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Kein positives Interesse nach Aufhebung des Zuschlags

Schon im letzten Jahr berichteten wir über eine BGH-Entscheidung, wo einem übergangenen Bieter eines Vergabeverfahrens der Schadensersatzanspruch auf das positive Interesse versagt wurde (Urteil vom 08.12.2020, XIII ZR 19/19). Mit einem neuen Urteil vom 23.11.2021, XIII ZR 20/19, wies der BGH wieder einen Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns zurück. Die Luft wird dünn für solche Ansprüche.

Der Fall

Im konkreten Fall waren Bodenbelagsarbeiten nach Abschnitt 1 der VOB/A öffentlich ausgeschrieben worden. Das Vergabeverfahren wurde von einem Dienstleister für eine Kommune als Bauherrin durchgeführt. Zwei Bieter gaben Angebote ab. In einer LV-Position waren fälschlich nur 230 m² anstelle der richtigen Menge von 4.480 m² als Vordersatz genannt. Der Kläger trug einen EP von 6,75 € dort ein, der zweite Bieter B forderte 3,50 €. Schon beim Aufklärungsgespräch war allen klar, dass der Mengenvordersatz dieser OZ zu niedrig war.

Bieter B erhielt den Auftrag. Erst nach Zuschlag wird ein Übertragungsfehler festgestellt, der dem Dienstleister bei der Zusammenstellung der Auftragssumme passiert war, weshalb das Angebot von B preislich günstiger erschien als das des nun klagenden Bieters. Aufgrund dieser Feststellung eines weiteren Fehlers schloss die auftraggebende Stadt mit B, der den Zuschlag erhalten hatte, einen Aufhebungsvertrag. Danach wurde das Vergabeverfahren erneut durchgeführt, beide Bieter nahmen wiederum Teil. Nun war B, der schon beim ersten Mal den Zuschlag erhalten hatte, der Mindestfordernde und erhielt den Auftrag.

Daraufhin macht der Kläger gegen die auftraggebende Stadt Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses (entgangener Gewinn zuzüglich Allgemeine Geschäftskosten) geltend. Während die Klage vor dem Landgericht zurückgewiesen wird, ist der Kläger vor dem OLG erfolgreich.

Die Entscheidung

Auf die Revision des Auftraggebers weist der BGH die Klage ab. Die Grundsätze für solche Fälle bleiben unverändert. Danach kann ein rechtswidrig übergangener Bieter, der bei ordnungsgemäßer Vergabe den Auftrag hätte erhalten müssen, das positive Interesse fordern, wenn in dem Vergabeverfahren auch tatsächlich der Zuschlag (an einen anderen) erteilt wurde. Im entschiedenen Fall wurde zwar tatsächlich der Zuschlag an einen anderen erteilt. Das erfolgte aber nur wegen eines Rechenfehlers des Vergabedienstleisters, der das Angebot von B fälschlich als das preislich günstigste gewertet hatte. Bei richtiger Wertung wäre das Angebot des Klägers am billigsten gewesen. Allerdings kam es nicht zur Vertragsdurchführung, weil die beklagte Stadt den bereits mit B geschlossenen Vertrag durch Aufhebungsvertrag sofort wieder beendete. Danach wurde unter Beteiligung des Klägers ein neues Vergabeverfahren mit korrigiertem LV durchgeführt. Bei diesem neuen Verfahren gab nicht der Kläger das günstigste Angebot ab, sondern dieses Mal tatsächlich der Mitbewerber B, der nun also zu Recht als preisgünstigster Bieter beauftragt und der Kläger ging leer aus.

Entgangenen Gewinn – so der BGH - kann es für einen erfolglosen Bieter nur geben, wenn ein „falscher“ Bieter den Auftrag erhält. Im entschiedenen Fall wurde aber eine fehlerhafte erste Vergabe durch den Aufhebungsvertrag wieder neutralisiert. Das Recht des ursprünglich übergangenen Bieters wurde im anschließenden, erneuten Vergabeverfahren ausreichend gewahrt. Dahinter steckte wohl auch die Erwägung, dass der Kläger im ersten Verfahren keinen Zuschlag hätte beanspruchen können, weil er zwar günstigster Bieter war, aber durch den Fehler bei den Mengenvordersätzen im LV das Verfahren korrekterweise ohnehin zurückzuversetzen gewesen wäre. Im zweiten Vergabeverfahren hingegen wurden keine Fehler behauptet. Für die Frage nach Schadensersatz ist daher nur das zweite Vergabeverfahren relevant. Dort erhielt aber der richtige Bieter den Zuschlag.

Der Kläger hätte allerdings die Angebotsbearbeitungskosten (das sog. negative Interesse) geltend machen können, was aber offenbar nicht geschah. Durch ein Versäumnis des Auftraggebers waren falsche Mengenvordersätze im ursprünglichen LV enthalten waren und deshalb wurde das erste Vergabeverfahren vergeblich und rechtswidrig durchgeführt. Der Kläger hätte daher seine Aufwendungen für das erste Vergabeverfahren als Schadensersatz geltend machen können.

Fazit

Bieter können kaum noch entgangenen Gewinn und AGK als Schadensersatz bei fehlerhaften Vergabeverfahren gelten machen. Dies wurde besonders deutlich mit der im letzten Jahr vorgestellten Entscheidung XIII ZR 19/19 (Flüchtlingsunterkunft). Dort hatte der Auftraggeber das ursprüngliche Vergabeverfahren mit der falschen Behauptung aufgehoben, es müsse verändert neu ausgeschrieben werden. Tatsächlich schrieb er einige Monate später dieselbe Leistung unverändert neu aus und ein anderer Bieter erhielt den Zuschlag. Auch hier wurde dem Kläger, der im ersten Verfahren vorn lag und den Zuschlag hätte erhalten müssen, kein Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses zugesprochen. Nach BGH kann das nämlich nur beansprucht werden, wenn eine Ausschreibung allein in der Absicht aufgehoben wird, um den Auftrag an einen anderen Bieter vergeben zu können. Diese Absicht wird man einem Auftraggeber kaum nachweisen können. Wohl als Trostpflaster wies der BGH schon in dieser Entscheidung XIII ZR 19/19 darauf hin, dass in solchen Fällen ohne weiteres der Ersatz der Angebotsbearbeitungskosten gefordert werden kann. Ein Bieter kann die anhand der Stundennachweise belegten Kosten für Angebotsbearbeitung ersetzt verlangen. Es kann sich daher für Bieter künftig lohnen, zumindest bei größeren Vergabeverfahren den internen Aufwand für die Angebotsbearbeitung über Stundennachweise festzuhalten.

Autor

Prof. Dr. Ralf Leinemann

Prof. Dr. Ralf Leinemann

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