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Keine Arglist, wenn Mangel nicht als solcher wahrgenommen wird

Kammergericht, Urteil vom 09.10.2015 - 21 U 74/14

Arglistig handelt nur derjenige, der bewusst einen offenbarungspflichtigen Mangel verschweigt. Ein solches Bewusstsein fehlt, wenn der Mangel von seinem Verursacher nicht als solcher wahrgenommen wird.)*

Mit der Klage vor dem Kammergericht Berlin machte die Auftraggeberin (Klägerin) Ersatz wegen Korrosionsschäden an Kaltwasserleitungen gegenüber der Auftragnehmerin (Beklagten) geltend und verlangte Kostenvorschuss in Höhe von EUR 2.794.300,37 nebst Zinsen. Die Beklagte berief sich auf die Verjährung. Hiergegen stellte die Klägerin auf ein arglistiges Handeln der Beklagten ab, weil die Beklagte statt Ausführung der nach den Herstellerrichtlinien zu verwendenden Korrosionsschutzbinden lediglich einen Korrosionsanstrich angebracht sowie den von den DIN-Vorschriften abweichenden Aufbau der Dämmung bewusst gewählt hätte. Dies könne nur auf einer Verletzung der Organisationspflicht beruhen und sei daher arglistig. Die Beklagte widersprach dem Vorwurf der Arglist, weil die geltenden Herstellerverlegerichtlinien den Einsatz von Korrosionschutzbinden nicht als notwendig, sondern nur als geeignet vorgaben und diese Richtlinien der Beklagten zudem nicht bekannt waren. Korrosionsschutzbinden seien zudem vom Hersteller nicht mitgeliefert worden, auch habe der Hersteller die Beklagte auf diese Erforderlichkeit nicht hingewiesen. Die Dämmung sei darüber hinaus durch eine renommierte Fachfirma ausgeführt worden und habe überdies keinen maßgeblichen Korrosionsschaden verursacht. Ein Organisationsverschulden sei deshalb nicht ersichtlich. Das Landgericht Berlin verurteilte die Beklagte dennoch zur Zahlung des Kostenvorschusses in Höhe der ca. EUR 2,8 Mio. nebst Zinsen. Hiergegen legt die Beklagte Berufung ein.

Zu Recht. Das Kammergericht hob die Entscheidung des Landgerichts Berlin auf. Dabei stellt es zunächst darauf ab, dass die Verjährung selbst dann eingetreten wäre, wenn die Klägerin den Mangel arglistig verschwiegen hätte, weil die Klage erst im Jahr 2012 erhoben wurde und die zehnjährige Verjährungsfrist des Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 2 EGBGB i. V. m. § 199 Abs. 3 Nr. 2 BGB, die unabhängig von Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände am 01.01.2002 mit der Abnahme zu laufen begann, mit Ablauf des 31.12.2011 verstrichen war.

Darüber hinaus hob das Kammergericht hervor, dass die Klägerin nicht hinreichend dargetan hatte, dass die Beklagte die Mängel der fehlenden Korrosionsschutzbinden und der mangelhaft ausgeführten Dämmung tatsächlich arglistig verschwiegen hatte. Es wurde herausgestellt, dass nur derjenige arglistig handelt, der bewusst einen offenbarungspflichtigen Mangel verschweigt. Ein solches Bewusstsein fehlt, wenn der Mangel von seinem Verursacher nicht als solcher wahrgenommen wird. Die Behauptung der Klägerin, dass die Beklagte die Mängel hätte kennen müssen, ohne Tatsachen zu nennen, aus denen sich eine positive Kenntnis schließen ließe, reichte nicht aus. Insbesondere war nicht festzustellen, dass die Klägerin die erst nach Erteilung des Auftrags herausgegebenen Verlegerichtlinien kannte und ihr die Korrosionsschutzbinden zur Verfügung standen, so dass ein bewusstes „Weglassen“ nicht unterstellt werden konnte.

Fazit:

Das Kammgericht verweist insbesondere auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.07.2010 (VII ZR 77/08), in welcher bereits festgestellt wurde, dass nur derjenige arglistig handelt, der bewusst einen offenbarungspflichtigen Mangel verschweigt. Das OLG München hatte mit Beschluss vom 19.09.2014 (28 U 4245/13 Bau) ebenfalls festgestellt, dass Arglist vorliegt, wenn der Auftragnehmer während der Ausführung einen Mangel wahrgenommen und ihn als erheblich für den Bestand oder die Benutzung der Leistung erkannt, ihn dann jedoch dem Auftraggeber nicht mitgeteilt hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erheblichkeit des arglistigen Verschweigens eines Baumangels ist die Abnahme. Erkennt der Unternehmer den Mangel jedoch nicht bzw. seine Wesentlichkeit nicht, so kann eine Arglist nicht vorliegen.

Das OLG Dresden hatte mit Urteil vom 12.12.2013 (10 U 1954/12) darauf hingewiesen, dass selbst sorgfältig und gewissenhaft arbeitenden Bauleitern immer wieder Fehler unterlaufen. Allein aus dem Umstand, dass ein Baumangel auf einen gravierenden Bauausführungsfehler zurückzuführen ist, kann daher nicht gefolgert werden, der Bauleiter habe den Fehler erkannt und arglistig verschwiegen.

Dies zeigt, dass an das Vorliegen einer Arglist strenge Voraussetzungen zu stellen sind, welche im Prozess bewiesen werden müssen.

Autor

Eva Hildebrandt-Bouchon, M.A.

Eva Hildebrandt-Bouchon, M.A.

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