News | Newsletter | Neues zum Baurecht 02/2025
Sind Krankenhäuser nun Krankenhäuser oder Gewerbebetriebe im Sinne der TA-Lärm?
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 15.01.2025, Az. 1 KN 71/23
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung bestätigt, dass Krankenhäuser nicht zwingend den strengen immissionsschutzrechtlichen Richtwerten unterliegen müssen. Damit weicht das Obergericht von bisherigen Entscheidungen in anderen Bundesländern ab, in den ähnlich gelagerte Fälle schematisch und ohne Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Einzelfall entschieden wurden. Für den Krankenhausbau könnte die Entscheidung wegweisend sein.
Das Niedersächsische OVG hatte über die Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplans zu entscheiden, der den geplanten Teilneubau eines Vollversorger-Krankenhauses planungsrechtlich legitimieren sollte. Der geplante Teilneubau soll demnach auf dem bisherigen Betriebsgelände des bereits seit den 1970er Jahren bestehenden Krankenhauses entstehen. Nachbarn setzten sich durch Einleitung eines Normenkontrollverfahrens gegen den Bebauungsplan zur Wehr. Gerügt wurden Verstöße gegen Nachbarrechte. Unter anderem verstoße das Vorhaben gegen das Rücksichtnahmegebot, weil der geplante Betrieb des Neubaus nicht die nach der TA-Lärm für Krankenhäuser vorgesehenen Immissionsrichtwerte einhalte.
Die TA-Lärm – Abkürzung für Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – ist eine Verwaltungsvorschrift zur Ausgestaltung des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Diese Vorschrift sieht in Ziff. 6.1 konkrete Immissionsrichtwerte für verschiedene Gebietstypen für die Tag- und Nachtzeit vor. Insoweit sind für Kurgebiete, Krankenhäuser und Pflegeanstalten Richtwerte für die Tagzeit von 45 dB(A) und für die Nachtzeit 35 dB(A) vorgegeben. Wiederum darf nach der Vorschrift in bestimmten Ausnahmesituationen hiervon abgewichen werden. Voraussetzung ist eine Gemengelage. Nach dem Wortlaut der Ziff. 6.7 liegt eine Gemengelage vor, wenn gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen. Liegt diese Voraussetzung vor und ist der Stand der Lärmminderungstechnik eingehalten, ist eine Zwischenwertbildung zulässig.
In der Praxis kommt es gerade in dicht besiedelten Gebieten immer wieder vor, dass Krankenhäuser und besonders geschützte Wohngebiete unmittelbar nebeneinanderliegen. In der Theorie ist dies immissionstechnisch auch unproblematisch, immerhin bedürfen sowohl das Wohnen als auch stationär zu behandelnde Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern einer besonderen Ruhe- und Schutzbedürftigkeit. Praktisch allerdings verursachen Krankenhäuser reichlich Lärm im regulären Betrieb, wenn man den An- und Ablieferverkehr, Besucheraufkommen, Einsatzfahrten der Rettungswagen mit Martinshorn sowie Rettungshelikopterstarts und –Landungen berücksichtigt. Hinzu kommen betriebseigene Einrichtungen wie Gastronomie, Wäscherei, Betriebskindergarten und Betriebshof. Faktisch gleicht ein Krankenhaus damit einem tag- und nachtaktiven Gewerbebetrieb und kann damit faktisch kaum derart strenge Lärmrichtwerte einhalten.
Gleichwohl sah die bisherige Verwaltungsgerichtsbarkeit die für Krankenhäuser gemäß Ziff. 6.1 lit g) der TA-Lärm geltenden Richtwerte bislang als unumstößlich einzuhaltende Vorgaben an und schloss eine Anwendung der Ziff. 6.7 TA-Lärm aus systematischen und teleologischen Gründen aus mit der Folge, dass Zwischenwertbildungen bei Gemengelagen nicht vorgenommen werden durften (vgl. BayVGH, Beschluss vom 23.12.2014 - 2 ZB 14.1660; VG Hamburg, Beschluss vom 13.11.2015 – 9 E 2858/15).
Das Niedersächsische OVG hält dem entgegen, dass eine derart rechtsdogmatisch orientierte Betrachtungsweise die Realität eines der Allgemein- und Notfallversorgung dienenden Krankenhauses ignoriere. Auch ein Krankenhaus könne zu einer Vorbelastung der näheren Umgebung im Sinne der Ziff. 6.7 TA-Lärm führen, denn faktisch lasse sich ein Krankenhaus ohne erhebliche Lärmemissionen gar nicht betreiben. Dem stünden auch die Vorgaben der TA-Lärm nicht entgegen, denn die Vorschrift finde in den tatsächlichen Verhältnissen gewisse Schranken ihrer schematischen Beachtlichkeit. In Bereichen, in denen Gebiete von unterschiedlicher Qualität und unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit zusammentreffen, sei die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet. Dies führe nicht nur zur Pflichtigkeit desjenigen, der Belästigungen verbreitet, sondern auch zu einer die Tatsachen respektierenden Duldungspflicht derer, die sich in der Nähe von legalen Belästigungsquellen ansiedelten. Aus diesen Grundsätzen sei zu schlussfolgern, dass es zum einen stets auf die tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall ankomme und zum anderen das Gebot der Rücksichtnahme „keine Einbahnstraße“ sei.
Im Ergebnis stellt das Niedersächsische OVG klar: Klinikgebiete mit Krankenhäusern der Allgemein- und Notfallversorgung sind hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen als einem Gewerbegebiet vergleichbar genutzte Gebiete einzustufen, die im Fall eines gewachsenen Miteinanders mit Wohngebieten eine Zwischenwertbildung erforderlich machen.
Die Entscheidung ist nicht nur richtig, sondern auch wichtig im Hinblick auf zukünftige Neu- oder Umbauvorhaben bei Krankenhäusern, Pflegeanstalten und Reha-Kliniken und deren Betrieb: Sie berücksichtigt einerseits den Umstand, dass der Betrieb von Krankenhäusern zwangsläufig Lärm verursacht und auch verursachen können muss, um einwandfrei zu funktionieren. Zum anderen stellt sie klar, dass die jeweilige Schutzbedürftigkeit des Betroffenen stets anhand der Umstände des Einzelfalls zu bewerten ist und diese hierdurch eingeschränkt sein kann, etwa dann, wenn das Krankenhaus schon da (und laut) war, bevor die Wohnbebauung der betroffenen Nachbarn „herangerückt“ ist.
Das OVG hat die Revision nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde steht noch beim Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung aus (Stand: April 2025).
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