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Ausschluss bei niedriger Qualitätswertung zulässig!

Die Transparenz des Vergabeverfahrens ist eine wesentliche Voraussetzung für die Herstellung der Chancengleichheit und Schaffung eines funktionierenden Wettbewerbs. Hieraus folgt bekanntermaßen, dass Auswahlkriterien sowie deren Gewichtung veröffentlicht und dem potentiellen Bieterkreis vorab bekannt zu geben sind. Dieser muss bei Durchsicht der Vergabeunterlagen und anhand des mitgeteilten Bewertungsmaßstabes problemlos und im besten Fall ohne Bieterfragen erkennen können, ob Aussicht auf den Zuschlag besteht. Im Hinblick auf das Transparenzgebot sind demnach insbesondere strenge Anforderungen an die Verwendung von Wertungsmatrizen mit Punktesystemen zu beachten. Bei qualitativen Zuschlagskriterien - vor allem Konzeptbewertungen - sind bereits mit den Vergabeunterlagen die Gewichtung der Kriterien sowie die Begründungen für die Differenzierung der jeweils erreichbaren Punkte- oder Notenstufen anzugeben. Für das Verständnis kommt es hierbei auf die Sicht eines objektiven und fachkundigen Bieters an. Sofern Unklarheiten bestehen, ist der Bieter mittels Bieterfragen oder gar Rügen zur Aufklärung gehalten, um Missverständnisse oder gar eine Präklusion seines Anliegens zu vermeiden. Der Beschluss der Vergabekammer des Bundes vom 01.06.2022 (VK 1-49/22) beschäftigt sich mit den Anforderungen an die Transparenz der bekanntgemachten Zuschlagskriterien sowie deren Gewichtung und verdeutlicht nochmals die Wichtigkeit verständlicher, transparenter und eindeutiger Zuschlagskriterien.

Im Wesentlichen geht es um die folgende Formulierung die Zuschlagskriterien betreffend:

Angebote, bei denen die Summe der Punkte aller Wertungsbereiche nicht mindestens 85 % der Gesamtpunktzahl beträgt, welche bei durchgängiger Bewertung in der Wertungsstufe '2 Punkte - entspricht den Anforderungen' erreicht wird, werden von der weiteren Wertung ausgeschlossen“

Der Entscheidung liegt ein Nachprüfungsverfahren des unterlegenen Bieters zugrunde, der die aus seiner Sicht intransparenten Zuschlagskriterien rügt. Denn nach Ansicht des Bieters sei die vorstehende Festlegung so zu verstehen, dass in allen Wertungskriterien mindestens zwei Punkte erreicht werden müssten.

Diese Auslegung teilte die Vergabekammer jedoch nicht:

Bei der oben zitierten Formulierung könne ein verständiger Bieter nicht davon ausgehen, dass 85 % der maximal erreichbaren Punktzahl maßgeblich seien. Vielmehr dränge es sich bei der Lektüre der Vergabeunterlagen auf, dass es lediglich auf das Erreichen derjenigen Punkte ankommt, die ein fiktiver Bieter bei durchgängiger Bewertung in allen Kriterien mit je 2 Punkten erhalten würde.

Nach Ansicht der Vergabekammer ergibt sich dies im Wege der Auslegung insbesondere aus der Formulierung “welche […] erreicht wird“. Eine Intransparenz liege schon aufgrund des eindeutigen Wortlautes nicht vor - der voranstehende Relativsatz beziehe sich lediglich auf die „Gesamtpunktzahl“, nicht jedoch auf die maximal erreichbare Höchstpunktzahl. Ein verständiger, durchschnittlicher Bieter hätte erkennen müssen, dass sich die 85 % schon denklogisch nicht auf die Höchstpunktzahl beziehen können, da dies zu einer inhaltlichen Fehlerhaftigkeit der Vorgaben führen würde.

Der Beschluss der Vergabekammer rückt nochmals die elementare Bedeutung des Transparenzgebots (§ 97 Abs. 1 GWB) in den Fokus. Potentiellen Auftraggebern wird nochmals die Wichtigkeit der eindeutigen Formulierung, Vollständigkeit und deren Gewichtung aufgezeigt, potentiellen Auftragnehmern die genaue Lektüre der Vergabeunterlagen.

Zweideutige, unklare und komplexe Formulierungen sollten vom öffentlichen Auftraggeber stets vermieden werden; gleichzeitig sind Bieter gut beraten im Zweifel durch Bieterfragen aufzuklären, wenn bestimmte Festlegungen nicht auf Anhieb verstanden werden oder, wie vorliegend, unglücklich komplex formuliert sind.

Autor

Sabrina Stahler (geb. Hißting)

Sabrina Stahler (geb. Hißting)

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