News | Newsletter | Neues zum Baurecht 01/2021
Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens zur Ermittlung der Nachtragshöhe
BGH, Urt. v. 22.10.2020 – VII ZR 10/17
- Die Kosten eines Privatgutachtens, die der Auftragnehmer zur Ermittlung der Vergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B aufwendet, sind vom Auftraggeber nicht nach dieser Bestimmung als Teil der Mehrkosten zu erstatten.*)
- Entsprechendes gilt für die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens, das der Auftragnehmer zur Ermittlung der Mehrvergütung in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Abs. 5 VOB/B aufgrund einer verzögerten Vergabe eingeholt hat.*)
Sachverhalt:
Nach einer verzögerten Vergabe, einer darauf beruhenden Bauzeitverschiebung und einem vom Auftraggeber (AG) angeordneten Baustopp macht der Auftragnehmer (AN) Mehrvergütungsansprüche geltend, die u.a. die Kosten für ein baubetriebliches Privatgutachten beinhalten, das er in Vorbereitung auf die Schlussrechnung und zur Ermittlung der entstandenen Mehrkosten eingeholt hat.
Entscheidung:
Der BGH ist der Auffassung, dass ein Anspruch nicht über die Vorschriften der VOB/B herzuleiten sei und verweist den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das OLG Dresden zurück. Maßgebend sei jedenfalls, dass die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens zur Ermittlung der Mehrvergütung nicht Teil der Mehrkosten nach § 2 Abs. 5 VOB/B seien. Die Kosten, die zur Ermittlung der Vergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B aufgewendet werden, können nicht selbst Gegenstand dieser Vergütung sein. Es handele sich insbesondere nicht allein deswegen um "Mehrkosten" im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B, weil sie vom AN nicht einkalkuliert worden seien und auch nicht werden konnten. Die Verpflichtung der Parteien nach § 2 Abs. 5 VOB/B beinhalte bei der Vereinbarung eines neuen Preises die Berücksichtigung derjenigen Mehr- und Minderkosten, die im Zusammenhang mit der Ausführung der betroffenen vertraglich vereinbarten Leistung anfallen. Die Kosten, die erforderlich seien, um im Falle einer fehlenden Vereinbarung der Parteien die geschuldete Vergütung erst zu ermitteln oder darzulegen gehören jedoch nicht dazu.
Auch § 2 Abs. 9 Nr. 1 VOB/B komme nicht in Betracht. Danach seien zwar Zeichnungen, Berechnungen oder andere Unterlagen, die der AN nach dem Vertrag nicht zu beschaffen hat, vom AG zu vergüten, wenn er sie vom AN verlangt. Ein Verlangen des AG gegenüber dem AN, ein Gutachten über die Höhe der nach § 2 Abs. 5 VOB/B zu beanspruchenden Vergütung vorzulegen, liege aber nicht schon in der Änderung des Bauentwurfs, einer anderen Anordnung des Auftraggebers oder der verspäteten Zuschlagserteilung, die sich auf die Grundlagen des Preises für eine im Vertrag vorgesehene Leistung auswirkt.
Fazit:
Im Ergebnis bedeutet die vorliegende Entscheidung des BGH nicht, dass die geltend gemachten Kosten für das baubetriebliche Gutachten grundsätzlich nicht verlangt werden könnten. Das bedeutet vor allem nicht, dass der AN generell keine Kosten für die Nachtragsbearbeitung geltend machen könne. Über diese Mehrkosten hatte der BGH im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Es ging hier lediglich um die Kosten für ein baubetriebliches Privatgutachten, das der AN in Vorbereitung auf die Schlussrechnung und zur Ermittlung der entstandenen Mehrkosten eingeholt hat. Dass diese Kosten nicht über § 2 Abs. 5 oder § 2 Abs. 9 VOB/B geltend gemacht werden können, hat der BGH jetzt geklärt. Nicht geklärt ist, ob dafür eine andere Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, dessen Voraussetzungen noch nicht dargelegt wurden. Aus diesem Grunde verwies der BGH den Rechtsstreit an das OLG mit der Maßgabe zurück, dass dieses zu prüfen habe, ob ein materiell-rechtlicher oder prozessualer Kostenerstattungsanspruch besteht.
Hierzu führt der BGH aus, dass das OLG, ausgehend von diesen Grundsätzen unter Gewährung rechtlichen Gehörs gegenüber den Parteien, zunächst prüfen muss, ob im Streitfall ein Rechtsschutzbedürfnis für die selbständige Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs besteht. Ferner wird es zu den rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs, zu denen die Parteien ebenfalls noch Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten müssen, die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen haben.
Sollte das OLG das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses verneinen, wird ergänzend zu erwägen sein, ob und gegebenenfalls wie sich die Höhe der von der Klägerin vorprozessual aufgewendeten Privatgutachterkosten im Rahmen der zu treffenden Kostenentscheidung auf eine verhältnismäßige Teilung der Kosten zwischen den Parteien entsprechend den sich aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 96 ZPO ergebenden Grundgedanken auswirkt.
Geklärt ist damit also noch nicht, ob die geltend gemachten Kosten eines Privatgutachtens, die der AN zur Ermittlung der Vergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B aufwendete, erstattungsfähig sind. Dies wird jetzt zunächst das OLG Dresden zu entscheiden haben.
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