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Enttäuschte Veräußerungserlöserwartung bei Mengenminderung – und nun?

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) schreibt Holzungsarbeiten aus. Zu den Leistungen des Auftragnehmers (AN) gehört u.a. in der Position (Pos.) 01.00.000 4.500 Stück „Bäume fällen ohne Roden“. Das Holz ist dem AN zur Verwertung zuzuführen. Der AN bietet Einheitspreis (EP) von 0,12 Euro in der Pos. 01.00.000 an. Im Rahmen der Auskömmlichkeitsprüfung legt der AN seine Urkalkulation offen. Danach setzt sich der EP aus den Einzelkosten der Teilleistung einschließlich Zuschlägen für Baustellengemeinkosten (BGK), Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) und Gewinn - abzüglich einer Gutschrift zusammen. Aus der Urkalkulation ergibt sich, dass der AN mit einem Erlös aus der Verwertung der Bäume von insgesamt EUR 60,00 rechnet, von dem er EUR 15,00 als Gutschrift an den AG weiterreicht; der Restbetrag des Verwertungserlöses von EUR 45,00 pro Baum soll dem AN verbleiben. Im Bau-Ist sind es jedoch nur 1.237 Bäume. Der AN verlangt nach Ausführung der Leistung für entgangene Verwertungserlöse i.H.v. EUR 146.835,00 eine Anpassung des EP gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B.

Nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B ist bei einer über 10 Prozent hinausgehenden Unterschreitung des Mengenansatzes auf Verlangen der Einheitspreis für die tatsächlich ausgeführte Menge der Leistung zu erhöhen, soweit der AN nicht durch Erhöhung der Mengen bei anderen Positionen oder in anderer Weise ein Ausgleich erhält. Durch diese Regelung soll der Vergütungsanspruch des AN den Unwägbarkeiten entzogen werden, die sich aus der unzutreffenden Einschätzung der für die Ausführung der Bauleistung erforderlichen Mengen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ergeben. Die aufgrund der Mengenminderung eingetretene Störung des Äquivalenzverhältnisses soll durch eine entsprechende Anpassung der Vergütung durch Neubildung eines einheitlichen EP für die gesamte, tatsächlich ausgeführte Masse ausgeglichen werden. Für die enttäuschten Verwertungserlöse ist es im Grundsatz irrelevant, ob es eine Erhöhung bei anderen Positionen gibt, auch ein Ausgleich in anderer Weise kommt insoweit nicht in Betracht.

Bezugsgröße für den wegen der Mengenminderung anzupassenden EP ist gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B der ursprüngliche EP. Hieraus folgt, dass Faktoren, die nicht Bestandteil des ursprünglichen EP sind, bei dessen Anpassung unberücksichtigt bleiben. Kernfrage ist somit, wann ein erwarteter Veräußerungserlös Bestandteil eines EP ist.

Der BGH hat den Vertrag in der entschiedenen Konstellation so ausgelegt, dass der AG davon ausgehen durfte, dass - mit Ausnahme der in den EP eingerechneten Gutschrift - die weitere Erlöserwartung des AN keinen Einfluss auf den angebotenen EP hat. Wenn aber aus der Urkalkulation eines AN klar folgt, dass der von ihm prognostizierte Verwertungserlös insgesamt Bestandteil des angebotenen EP ist, ist dieser auch Bestandteil des Äquivalenzverhältnisses und führt zu einer EP-Erhöhung bei einer Mengenminderung gem. § 2 Abs. 3 Nr. VOB/B. Durch eine Mengenminderung ist das Äquivalenzverhältnis in dieser Konstellation dann offenkundig gestört. Den Leitgedanken des BGH aus der Grundsatzentscheidung vom 08. August 2019 VII ZR 34/18, NZBau 2019, 706) – „es entspricht der Redlichkeit und dem bestmöglichen Ausgleich der wechselseitigen Interessen, dass durch die unvorhergesehene Veränderung der auszuführenden Leistungen im von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmten Umfang keine der Vertragsparteien eine Besser- oder Schlechterstellung erfahren soll“ -, übertragen auf die Konstellation der prognostizierten, aber enttäuschten Verwertungserlöse, die explizit in den angebotenen EP eingeflossen sind, bedeutet, dass der AN nur dann nicht schlechter gestellt ist, wenn er den kalkulierten Verwertungserlös (ausgeschriebene Menge multipliziert mit dem in der Urkalkulation ausgewiesenen Verwertungserlös) durch eine Erhöhung des EP für die Mindermengen betragsmäßig erhält.

Fazit

Der BGH hat mit dem Urteil vom 10.06.2021, VII ZR 157/20, die in der Praxis regelmäßig bedeutsame Frage entschieden, wie mit vom AN erwarteten aber im Bau-Ist wegen einer unwillkürlichen Mengenminderung nicht realisierten Veräußerungserlösen umzugehen ist. Der BGH stellt darauf ab, ob sich aus der Urkalkulation die Erwartung eines Verwertungserlöses als preisbildender Faktor ergibt. Der prognostizierte Verwertungserlös steht im synallagmatischen Zusammenhang mit der ausgeschriebenen Leistung bzw. jedenfalls ist er maßgeblicher Bestandteil des Äquivalenzverhältnisses, wenn er explizit in den EP eingeflossen ist. Für einen Anspruch auf Einheitspreiserhöhung gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B bei enttäuschter Erlöserwartung kommt es somit darauf an, ob sich aus der Urkalkulation klar ergibt, dass der Verwertungserlös Bestandteil der Preisbildung war und damit im synallagmatischen Zusammenhang mit der ausgeschriebenen (Gesamt-)Leistung steht.

Autor

Jarl-Hendrik Kues, LL.M.

Jarl-Hendrik Kues, LL.M.

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