschriebenen Art vertrauten Bieters war dem Formblatt 124 nicht zu entnehmen, dass für den streitigen Auftrag nur Unternehmen in Frage kommen, welche über eine einschlägige mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit verfügen. Ein solcher Eignungsnachweis ergibt sich - entgegen der Auffassung der VSt - auch nicht aus der zur Umsatzabfrage zugrundeliegenden vergaberechtlichen Norm § 6a EU Nr. 2 lit. c VOB/A. Die Norm berechtige den öffentlichen Auftraggeber als Eignungsnachweis den Umsatz der letzten der Geschäftsjahre abzufragen. Dabei stelle der Dreijahreszeitraum keine Mindestanforderung, sondern eine zeitliche Begrenzung für den Auftraggeber dar. Vor diesem Hintergrund hat die ASt das Formblatt vollständig und insoweit auch richtig ausgefüllt, sodass der Ausschluss des Angebotes aus formalen Gründen vergaberechtswidrig war. Dagegen wendet sich die VSt mithilfe der Sofortigen Beschwerde; jedoch ohne Erfolg. Das OLG bestätigt die Entscheidung der Vergabekammer. Auch nach der Ansicht des OLG musste die ASt eine Eignungsanforderung nach einer einschlägigen Geschäftstätigkeit von mindestens drei Jahren nicht in das Formblatt „hineinlesen“.

Eignungskriterien sind in der Bekanntmachung eindeutig festzulegen. Will der öffentliche Auftraggeber lediglich Angebote von bereits drei Jahre am Markt tätigen Unternehmen, muss er ein solches Eignungskriterium eindeutig bestimmen. Ob es sich hierbei um ein sinnvolles Eignungskriterium zur Feststellung der Leistungsfähigkeit handelt, mag bezweifelt werden. Das war jedoch nicht Gegenstand dieser Entscheidung.

Autor

Sandra Jurke

Sandra Jurke

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