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Angebot vorab per E-Mail: (K)ein Problem?

Das OLG Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 18.02.2020 (11 Verg 7/19) darüber entschieden, ob ein Angebot schon deshalb auszuschließen ist, weil es vor form- und fristgerechter Abgabe über die Vergabeplattform, formwidrig und per E-Mail vorab an die Vergabestelle übermittelt wurde.

Während das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 17.03.2017 - 15 Verg 2/17) dies (wohl) anders bewertet und davon ausgeht, dass die Formwidrigkeit des unverschlüsselten Angebots vorab auf das später korrekt eingereichte Angebot durchschlage, dieses also „infiziert“, vertritt das OLG Frankfurt hier eine bieterfreundlichere Position und lehnt eine „Infizierung“ und somit einen Ausschluss ab.

Formmängel bzw. Streit hierüber bleiben somit auch in Zeiten der E-Vergabe keinesfalls „Schnee von gestern“, sondern brandaktuell, wie bereits die vielen Verfahren zur Frage des fristgerechten „Uploads“ der Angebotsunterlagen belegen.

In Zeiten der analogen Ausschreibungen waren Klassiker der Formverstöße vor allem (teils lediglich Sekunden) verspätete Angebote (st. Rspr. vgl. nur VK Bund, Beschluss vom 26.10.2016 - VK 1-92/16) oder unzuverlässige Post- und Kurierdienstleister. Ebenso einhellig wurde stets entschieden, dass geöffnete oder beschädigte (und somit „quasi“ geöffnete) Angebote auszuschließen sind. Und dies selbst dann, wenn die einer Öffnung gleichkommenden Beschädigung durch den Zusteller, also den beauftragten Kurierdienst, zu vertreten war (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.09.2014 - 1 VK 40/14).

Mit Einführung der Vorschriften über die E-Vergabe stellte sich die Frage, wie diese sehr strikten, aber gleichwohl gefestigten Grundsätze in die digitale Welt „übersetzt“ werden können. Bislang – und dies erscheint konsequent – wurden an die formalen Voraussetzungen weiterhin sehr hohe Anforderungen gestellt: Entschieden wurde etwa, dass das „Versendungsrisiko“, also in der digitalen Welt das Risiko der fristgerechten und vollständigen Übermittlung (sog. „Übermittlungsrisiko), weiterhin und grundsätzlich bei den Bietern verbleibt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.06.2019 - Verg 8/19). Ebenso bleibt es dabei, dass ein Angebot, das nicht den Anforderungen an die elektronische Signatur entspricht, wie in der Vergangenheit ein nicht unterschriebenes Angebot, auszuschließen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.09.2018 - Verg 32/18).

Auch insofern neue Probleme folgen grundsätzlich dieser strikten Linie: So ist etwa nach Ansicht der VK Bund (Beschluss vom 31.01.2020 - VK 2-102/19 (nicht bestandskräftig)) ein Angebot, das von einer Mutter eines ARGE Mitglieds hochgeladen wird, zumindest dann auszuschließen, wenn die Vergabeunterlagen vorsehen, dass Angebote vom Account des konkreten Bieters hochzuladen sind.

Sachverhalt:

Im vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall ging es nun um die Frage, inwieweit ein Angebot, das vor formgerechter Einreichung über die Vergabeplattform per unverschlüsselter E-Mail an den Auftraggeber versandt wurde, auszuschließen ist:

Ungeachtet der eindeutigen Vorgabe, wonach Angebote über die Vergabeplattform einzureichen sind, reichte der Bieter fristgerecht, allerdings formwidrig per E-Mail ein unverschlüsseltes Angebot ein. Die E-Mail enthielt das Anschreiben, während das Angebot selbst als Anlage beigefügt war und vom Öffentlichen Antragsgegner nicht geöffnet wurde.

Auf unverzüglichen Hinweis des Auftraggebers, wonach die Einreichung per E-Mail formwidrig sei, reichte der Bieter das Angebot sodann - nach wie vor fristgerecht – nochmals über die Vergabeplattform ein.

Das erste abgegebene Angebot wurde mangels Einhaltung der Formvorschrift ausgeschlossen.

Allerding schloss der Auftraggeber auch das zweite, insoweit form- und fristgerecht über die Vergabeplattform eingereichte Angebot aus, da dieses von dem ersten unverschlüsselten Angebot „infiziert“ sei; die Formwidrigkeit des ersten Angebots (per E-Mail) also auf das korrekt eingereichte, zweite Angebot durchschlage.

Hiergegen wandte sich der Bieter und die Vergabekammer gab seinem Antrag statt, wogegen sich wiederum die sofortige Beschwerde des öffentlichen Auftraggebers richtete, über die nun das OLG Frankfurt zu entscheiden hatte.

Entscheidung:

Das OLG Frankfurt teilt die Ansicht der Vergabekammer und hält den Ausschluss des zweiten, korrekt eingereichten Angebots für unzulässig:

Der Senat weist in seiner Entscheidung insbesondere darauf hin, dass das eigentliche Angebot formgerecht (insbesondere verschlüsselt) und auch fristgerecht abgegeben wurde und dies unabhängig davon, dass vor Angebotsabgabe eine unverschlüsselte Abgabe des Angebots per E-Mail erfolgte. Die beiden Angebote seien isoliert zu betrachten, eine „Infizierung“ sei nicht anzunehmen:

Da die Abgabe mehrerer Angebote grundsätzlich zulässig ist, sei ein Rückschluss von einem Angebot auf das andere jedenfalls nicht zwingend. Zudem sei es auch tatsächlich zu keiner vorfristigen Öffnung des ersten Angebots durch den Öffentlichen Auftraggeber gekommen, sodass vom Inhalt des Angebots per E-Mail keine Kenntnis genommen wurde.

Kurzbesprechung/ Kritik:

Die Entscheidung des OLG Frankfurt folgt der grundsätzlich vom BGH (Urteil vom 18.06.2019 - X ZR 86/17) eingeschlagenen Linie einer tendenziell bieterfreundlichen Handhabung des Vergaberechts. Da formale Ausschlüsse letztlich im Interesse keines Beteiligten liegen, ist die Entscheidung insoweit interessensgerecht.

Problematisch ist jedoch, dass die zunehmende Aufweichung möglicherweise strenger, dafür jedoch klarer und somit im Ergebnis auch „fairer“ Regeln, die Gefahr der Beliebigkeit birgt, die sowohl die anwaltliche Beratung, als auch die Abschätzung etwaiger Verfahrensrisiken hinsichtlich eines Vergabenachprüfungsverfahrens erschweren.

Zu bedenken ist außerdem, dass es auch im Falle der geöffneten/ beschädigten Angebote (in Papierform) zu keiner Zeit auf eine tatsächliche, vorherige Kenntnisnahme vom Angebotsinhalt ankam: Vielmehr genügte es, wenn der Umschlag mit dem Angebot geöffnet eingeht oder auch nur so weit beschädigt ist, dass vom Inhalt des Angebots Kenntnis genommen werden könnte. Dies erscheint auch sachgerecht, da ansonsten der Öffentliche Auftraggeber willkürlich über einen Ausschluss entscheiden könnte, indem er die E-Mail öffnet (Ausschluss) oder die E-Mail nicht öffnet (kein Ausschluss), zumal der Absender der E-Mail (und somit auch der Bieter) anhand der E-Mail-Adresse vor dieser Entscheidung identifizierbar ist.

Der Annahme, dass das „vorab per E-Mail“ eingereichte Angebot nicht notwendigerweise dem letztlich formgerecht eingereichten Angebot entspricht, kann zunächst zugestimmt werden; gleichwohl erscheint es realitätsfern, dass dies die Regel ist: Im Gegenteil wird es nämlich in der Mehrzahl der Fälle so sein, dass die Bieter exakt dasselbe Angebot schlicht doppelt einreichen. Hierbei werden zwar zwei Dateien generiert; im Ergebnis handelt es sich jedoch um dasselbe Angebot (in Kopie).

Vor diesem Hintergrund erscheint der Ansatz des OLG Karlsruhe, zudem unter Berücksichtigung der Analogie zu den geöffneten/ beschädigten Angeboten aus der „Papierzeit“, überzeugender.

Autor

Jonas Deppenkemper

Jonas Deppenkemper

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