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Nachträgliche Sonderzuständigkeit der Baukammer durch Widerklage

KG, Beschluss vom 19.10.2020 – 2 AR 1038/20

Eine gesetzliche Sonderzuständigkeit nach §§ 72a, 119a GVG ist auch dann begründet, wenn ein unter diese Vorschriften fallender Anspruch erst nachträglich durch eine Klageerweiterung oder eine Widerklage in den Rechtsstreit eingeführt wird. Der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) steht dem nicht entgegen, weil er einen unveränderten Streitgegenstand voraussetzt.

Im zugrundeliegenden Fall mietete die Klägerin – ein Architekturbüro – eine große Bürofläche an, welche sich noch im Rohbau befand, und untervermietete eine Teilfläche hiervon an die Beklagte. Bei der Beklagten handelte es sich um ein Bauunternehmen, welches die komplette Bürofläche gemäß Vereinbarung mit der Klägerin ausbauen und die beiden Parteien sich die Kosten dafür zur Hälfte teilen sollten. Nachdem die Klägerin die erste Abschlagsrechnung i.H.v. EUR 45.000,00 noch bezahlt hat, kam es zum Streit über die Art des Ausbaus und die Beklagte stellte die Mietzahlungen ein, woraufhin die Klägerin das Mietverhältnis kündigte und Klage vor dem Landgericht Berlin auf Räumung und Zahlung der Mietrückstände erhob. Die Klage ging bei der allgemeinen Zivilkammer (38) ein. Die Beklagte erstellte für die weiter ausgeführten Bauarbeiten eine zweite Abschlagsrechnung i.H.v. EUR 45.000,00 und erhob Widerklage, gerichtet auf den Ausgleich dieser Rechnung durch die Klägerin. Die allgemeine Zivilkammer hat die Sache daraufhin formlos an die Kammer für Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen (20) abgegeben, welche sich wiederum für funktional unzuständig erklärte und die Sache an die allgemeine Zivilkammer (38) zurückgab. Letztere legte die Sache sodann dem Kammergericht als dem in Entsprechung mit § 36 Abs. 1 ZPO im Rechtszug höheren Gericht zur Entscheidung des zuständigen Spruchkörpers vor. Das Kammergericht bestimmt nun die Baukammer des Landgerichts als zuständigen Spruchkörper. Es sieht die Voraussetzungen der gesetzlichen Sonderzuständigkeit des § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG als gegeben an. Der Anwendungsbereich der Vorschrift erstrecke sich auf Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stünden. Hiervon seien nach dem Willen des Gesetzgebers alle Streitigkeiten über Ansprüche umfasst, die aus einem Rechtsverhältnis herrühren, in dem eine Partei eine Verpflichtung zur Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauarbeiten übernommen habe.

Die Beklagte, welche sich gewerbsmäßig mit der Ausführung von Bauarbeiten befasse, mache eine Entgeltforderung aus einem mündlich geschlossenen Bauvertrag geltend, was eine Zuständigkeit der Baukammer nach §72a S. 1 Nr. 2 GVG begründe. Entgegen der Annahme der Baukammer läge hier kein gesellschaftsrechtlicher Ausgleichsanspruch vor, insbesondere da schon die Parteien selbst nicht von der Gründung einer Gesellschaft ausgingen. Der Entscheidung über die Zuständigkeit der Baukammer stehe auch nicht entgegen, dass diese Zuständigkeit sich erst nachträglich durch die Erhebung der Widerklage ergeben habe. Zwar sehe § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO vor, dass eine Zuständigkeit des Prozessgerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt werde (sog. „perpetuatio fori“). Allerdings gelte dieser Grundsatz nach allgemeiner Auffassung nur bei einem unveränderten Streitgegenstand und damit gerade nicht im Falle nachträglicher Klageerweiterungen und Widerklagen. Vielmehr könne die vorliegende Konstellation mit der Vorgehensweise bei § 506 ZPO verglichen werden, wo das Gesetz eine nachträgliche Verweisung des Rechtsstreits vom Amts- an das Landgericht ausdrücklich vorsehe. Zudem könne etwaigen Missbrauchsfällen mit einer Abtrennung der Widerklage nach § 145 ZPO begegnet werden, die im zugrundeliegenden Fall jedoch aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Klage und Widerklage nicht sachgerecht wäre.

Fazit:

Die Entscheidung des Kammergerichts einschließlich der zugrunde gelegten Argumentation überzeugt. Die Möglichkeit der sachgerechten Begründung der Sonderzuständigkeit der Baukammer durch nachträgliche Klageerweiterung oder Widerklage trägt entscheidend dazu bei, dass der Grundgedanke der Einführung der Sonderzuständigkeit von Baukammern zum 01.01.2018 - Verbesserung der Qualität der Gerichtsentscheidungen in Bausachen und Schnelligkeit des Bauprozessablaufs – auf lange Sicht Früchte trägt, wovon die Baurechtsgemeinschaft nur profitieren kann.

Autor

Igor Zarva, LL.M.

Igor Zarva, LL.M.

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