News | Newsletter | Neues zum Vergaberecht 03/2025
Unzulässige Bewertung nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip
Ein Bewertungssystem, bei dem das schlechteste Angebot nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip unabhängig vom Abstand zum besten Angebot mit null Punkten bewertet wird, kann vergaberechtswidrig sein.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.05.2024, Verg 35/23
Die Antragsgegnerin (AG) führte ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb zur Vergabe von Planungsleistungen für drei Brückenbauwerke in beschleunigter Bauweise durch. Als Zuschlagskriterien wurden der Preis (Gewichtung: 40 %) und das Erläuterungskonzept „Projektspezifische Lösungsansätze mit dem Schwerpunkt Brückenbau in schneller Bauweise“ (Gewichtung: 60 %) festgelegt. Die Bewertung des Konzepts sollte folgendermaßen erfolgen: Der Anbieter mit der höchsten Bewertung erhält 5 Punkte, der mit der niedrigsten Bewertung 0 Punkte. Die Punktevergabe für dazwischenliegende Angebote sollte durch lineare Interpolation erfolgen, aufgerundet auf volle Punkte.
Im konkreten Vergabeverfahren gingen lediglich zwei Angebote ein. Das Angebot der ASt beinhaltete den niedrigsten Preis und erhielt dementsprechend bei diesem die volle Punktzahl. Hinsichtlich des Kriteriums „Projektspezifische Lösungsansätze mit dem Schwerpunkt Brückenbau in schneller Bauweise“ wurde ihr Angebot jedoch als das schwächere bewertet und erhielt - wie in der Wertungsmatrix vorgesehen - 0 Punkte. Eine lineare Interpolation wurde durch die AG nicht vorgenommen, da es nur zwei Angebote gab.
Die ASt beanstandete diese Vorgehensweise und rügte insbesondere die unterlassene Interpolation. Die AG wies die Rüge zurück. Daraufhin stellte die ASt einen Nachprüfungsantrag.
Mit Erfolg! Das OLG Düsseldorf gab der sofortigen Beschwerde statt, hob die Entscheidung der Vergabekammer auf und ordnete an, das Vergabeverfahren auf den Stand vor der Bekanntmachung zurückzusetzen.
Das Gericht sah die Bewertungsmethode als unzulässig an, da sie gegen § 127 Abs. 1 GWB verstoße. Nach dieser Regelung ist der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Die Bewertung sei zwar entsprechend den bekannt gegebenen Zuschlagskriterien und deren Gewichtung vorgenommen worden. Denn das Bewertungssystem sah vor, dem am schlechtesten bewerteten Angebot unabhängig vom tatsächlichen Abstand zum besten Angebot 0 Punkte zuzuweisen. Der dem öffentlichen Auftraggeber bei der Zuschlagsentscheidung grundsätzlich zustehende weite Beurteilungsspielraum wurde hier aber überschritten. Bei lediglich zwei Angeboten führt die automatische Bewertung des schlechteren Angebots mit 0 Punkten dazu, dass die tatsächliche Qualität dieses Angebots nicht erfasst wird. Eine differenzierte Bewertung anhand der inhaltlichen Qualität findet somit nicht statt, da das schlechtere Angebot bei dem Qualitätskriterium pauschal unberücksichtigt bleibt - selbst bei nur geringfügiger Abweichung zum besten Angebot. Dies führt zu einer systematischen Abwertung des qualitativ schwächeren Angebots, obwohl seine Qualität überhaupt nicht objektiv beurteilt wurde. Die vorgesehene Gewichtung des Leistungskriteriums wird nicht umgesetzt, was den fairen Wettbewerb verzerrt. So wird das Kriterium Preis übermäßig betont, und Angebote, die allein dort punkten, haben kaum realistische Chancen auf den Zuschlag. Zudem missachtet die AG die eigene Vorgabe, dem Qualitätskriterium ein Gewicht von 60 % beizumessen, wenn das entsprechende Angebot de facto nicht bewertet wird.
Fazit
Die Entscheidung verdeutlicht, dass öffentliche Auftraggeber bei der Gestaltung ihrer Bewertungssysteme sicherstellen müssen, dass die zuvor festgelegte Gewichtung der Zuschlagskriterien auch tatsächlich zur Anwendung kommt. Im konkreten Fall wurde das qualitative Zuschlagskriterium beim Angebot der ASt gar nicht berücksichtigt. Eine solche Vorgehensweise verhindert eine realistische Bewertung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses - insbesondere wenn nur zwei Angebote vorliegen. Dies kann dazu führen, dass eine teurere, aber nur geringfügig bessere Leistung ausgewählt wird, was zum Nachteil des öffentlichen Haushalts geht.
Autor
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