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Vergaberechtswidrigkeit eines Bietungsfaktors

Ein öffentlicher Auftraggeber darf Bietern nach §§ 127 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 2 GWB nicht gestatten, durch sogenannte Bietungsfaktoren die Gewichtung von Zuschlagskriterien selbst zu verändern. Sowohl die Auswahl der Zuschlagskriterien als auch deren Gewichtung fallen ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Vergabestelle. Ein Verfahren, das Bietern eine individuelle Verschiebung dieser Bewertungsparameter eröffnet, verletzt die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.04.2025, Verg 35/24

Im Rahmen eines EU-weiten Vergabeverfahrens für Bauleistungen beabsichtigte ein öffentlicher Auftraggeber (AG), besonders nachhaltige energetische Eigenschaften der angebotenen Bauprodukte - konkret die Verbesserung des Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Wert) bei opaken und transparenten Bauteilen - als qualitative Zuschlagskriterien zu berücksichtigen. Zur Bewertung dieser Kriterien sahen die Vergabeunterlagen eine modifizierte Berechnungsmethode vor, die zusätzlich zur vom AG festgelegten Gewichtung sogenannte „Bietungsfaktoren“ berücksichtigte. Diese wurden sodann mit der vom AG vorgegebenen Gewichtung und den durch die Vergabestelle ermittelten Punktzahlen in die Wertung der Angebote einbezogen. Die Formel sah vor, dass die Bewertungspunkte des AG mit dem Gewichtungsanteil und dem individuellen Bietungsfaktor multipliziert werden sollten. Die daraus resultierenden Wertungspunkte bildeten die Basis für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots.

Ziel dieser Methodik war es, Bietern die Möglichkeit einzuräumen, durch bewusste Setzung eines Bietungsfaktors besonders hervorzuheben, in welchen Bereichen sie besondere Leistungsversprechen abgeben möchten, etwa eine besonders ambitionierte Verbesserung des Wärmeschutzes. Für den Fall, dass die durch den Bietungsfaktor hervorgehobenen Leistungselemente während der späteren Ausführung nicht erreicht werden, enthielt der Vertrag eine Regelung zur Abschöpfung des damit verbundenen Wettbewerbsvorteils.

Ein unterlegener Bieter (ASt) sah hierin einen Verstoß gegen die Grundsätze des Vergaberechts und leitete ein Nachprüfungsverfahren ein.

Mit Erfolg! Das OLG Düsseldorf folgte der Argumentation des ASt und erklärte die Verwendung des individuell zu bestimmenden Bietungsfaktors als Bestandteil der Angebotswertung für vergaberechtswidrig. In der vorgesehenen Konstruktion mit einem Bietungsfaktor liege ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz nach §§ 97 Abs. 2, 127 Abs. 1 S.  1 GWB, wonach die Wertung grundsätzlich anhand vorab festgelegter Zuschlagskriterien und Gewichtungen erfolgen muss.

Der öffentliche Auftraggeber muss die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in den Vergabeunterlagen eindeutig und verbindlich festlegen. Die Gewichtung muss für sämtliche Angebote gleichermaßen gelten und darf nicht von den Bietern beeinflusst oder individuell verändert werden. Die im konkreten Fall verwendete Formulierung in den Vergabeunterlagen, wonach „die Bieter den Zuschlagskriterien eine von ihnen gewollte Gewichtung geben“ könnten, sei inhaltlich so zu verstehen, dass eine bieterindividuelle Gewichtung zulässig gemacht werde. Eine solche Vorgehensweise sei jedoch mit den vergaberechtlichen Grundprinzipien unvereinbar.

Zwar kann nach §  58 Abs. 3 S.  2 VgV auch die Festlegung von Gewichtungsspannen zulässig sein, sofern diese für alle Angebote gleichermaßen gelten. Die konkrete Methodik im Streitfall hingegen führte dazu, dass die Zuschlagskriterien - je nach Bietungsfaktor - unterschiedlich gewichtet wurden, was eine Vergleichbarkeit der Angebote auf Basis objektiver Maßstäbe ausschließt.

Der AG konnte auch nicht mit Erfolg argumentieren, dass der Bietungsfaktor lediglich als Hilfsmittel zur Einschätzung der Erfüllungswahrscheinlichkeit des abgegebenen Leistungsversprechens diene. Ein solcher Zweck sei dem Bietungsfaktor weder systematisch noch inhaltlich zu entnehmen. Vielmehr fehle es bereits an konkreten Angaben in den Vergabeunterlagen zur inhaltlichen Ausgestaltung, zur Berechnung oder zur Überprüfbarkeit des Bietungsfaktors durch den AG. Die Bewertung der Erfüllungswahrscheinlichkeit könne nicht in die Hände der Bieter gelegt werden.

Auch der vertraglich vorgesehene Mechanismus zur nachträglichen Abschöpfung des „Bietungsvorteils“ ändere nichts an der Vergaberechtswidrigkeit der Methode. Die Rechtmäßigkeit eines Vergabeverfahrens sei ausschließlich anhand der vergaberechtlichen Vorgaben zu beurteilen; etwaige nachvertragliche Sanktionen könnten keine fehlerhafte Angebotswertung heilen.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf unterstreicht, dass der Gestaltungsspielraum öffentlicher Auftraggeber bei Bewertungsmethoden dort endet, wo Transparenz, Gleichbehandlung und Nachvollziehbarkeit beeinträchtigt werden. Innovative Verfahren dürfen diese Grundprinzipien nicht relativieren. Eine Selbstgewichtung durch die Bieter verzerrt die objektive Bewertungsgrundlage und verhindert eine sachgerechte Wertung. Auftraggeber sollten daher ihre Bewertungsformeln mit größter Sorgfalt konzipieren und sämtliche Variablen - Punkte, Gewichtungen und etwaige Abzüge - vorab eindeutig definieren. Nur so lassen sich Transparenz und Vergleichbarkeit wahren und die Integrität des Vergabeverfahrens sichern.

Autor

Laura Maria Wloka

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