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Coronabedingte Geschäftsschließungen können zu Mietminderung führen

Auswirkungen der Coronamaßnahmen auf die Pflicht zur Mietzahlung nach § 535 Abs. 2 BGB – Urteil des BGH vom 12.01.2022, Az.: XII ZR 8/21

Im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, ist grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage möglich. Das hat der Bundesgerichtshof heute in einem Grundsatzurteil entschieden (Az.: XII ZR 8/21). Damit schafft der 12. Senat des BGH erstmalig Klarheit zu den mietrechtlichen Konsequenzen coronabedingter Schließungsanordnungen im Einzelhandel. In welcher Höhe Mietzahlungen gekürzt werden dürfen, muss allerdings im Einzelfall geprüft werden.

Dem Urteil liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Beklagte, eine Textileinzelhandelskette, hatte Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs angemietet. Nach Anordnung des ersten „Shutdowns“ musste die Händlerin die angemietete Filiale vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen. Unter Berufung auf einen massiven Rückgang ihres Nettoumsatzes im März und im April stellte sie die Mietzahlung für den Monat April 2020 ein. Staatliche Hilfen hatte sie nach eigenen Angaben für diesen Zeitraum nicht erhalten. Für sämtliche Mitarbeitende hatte sie Kurzarbeit beantragt.

Die Vermieterin der Geschäftsräume erhob vor dem Landgericht Chemnitz Klage auf Zahlung der Miete für den Monat April 2020.

Erstinstanzliche Entscheidung

Die Chemnitzer Richter gaben der Klage mit Urteil vom 26.08.2020 (Az.: 4 O 639/20) vollumfänglich statt mit der Begründung, dass die behördlich angeordnete Schließung weder einen Mietmangel gemäß § 536 BGB begründe, noch die Gebrauchsüberlassung an die Beklagte gemäß § 275 BGB unmöglich geworden sei. Die Maßnahmen beruhten nicht auf der (baulichen) Beschaffenheit, der Lage oder dem Zustand des Objekts, sondern beträfen nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters, welcher nach der gesetzgeberischen Wertung in sein Verwendungsrisiko falle. Zudem sei eine anderweitige Nutzung, zum Beispiel als Lager, weiter möglich gewesen.

Allerdings sah das Gericht in der unvorhersehbaren flächendeckenden Schließung des Einzelhandels eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB, welche vorliegend aber nicht zu einer Anpassung der Mietzahlungspflicht führe, da das Festhalten an der vertraglich vereinbarten Miete für die Beklagte mangels existenzgefährdender Lage nicht unzumutbar sei.

Zweitinstanzliche Entscheidung

Das Berufungsgericht (Oberlandesgericht Dresden) hob das Urteil des LG Chemnitz mit Urteil vom 24.02.2021 (Az.: 5 U 1782/20) teilweise auf und verurteilte die Beklagte zur Zahlung der hälftigen Miete für den Monat April 2020. Die Richter hielten eine existenzgefährdende Lage des Mieters nicht für erforderlich, um eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB zu begründen. Jedoch sei es aufgrund der eingetretenen Störung des Äquivalenzverhältnisses zwischen Mietzahlungspflicht und Gebrauchsüberlassung angemessen, eine hälftige Reduzierung der Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung vorzunehmen.

Entscheidung des BGH vom 12.01.2022

Auf die Revisionen beider Parteien hat der Bundesgerichtshof das Urteil des OLG Dresden aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.

Die behördlich angeordnete Betriebsschließung habe nicht zu einem Mangel des Mietgegenstandes gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt. Voraussetzung für die Annahme eines Mietmangels aufgrund gesetzgeberischer Maßnahmen, die den vertragsgemäßen Gebrauch eines gewerblich genutzten Mietobjekts beeinträchtigen, ist, dass die Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts im Zusammenhang steht. Diese Voraussetzung sei jedoch im Falle einer Schließungsanordnung zur Eindämmung einer Pandemie nicht gegeben.

Der BGH sieht jedoch ebenfalls grundsätzlich den Anwendungsbereich der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB als eröffnet an. Zunächst hat der BGH klargestellt, dass bei der Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters nicht erforderlich sei.

Voraussetzung für einen Anspruch auf Vertragsanpassung in Form einer Reduzierung der zur zahlenden Miete ist jedoch,

  1. dass sich ein Umstand, der zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat und
  2. dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Die erste Voraussetzung wird bereits durch den neu geschaffenen Art. 240 § 7 EGBGB angesichts der Tatsache, dass die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Erwartung hatten, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des Vertrages nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde, gesetzlich vermutet.

Im Wesentlichen kommt es auf die zweite Voraussetzung, also die Unzumutbarkeit des Festhaltens an dem unveränderten Vertrag, an.

Nach Ansicht des BGH hat sich mit der COVID-19-Pandemie ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Das damit verbundene Risiko könne somit regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden. Dies führe jedoch nicht automatisch zu einem Vertragsanpassungsanspruch. Vielmehr bedürfe es einer umfassenden Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalles. Insofern scheide eine pauschale hälftige Reduzierung der Miete, wie es das OLG Dresden vorgenommen hat, aus.

Entscheidend sei, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind.

Bei einem gewerblichen Mieter komme es also darauf an,

  • ob und wie hoch ein konkreter Umsatzrückgang verzeichnet wurde (entscheidend sei das konkrete Mietobjekt, unabhängig von einem etwaigen Konzernumsatz) und
  • welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat bzw. ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

Um jedoch eine Überkompensierung der entstandenen Verluste zu vermeiden, hat der Mieter gleichzeitig vorzutragen, welche staatlichen Hilfeleistungen er erhalten hat. Dabei können auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein.

Nicht zu berücksichtigen hingegen sind solche staatlichen Hilfemaßnahmen, die lediglich auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, da durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen eintrete.

Im Übrigen hat der BGH auch betont, dass bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters zu berücksichtigen seien.

Fazit: Mietanpassungen sind im Einzelfall zu begründen

In seiner Entscheidung bestätigt der BGH damit auch die schon zuvor von Neumann/Göger vertretene Auffassung zur Störung der Geschäftsgrundlage (vgl. Neumann/Göger – Der gewerbliche Mietvertrag in Zeiten von Corona in ZfIR-Report 2/2021, S. 84 ff.).

Es bleibt festzuhalten, dass ein Anspruch auf Vertragsanpassung nur dann in Betracht kommt, wenn umfassend und detailliert sowohl die Einbußen als auch die staatlichen Hilfeleistungen dargelegt werden. Ein Anspruch auf eine Mietanpassung mit der Begründung, der Mietgegenstand sei durch coronabedingte Einschränkungen nicht oder nicht uneingeschränkt nutzbar gewesen, scheidet aus.

Ulrich Neumann                   Michael Göger                      Lena Bredenkötter
Rechtsanwalt                         Rechtsanwalt, LL.M.              Rechtsanwältin

Autor

Ulrich Neumann

Ulrich Neumann