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Nachträge ersetzen keine Vergabeverfahren

Vergabeverfahren enden mit dem Vertragsschluss. So weit, so klar. Aber was ist eigentlich mit vergaberechtswidrig geschlossenen Verträgen, die der Vergabekammer (VK) zur Überprüfung vorliegen? Kann deren Vollzug vorläufig von der VK ausgesetzt werden? Hierzu und dazu, dass ein neuer Bauauftrag an einer anderen Baustelle nicht als Nachtrag zu einem bestehenden Bauauftrag getarnt werden kann, hat sich die VK Südbayern mit Beschluss vom 03.05.2021 (3194.Z3-3_01-21) geäußert.

Sachverhalt

Nachdem der Antragsteller (ASt) erfolgreich gegen den Ausschluss aus dem Vergabeverfahren der Auftraggeberin (AG) vorgegangen war, erhielt er den Zuschlag für einen Bauauftrag im Münchener Stadtteil A. Es kam zu Unstimmigkeiten zwischen den Vertragsparteien, weshalb die AG dem ASt kündigte. Anschließend beauftragte sie das Unternehmen F mit der Ausführung der restlichen Arbeiten im Stadtteil A. F war bereits in einem ähnlichen Auftrag im Münchener Stadtteil S für die AG tätig. Der Wert des „Nachtrags“ lag unterhalb von 15 % des ursprünglichen Auftragswerts. Also deklarierte sie den neuen Bauauftrag als Nachtrag zum bestehenden Auftrag. Vor der VK ging es um zwei Fragen: Erstens sollte sie klären, ob VKn den Vollzug möglicherweise vergaberechtswidrig geschlossener Verträge stoppen können. Zweitens hatte sie zu beantworten, woran man einen neuen Bauauftrag im Gegensatz zu einem Nachtrag erkennt.

Die Entscheidung

Die VK findet die folgenden Antworten:

Erstens: Keine Aussetzung geschlossener Verträge durch die VK!

Die VK sieht keine Möglichkeit für sich, den Vollzug eines geschlossenen Vertrags zu stoppen. Denn § 169 Abs. 3 GWB, die Norm über den einstweiligen Rechtsschutz, erlaube einer VK nur, „in das Vergabeverfahren“ einzugreifen. Durch Vertragsschluss ende das Vergabeverfahren aber, sodass ein Eingriff in das Vergabeverfahren mit vorläufigen Maßnahmen nicht mehr möglich sei. Damit seien der VK vom Wortlaut der Vorschrift die Hände gebunden. Um aber den verfassungsrechtlichen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz zu wahren, könne der Vertragsvollzug von einem Zivilgericht per einstweiligem Rechtschutz verfügt werden. Die Verantwortung für diesen unbefriedigenden Zustand sieht die VK beim Gesetzgeber, der das europäische Recht unzureichend umgesetzt habe.

Zweitens: Andere Baustelle, anderer Auftrag!

Die VK stellt klar, dass es sich bei dem „Nachtrag“ tatsächlich um einen neuen Bauauftrag gehandelt habe. Der Versuch der AG, über den geringen Auftragswert zu Gunsten einer unwesentlichen Auftragsänderung nach § 132 GWB zu argumentieren, ist gescheitert. Entscheidend sei, dass sich der Gesamtcharakter des Auftrags ändere. Zwar sei es zutreffend, dass es sich um gleichartige Bauarbeiten gehandelt habe, aber es seien gleichzeitig auch zwei völlig unterschiedliche Baustellen ohne Verbindung zueinander. Es bestehe gerade bei größeren AG die Gefahr, dass diese das Vergaberecht umgehen, wenn man eine am Auftragswert orientierte Nachtragspraxis zulasse.

Praxishinweis

Die Entscheidung hat Licht und Schatten.

Schatten wirft die Entscheidung auf den einstweiligen Rechtsschutz im GWB-Vergaberecht. Sie bringt für die Praxis unnötig weitere Unsicherheit in diesen Themenkomplex. In der obergerichtlichen Rechtsprechung gab es bereits einen Pfad in Richtung Vollzugsstopp vergaberechtswidrig geschlossener Verträge (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.11.2016 – VII-Verg 40/16). Es bleibt das Geheimnis der VK, warum sie diesen Pfad nicht weiter ausgetreten hat. Stattdessen sollen in dieser einen Situation die Zivilgerichte um Rechtsschutz ersucht werden, obwohl der Rechtsschutz im Oberschwellenvergaberecht systematisch nach den §§ 156, 159 GWB doch den Vergabekammern zugeordnet ist. Hier hätte auch ohne umfassende Ausführungen zur unzureichenden Umsetzung des Europarechts durch den GWB-Gesetzgeber gut ein sachgemäßeres Ergebnis gefunden werden können.

Licht hingegen bringen die Ausführungen zum Gesamtcharakter des Auftrags. Auch wenn die Kombination aus Nachträgen und § 132 GWB attraktiv für ausschreibungsunwillige Auftraggeber sein mag, sollten sie im Zweifel ausschreiben. Nachträge ersetzen nun mal keine Vergabeverfahren. Für die Baupraxis steckt die Entscheidung einige Merkmale ab, nach denen sich gut beurteilen lässt, ob noch ein einheitlicher oder ein neuer Auftrag vorliegt. Wesentlich dürfte sein, ob der Auftragnehmer schon auf der Baustelle arbeitet oder nicht. Wenn der „Nachtrag“ erfordert, dass ein Auftragnehmer die Baustelle erst noch kennenlernen muss, ist dies ein recht eindeutiger Indikator für einen ausschreibungsbedürftigen Auftrag.

 

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