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Streit um HOAI: EuGH stärkt Ansprüche von Architekten und Ingenieuren auf höhere Honorare

Nationale Gerichte sind in einem Rechtsstreit zwischen Privaten nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, eine dem Unionsrecht widersprechende nationale Bestimmung nicht anzuwenden, wenn die Bestimmung des Unionsrechts keine unmittelbare Wirkung entfaltet. Das hat der Gerichtshof der Europäischen Union in einem veröffentlichten Urteil entschieden (Az.: C-261/20). Hintergrund ist der Streit eines Ingenieurs mit der Immobiliengesellschaft Thelen Technopark Berlin um das Honorar für Leistungen, die nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure von 2013 (HOAI) abgerechnet werden sollten.

Der EuGH hatte mit Urteil vom 4. Juli 2019 festgestellt, dass verbindliche Preisvorgaben für Planungsleistungen gegen Art. 15 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123 verstoßen (Az.: C-377/17). Daraus folge aber für deutsche Gerichte keine Verpflichtung, die Mindestsätze der HOAI nicht anzuwenden, entschieden nun die Luxemburger Richter. Gleichwohl kann das nationale Gericht eine solche Preisvorgabe aufgrund des innerstaatlichen Rechts nicht anwenden. Für diesen Fall weist der Gerichtshof jedoch darauf hin, dass der Geschädigte von dem betreffenden Mitgliedstaat den aufgrund der Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht erlittenen Schaden ersetzt verlangen kann.

Mit der Entscheidung des EuGH geht die Rechtsunsicherheit für Bauherren sowie für Architekten und Ingenieure weiter. Nationale Gerichte können selbst entscheiden, ob sie die unionsrechtswidrige HOAI in einem Rechtsstreit zwischen Privaten anwenden oder ausschließen. Damit dürfen deutsche Gerichte für Planungsleistungen weiterhin Mindesthonorare zusprechen, die von der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in der Fassung von 2013 (kurz HOAI 2013) vorgegeben wurden. Für den Fall, dass deutsche Gerichte die Mindesthonorare nach der HOAI 2013 dennoch nicht mehr anwenden, kommen nachfolgend Haftungsansprüche der unterlegenen Planer gegen den Staat in Betracht.

Den Honorarstreit zwischen Thelen und dem Ingenieur hatte der Bundesgerichtshof (BGH) dem EuGH zur Klärung vorgelegt (BGH Pressemitteilung Nr. 59/20). Der Ingenieur hatte ab 2016 Planungsleistungen für das Bauvorhaben in Berlin erbracht. Das hierfür vereinbarte Pauschalhonorar in Höhe von rund 55.000 Euro hat der Auftraggeber bezahlt. Später kündigte der Planer den Vertrag, berief sich auf die Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung und verlangte zusätzlich die Differenz bis zum Mindesthonorar nach der HOAI 2013. Dies entsprach einer weiteren Forderung von rund 48.000 Euro. In den ersten beiden Instanzen hatte der Ingenieur Recht bekommen. Gegen das Berufungsurteil hatte der Auftraggeber Revision zum BGH eingelegt. Darüber muss der BGH nun entscheiden. Es ist nach dem Urteil zu erwarten, dass der BGH die Revision zurückweisen und dem Planer endgültig das Mindestsatzhonorar zusprechen wird. Diese Tendenz lässt sich dem Vorlagebeschluss vom 14.05.2020 (VII ZR 174/19) entnehmen.

Für die Praxis ist die Entscheidung des Gerichtshofs von erheblicher Bedeutung für Planungsverträge, die unter die HOAI 2013 fallen, also von Mitte 2013 bis Ende 2020 geschlossen worden sind. Dasselbe dürfte auch für Planungsverträge gelten, die unter die HOAI 2009 fallen, also zwischen Mitte 2009 und Mitte 2013 geschlossen wurden. Es ist davon auszugehen, dass noch zahlreiche ähnliche Mindestsatzklagen von Planern nach der HOAI 2009 und 2013 bei deutschen Gerichten anhängig sind. Bis zum EuGH-Urteil vom 04.07.2019 hatten solche Klagen regelmäßig Erfolg. Seitdem war die Rechtslage in Deutschland umstritten. Nach der heute erfolgten Klärung durch den EuGH und der zu erwartenden Entscheidung des BGH dürften Mindestsatzklagen bessere Aussicht auf Erfolg haben. Dasselbe gilt für Klagen von Auftraggebern auf Reduzierung von Honoraren, die die Höchstsatze nach der HOAI 2009 und 2013 übersteigen.

Sollten Gerichte entsprechende Klagen abweisen, bestünde für die Kläger die Option, ihren Schaden vom Staat ersetzt zu bekommen. Denn die betreffenden Klagen wurden im Vertrauen auf die Gültigkeit der verbindlichen Preisvorgaben der Honorarordnung angestrengt. Deren Verstoß gegen das europäische Recht hätte die Bundesregierung schon bei Erlass der HOAI 2009 und 2013 erkennen und auf verbindliche Preisvorgaben verzichten können. Der Schaden besteht zumindest in den aufgewendeten Prozesskosten, die mitunter erheblich sein können. Zweifelhaft ist, ob auch die jeweilige Honorardifferenz als Schaden geltend gemacht werden könnte. Durchzusetzen sind die Forderungen auf dem Klageweg. Weder für die Auftraggeber noch für die Architekten und Ingenieure wäre das eine wirklich gute Lösung. Weiterführend zur Staatshaftung wegen der Beibehaltung verbindlicher Planungshonorare siehe: Averhaus, Festschrift für Oppler, 2021, S. 1 – 19.

Mittlerweile hat die Bundesregierung den 2019 vom EuGH festgestellten Verstoß der HOAI gegen das Unionsrecht abgestellt. Für Planungsverträge, die ab dem 01.01.2021 abgeschlossen wurden, gilt die HOAI 2021. Diese sieht keine verbindlichen Mindest- und Höchstsätze für Planungsleistungen mehr vor, sondern erlaubt grundsätzlich die freie Vereinbarung der Honorare für Planungsleistungen.

Autor

Dr. Ralf Averhaus

Dr. Ralf Averhaus