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Unklarheiten dürfen nicht zu Lasten der Bieter gehen!

(VK Nordbayern, Beschluss vom 20.08.2021 - RMF-SG21-3194-6-29)

Die VK Nordbayern hat in ihrem Beschluss vom 20.08.2021 (RMF-SG21-3194-6-29) festgestellt, dass von der Vergabestelle verursachte Unklarheiten nicht zu Lasten der Bieter gehen dürfen. Dabei stellt sie heraus, dass eine Verpflichtung zur Rügeerhebung nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bis zur Angebotsabgabe nur dann besteht, wenn der Verstoß aus den Vergabeunterlagen erkennbar ist. Soweit eine Auslegung der Ausschreibung vertretbar ist, besteht keine Verpflichtung zur Nachfrage.

Sachverhalt:

Mit einer europaweiten Bekanntmachung schrieb die Vergabestelle im Wege des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb den Relaunch einer Homepage aus. Es sollten verschiedene von den Bietern zu erstellende Konzepte berücksichtigt werden, wobei die gemeinsame und schrittweise Entwicklung des Inhalts beschrieben wurde, u.a. mit dem Begriff „agil“. Daraufhin gingen die Bieter von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Die Antragstellerin gab ein Angebot mit einem Konzept des „agilen“ Projektmanagements ab.

Nach der Bieterinformation rügte die Antragstellerin dann den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen, u.a. weil das Angebot der Beigeladenen nicht alle Kriterien der Ausschreibung (u.a. des agilen Arbeitens) erfüllen würde. Nach zwei weiteren erfolglosen Rügen leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren ein.

Entscheidung:

Der Nachprüfungsantrag hatte Erfolg! Zunächst stellte die VK fest, dass die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert war, weil sie bis zur Angebotsabgabe keine Rüge in Bezug auf die Zuschlagskriterien und die Leistungsbeschreibung erhoben hatte. Eine Verpflichtung zur Rügeerhebung nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bis zur Angebotsabgabe besteht nur dann, wenn der Verstoß gegen die Vergabeunterlagen erkennbar ist. Aufgrund der Vorgaben in der Leistungsbeschreibung betonte die Vergabestelle mehrfach, dass das Inhaltkonzept noch nicht verbindlich feststehen würde, sondern nach der Auftragsvergabe in Form agilen Arbeitens gemeinsam ausgearbeitet und konkretisiert werden soll. Die Antragstellerin konnte deshalb erst nach dem Bieterinformationsschreiben erkennen, dass die Vergabestelle nicht zwingend ein agiles Projektmanagement in den Vergabeunterlagen vorgegeben wollte. Die Wertung der Angebote wurde somit vor Zuschlagserteilung rechtzeitig gerügt.

Die Vergabeunterlagen waren im vorliegenden Fall bezüglich der Herangehensweise der Projektumsetzung unklar und zumindest mehrdeutig. Insbesondere bei der Softwareentwicklung ist die Methode des agilen Arbeitens weit verbreitet und in den Ausschreibungsunterlagen wurde nicht erkennbar klargestellt, dass diese Art nicht Voraussetzung ist. Die VK folgte der Argumentation der Antragstellerin, dass das agile Projektmanagement in der Softwareindustrie vielfach Anwendung findet und dieser Bieterkreis sehr genau zwischen dem klassischen Projektmanagement und dem agilen Ansatz differenziert, zudem ist der agile Ansatz aufwendiger und somit kostenintensiv. Es war nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin ein besseres Wertungsergebnis hätte erzielen können, wenn sie gewusst hätte, dass die Vergabestelle ein anderes – nicht agiles  - Konzept fordert.

Somit entschied die VK dass die Antragstellerin durch das Vergabeverfahren in ihren Rechten verletzt war und wies die Vergabestelle an, die Vergabeunterlagen zu überarbeiten und eindeutig klarzustellen, welche Form des Projektmanagements sie fordert. Der Antragstellerin hatte somit Erfolg und die Chance der Abgabe eines neuen (wirtschaftlicheren) Angebotes.

Fazit:

Erneut wurde klargestellt, dass Unklarheiten in den Ausschreibungsunterlagen nicht zu Lasten der Bieter gehen dürfen. Dieser Grundsatz gilt in allen Bereichen des Vergaberechts. Soweit eine Auslegung der Unterlagen vertretbar und nachvollziehbar ist, kann eine Annahme getroffen und zur Grundlage  des Angebotes bzw. der Kalkulation gemacht werden (siehe auch BGH, Urteil vom 12.09.2013 - VII ZR 227/11,  „Hochspannungsleitung“).

Autor

Eva Hildebrandt-Bouchon, M.A.

Eva Hildebrandt-Bouchon, M.A.

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