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Das Ende des Ausschlussgrundes „Änderungen an den Vergabeunterlagen“

Das Urteil des BGH vom 18.06.2019, X ZR 86/17 stellt wichtige Prinzipen dazu auf, wie künftig mit widersprüchlichen oder unklaren Angaben von Bietern umzugehen ist. Ein sofortiger Ausschluss kommt grundsätzlich nicht mehr in Betracht, viele Fehler können künftig durch Aufklärung vom Bieter geheilt werden.

Ein öffentlicher Auftraggeber verwendete in § 1 Abs. 1.3 seiner zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVBBau) eine Klausel, wonach Liefer-, Vertrags- und Zahlungsbedingungen des Bieters/AN von jeder Geltung ausschlossen sind. § 8.2 a) ZVBBau sahen ferner vor, dass Schlusszahlungen innerhalb von 30 Kalendertagen nach Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung zu leisten seien.

Der Bieter hatte in seinem Angebot im Kurztext-LV einen Zusatz gemacht: „…zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“. Weil diese Angabe mit der in den ZVBBau des AG vorgesehenen 30-Tages Frist in Widerspruch stand, schloss der AG das Angebot der Bieters aus, denn er habe durch die Einfügung eigener Zahlungsbedingungen die Vergabeunterlagen geändert.

Der AG führte als weitere Ausschlußgründe an, dass das Angebot nicht alle geforderten Preisangaben enthalten habe (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A). Neben den separat ausgewiesenen Kosten der Baustelleneinrichtung habe der Bieter nicht wie gefordert die Kosten für das Vorhalten und Betreiben der Geräte, Anlagen und Einrichtungen einschließlich Mieten, Pacht, Gebühren und dergleichen kalkuliert. Der Bieter wandte sich zwar mit einer Rüge gegen den Ausschluss, leitete jedoch nach Rügezurückweisung kein Nachprüfungsverfahren ein. Er klagte später auf Schadensersatz, weil er zu Unrecht bei der Auftragsvergabe übergangen worden sei. Im Rahmen dieses Schadensersatzprozesses traf der BGH sein wegweisendes Urteil.

Wegen der vom Auftraggeber unter § 1 Abs. 1.3 ZVBBau verwendeten Abwehrklausel können sich die abweichenden Zahlungsbedingungen des Bieters gar nicht auswirken, so dass keine Änderung der Vergabeunterlagen vorliegt. Aber selbst ohne eine derartige Abwehrklausel liegt es nach Ansicht des BGH sehr nahe, dass die Einfügung der von den Vergabeunterlagen abweichenden Zahlungsklausel in das Leistungsverzeichnis auf einem Missverständnis des Bieters beruhte. Deswegen bedarf es in jedem Fall einer Aufklärung nach § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A. Im Rahmen dieser Aufklärung kann der Bieter nach BGH durch einfache Klarstellung von seinen widersprüchlichen oder missverständlichen Zusätzen zu seinem Angebot Abstand nehmen.

Aber noch weitere Punkte werden im Urteil geklärt, weil der Auftraggeber sich im Schadensersatzprozess auch auf andere Ausschlussgründe berief. Vor allem die Art der Kalkulation wird erörtert. Aus § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A lasse sich nicht ableiten, dass jede Position des LV nach den gleichen Maßstäben oder derselben Methodik kalkuliert sein müsse. Ebenso wenig muss der für eine Position verlangte Preis die bei dem Bieter dafür entstehenden Kosten abbilden. Im konkreten Fall durfte daher das Angebot nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil es auch in der Kalkulation keine Kosten für das Vorhalten und Betreiben von Baustellengeräten, -anlagen und -einrichtung enthielt. Der für jede Position verlangte Preis muss nach BGH nicht mindestens den hierfür entstehenden Kosten des Bieters entsprechen, so dass einzelne Kostenelemente eben auch unberücksichtigt bleiben könnten. Dies folge aus der Kalkulationsfreiheit des Bieters, die auch die Befugnis zur Unterkalkulation umfasse. Konsequenz: Solange der Bieter erklärt, dass der Auftrag auch ohne solche Preiselemente ausgeführt werde und insgesamt auskömmlich sei, kann der Auftraggeber keinen Ausschluss des Angebots verfügen.

Eine Schadensersatzklage wegen fehlerhafter Vergabe kann auch ohne vorherige Rüge im Vergabeverfahren geführt werden. Es gibt nach BGH keine „materielle Präklusion“ von Schadensersatzansprüchen ohne vorherige Rüge. Es liegt allein im Ermessen des Bieters, ob er rügt oder nicht - seine Schadensersatzansprüche wegen Vergabefehlern bleiben davon unberührt.

Auch einen weiteren Ausschlussgrund verneint der BGH. In einer LV-Position war ein Voranstrich mit einer polymermodifizierten Bitumenemulsion C60BPT1-S vorgesehen. Der Bieter sollte dazu das vorgesehene Fabrikat eintragen. Die Klägerin trug nur den Werkstoff C60BPT1-S ein. Entsprechend verfuhr sie in Bezug auf einen im LV als Nahtverbund vorgesehenen Baustoff "Dilaplast".

Nach BGH wird durch die Benennung eines Referenzprodukts im LV der vom AG gewünschte Standard verdeutlicht. Bezeichnet "Dilaplast" dagegen selbst nur einen Werkstoff, wird durch den Hinweis "oder gleichwertig" nicht hinreichend klar, was der Auftraggeber noch für angebotsgemäß hält. Für einen Ausschluss ist diese Vorgabe nicht genau genug. Die Klägerin, die ins das LV nur "Dilaplast" bzw. "C60BPT1S" bei den Produktangaben eintrug, hat damit eine Leistung gemäß LV zugesagt. Der Informationsgehalt einer (zusätzlichen) Fabrikatsangabe ist demgegenüber nur so geringfügig höher, dass deren Unterbleiben einen Ausschluss nicht rechtfertigen kann.

Praxishinweise:
Schon immer war der Ausschlussgrund der „Abweichung von den Vergabeunterlagen“ nicht wirklich erklärbar. Richtigerweise fordert nun der BGH eine Aufklärung vor jedem AUsschluß wegen scheinbarer Abweichungen. Es ist für die Praxis sehr wichtig, dass der BGH es den Bietern gestattet, die Abweichungen im Rahmen der Aufklärung als Versehen zurückzunehmen. Voraussetzung ist nur, dass das Angebot auch ohne die zurückgenommene Passage als vollständig und beauftragungsfähig anzusehen ist. Wer als Bieter bewusst oder absichtlich von den Vergabeunterlagen abweicht, ist auch künftig auszuschließen.

Der Hinweis des BGH zur Kalkulationsfreiheit der Bieter fällt sehr deutlich aus. Nun steht fest, dass z.B. gleichartige Leistungen in verschiedenen Bauabschnitten (gleichlautende Positionen) mit ganz unterschiedlichen Preisen versehen werden können. Der Bieter ist frei, auch solche Preise anzubieten, die nicht durchweg derselben kalkulatorischen Systematik folgen. Auch zu niedrige Preise oder fehlende Kostenelemente können nicht beanstandet werden, wenn der Bieter erklärt, die Leistung für diesen Preis auszuführen. Mangelnde Plausibilität oder die Unvollständigkeit einer Kalkulation stellen eben keinen Ausschlussgrund dar.

Wichtig ist auch, dass spätere Schadensersatzansprüche oder vertragsrechtliche Ansprüche nicht schon während des Vergabeverfahrens gerügt und angegriffen werden müssen, auch wenn viele das bisher gedacht haben. Damit sind auch für unwirksame erachtete AGB des Auftraggebers nicht rügepflichtig. Das OLG Celle hatte dazu jüngst anders entschieden (Urt. v. 18.1.2018, 11 U 121/17, Revision anhängig). Nach dem neuen BGH-Urteil ist diese Auffassung aber nicht mehr haltbar.

Autor

Prof. Dr. Ralf Leinemann

Prof. Dr. Ralf Leinemann