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Die Bedeutung von Milieuschutz im Städtebau – Ein Überblick

Das Thema Milieuschutz hat, zum Unmut von Grundstückseigentümern, in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Wurde früher von diesem städtebaulichen Instrument nur vereinzelt, etwa in Nürnberg (von 1981 bis 2004), Gebrauch gemacht, so finden sich inzwischen in immer mehr deutschen Großstädten entsprechende Satzungen. Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Hannover und Berlin haben Milieuschutzsatzungen für Teilgebiete der Stadt erlassen. Und auch in weiteren Städten bestehen bereits politische Diskussionen oder sogar konkrete Pläne darüber, Milieuschutzsatzungen zu erlassen – so etwa in Leipzig, Dortmund und Freiburg.

In der politischen Landschaft folgt die Einstellung der Parteien zur Sinnhaftigkeit von Milieuschutz der klassischen Rollenverteilung von links nach rechts: Während SPD, Bündnis 90/Die Grünen und LINKE den Milieuschutz befürworten und in Regierungsverantwortung auch ausbauen, steht die CDU ihm grundsätzlich eher zögerlich gegenüber (vgl. Jens Sethmann: „Milieuschutz und Politik – Ideologische Vorbehalte“, in MieterMagazin 7+8/15, Artikel vom 03.07.2015), öffnet sich aber immer mehr dem Konzept (vgl. Eva Eusterhus: „Milieuschutz soll verlängert werden“, in Welt Online, Artikel vom 07.08.2018). Die FDP will den Milieuschutz ganz abschaffen, weil er nicht zur Bekämpfung des Mietpreisanstiegs in den betroffenen Gebieten tauge (siehe "Wir müssen bauen, bauen, bauen", Zusammenfassung des Sommerinterviews mit Christoph Meyer auf rbb/24 vom 29.07.2017, sowie Andreas Dey: „Milieuschutz für 64.000 Menschen in Eimsbüttel“, im Hamburger Abendblatt, Artikel vom 18.04.2018). Die AfD hält den Erlass von Milieuschutzsatzungen gar für „irrsinnig“ („Laatsch (AfD) zum bezirklichen Vorkaufsrecht: Milieuschutz ist Ausgrenzung“, Pressemitteilung der AfD-Fraktion Berlin vom 31.08.2017).

Um diese unterschiedlichen Ansichten einordnen zu können, stellt sich zunächst die Frage: Was bedeutet Milieuschutz überhaupt?

Der Erlass von Milieuschutzsatzungen ist letztlich ein in § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB geregeltes städtebauliches Instrument, das der Gemeinde die Möglichkeit gibt, Gebiete zu bezeichnen, in denen der Rückbau (Abriss), die Änderung (z.B. Anbau oder Umbau) oder die Nutzungsänderung (Nutzung zu einem anderen als dem ursprünglich genehmigten Zweck) baulicher Anlagen einer Genehmigung (§ 173 BauGB) bedürfen. Die Festlegung des Erhaltungsgebiets kann die Gemeinde im Rahmen eines Bebauungsplans oder durch eine sonstige Gemeindesatzung bestimmen, wobei praktisch die Erhaltungssatzung eine deutlich größere Rolle spielt. Dieser Umstand ergibt sich daraus, dass die für die Bauleitplanung vorgeschriebenen Verfahrensregeln für die Gemeinde im Rahmen einer sonstigen Gemeindesatzung keine Anwendung finden (OVG Lüneburg, Urt. v. 27.04.1983 – 1 C 1/82) und der Erlass einer sonstigen Satzung sonst schlicht einfacher ist.

Ziel der Satzung ist es, den in einem intakten Gebiet wohnenden Menschen den Bestand der Umgebung zu sichern und so die Bevölkerungsstruktur in einem bestimmten Ortsteil vor unerwünschten Veränderungen zu schützen (BVerwG, Urt. v. 18.06.1997, Az.: BVerwG 4 C 2/97, Rn. 15; vgl. BVerfG, Urt. v. 26.01.1987, Az.: 1 BvR 969/83). Dies bedeutet, dass die Satzung mit dem Zweck erlassen wird, die vorhandene Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten. Schutzwürdig ist insoweit ein Gebiet mit grundsätzlich jeder Art von Wohnbevölkerung, soweit deren Zusammensetzung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll. Der Milieuschutzgedanke bezieht sich also nicht zwingend auf Stadtteile mit einem niedrigeren Einkommensniveau, sondern kann beispielsweise auch dem Erhalt eines Studentenviertels als solches dienen. In Betracht kommt eine Milieuschutzsatzung insbesondere in Gebieten, deren Infrastruktureinrichtungen auf die ansässige Wohnbevölkerung abgestimmt sind (z.B. hinsichtlich sozialer und gesundheitlicher Versorgung). Eine Gefährdung kann vor allem durch Erneuerungsmaßnahmen und die Bildung von Wohneigentum entstehen (Mitschang in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 172 Rn. 19). Dies liegt darin begründet, dass solche wertsteigernden Maßnahmen sich natürlich auch in Mieterhöhungen niederschlagen und mitunter dazu führt, dass die bislang ansässige Wohnbevölkerung irgendwann nicht mehr in der Lage ist, die erhöhten Kosten finanziell zu tragen und in der Folge aus dem betroffenen Gebiet wegziehen muss. Eine solche Entwicklung wird, je nach Ausmaß, als städtebaulich nachteilig angesehen, weshalb ihr mithilfe von Milieuschutzsatzungen vorgebeugt bzw. entgegengewirkt werden soll.

Ist die Milieuschutzsatzung in Kraft getreten, hat dies weitreichende Einschnitte für die Grundstückseigentümer in die freie Verfügung über ihre Immobilien: Rückbau, Änderung und Nutzungsänderung sind, wie eingangs erwähnt, von diesem Moment an genehmigungsbedürftig. Dies gilt allerdings nicht für die Errichtung neuer Anlagen. Neubauten bedürfen also auch im Milieuschutzgebiet keiner gesonderten Genehmigung. Mit Blick auf die nur begrenzte Verfügbarkeit von unbebauten Grundstücken (der Abriss alter Gebäude ist, wie oben erwähnt, ja genehmigungsbedürftig) im Innenstadtbereich, wo Milieuschutzgebiete üblicherweise festgesetzt werden, ist dieser Umstand allerdings faktisch wohl von nur untergeordneter Bedeutung.

Eine ganz besonders große Bedeutung kommt demgegenüber dem Erlass von Rechtsverordnungen gem. § 172 Abs. 1 S. 4 BauGB zu. Hier ist für die Regierungen der Bundesländer die Möglichkeit geschaffen worden, in Gebieten einer Milieuschutzsatzung durch sogenannte „Umwandlungsverordnungen“ zu bestimmen, dass die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum an Gebäuden, die ganz oder teilweise Wohnzwecken zu dienen bestimmt sind, ebenfalls unter die Genehmigungspflicht nach § 173 BauGB fällt. Diese Rechtsverordnungen gelten maximal 5 Jahre, wenn sie vor Ablauf nicht durch die Regierung erneuert werden. Durch ihren Erlass ist die Aufteilung von Gebäuden in Wohneigentum dann nur noch in engen Grenzen möglich. Solche Umwandlungsverordnungen gibt es momentan in Berlin (derzeit in Kraft bis zum 13.03.2020), Hamburg (derzeit in Kraft bis zum 01.01.2019) und in Baden-Württemberg (derzeit in Kraft bis zum 07.11.2018). In den anderen Bundesländern besteht eine solche Verordnung bislang noch nicht (siehe Brügelmann, Baugesetzbuch, 105. Lfg. Januar 2018, Inhaltsübersicht).

Zu guter Letzt besteht ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Milieuschutzsatzung ein grundsätzliches Vorkaufsrecht der Gemeinde beim Kauf von Grundstücken im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BauGB. Dieses gilt für bebaute wie für unbebaute Grundstücke. Nicht nur in Berlin wird in den letzten Jahren vermehrt von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht (siehe Sören Götz und Veronika Völlinger: „Sie kaufen sich die Stadt zurück“, in Zeit Online, Artikel vom 17.08.2017), auch Frankfurt am Main nutzt das Vorkaufsrecht (Thomas Maier: „Frankfurt kauft Häuser auf, um Mieter vor Verdrängung zu schützen“, in Frankfurter Neue Presse, Artikel vom 18.03.2018).

Nach welchen Voraussetzungen eine Genehmigung durch die Gemeinde allgemein erteilt wird und in welchen Fällen sie die Genehmigung zwingend versagen oder erteilen muss, wird hier im Einzelnen genauer erläutert.

Autor

Michael Göger, LL.M.

Michael Göger, LL.M.

Weitere Artikel dieser Ausgabe

  • Shushanik Röcker, LL.M.: Die Genehmigung im Milieuschutz – Voraussetzungen, Versagungsgründe und Ausnahmen