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Covid-19 und FIDIC-Vertragsformen

Die Auswirkungen von COVID-19 sind auf der ganzen Welt spürbar. Während die Regierungen darum kämpfen, den Ausbruch einzudämmen, sind auch Unternehmen von den Folgen der damit verbundenen Störungen betroffen.

Projekte, die sich derzeit im Bau befinden, können auf verschiedene Weise von der Epidemie betroffen sein. Der Bausektor erfordert erhebliche Ressourcen, sowohl in Bezug auf Materialien als auch auf Arbeitskräfte, damit die Arbeiten vorangetrieben werden können. Unter den gegenwärtigen Bedingungen besteht jedoch die Gefahr, dass die Lieferketten trotz des garantierten freien Warenverkehrs gestört oder ganz unterbrochen werden. Darüber hinaus dürften Maßnahmen wie Quarantäne oder krankheitsbedingte Abwesenheiten den Fortschritt der Arbeiten verzögern.

Dieser Beitrag berücksichtigt einige der Bestimmungen der FIDIC-Vertragsbücher (Red Book), die für die aktuelle COVID-19-Pandemie wahrscheinlich am relevantesten sind. Er befasst sich nur mit vertraglichen Vereinbarungen und nicht mit den Auswirkungen, die Änderungen des nationalen Rechts auf die Verpflichtungen der Parteien haben können.

Auswirkungen auf FIDIC-Verträge unter Verwendung des Roten Buches Ausgabe 1999

Um festzustellen, wie sich Faktoren, die sich aus der COVID-19-Pandemie ergeben, auf den Zeitplan, die Kosten und die Änderungen des Arbeitsumfangs ("Variations") für Projekte auswirken, die sich derzeit im Bau und/oder in der Planungsphase befinden, müssen die Bedingungen des FIDIC 1999, Red Book, sorgfältig analysiert werden.

Verlängerung von Zeit und Erhöhung der Kosten

Das FIDIC 1999, Red Book, berechtigt den Auftragnehmer zu einer Fristverlängerung für die Fertigstellung seiner vertraglichen Leistungen, wenn ein unvorhersehbarer Mangel an Personal oder Gütern aufgrund einer Epidemie oder staatlicher Maßnahmen besteht (Unterabschnitt 8.4, Buchstabe d)) oder wenn der Auftragnehmer die von den zuständigen Behörden festgelegten Verfahren, die zu einer Verzögerung der Arbeiten des Auftragnehmers führen und die vernünftigerweise nicht vorhersehbar waren, gewissenhaft befolgt hat (Unterabschnitte 13.7, 8.4). Es ist wahrscheinlich, dass einer oder beide dieser Fälle von COVID-19 in Anspruch genommen werden können. Im Gegensatz zu den Bestimmungen über höhere Gewalt (siehe unten) ist die Entlastung des Auftragnehmers davon abhängig, dass die Engpässe zum Zeitpunkt der Vorlage des FIDIC 1999, Red Book, von einem erfahrenen Auftragnehmer nicht vernünftigerweise vorhersehbar waren. Es ist wichtig zu beachten, dass ein Auftragnehmer, der sich auf Ansprüche gemäß den Unterabschnitten 8.4 oder 8.5 beruft, nur berechtigt ist, eine Fristverlängerung, nicht aber Kosten geltend zu machen.

Für die Einsparung sowohl von Zeit als auch der Kosten können jedoch von den jeweiligen Parteien "Variationen" und "Value Engineering" Vorschläge zur Änderung der Arbeit eingereicht werden, wenn unvorhergesehene Umstände eintreten (Unterabschnitte 13.1-13.3). Darüber hinaus können Änderungen im Recht des Landes, in dem sich der Standort befindet, ebenfalls einen Anspruch auf Fristverlängerung und Kosten begründen (Unterabschnitt 13.7).

Höhere Gewalt

Ob der Ausbruch von COVID-19 als Ereignis höherer Gewalt eingestuft wird oder nicht, hängt vom individuellen Vertrag und dem für diesen Vertrag geltenden Recht ab.

Höhere Gewalt, wie in Unterabschnitt 19.1 angegeben, bedeutet ein "außergewöhnliches Ereignis" oder einen "Umstand", der "(i) sich der Kontrolle einer Partei entzieht; (ii) gegen den die Partei vor Vertragsabschluss vernünftigerweise nicht hätte vorbeugen können; (iii) nach seinem Eintreten eine solche Partei vernünftigerweise nicht hätte vermeiden oder überwinden können; und (iv) im Wesentlichen nicht der anderen Partei zuzuschreiben ist".

Unterabschnitt 19.1 enthält auch die folgende Liste von außergewöhnlichen Ereignissen oder Umständen, die als höhere Gewalt angesehen werden können, vorausgesetzt, sie erfüllen ebenfalls die vier oben genannten Voraussetzungen:

(i) Krieg, Feindseligkeiten (unabhängig davon, ob der Krieg erklärt wird oder nicht), Invasion, Handlungen ausländischer Feinde,

(ii) Rebellion, Terrorismus, Revolution, Aufruhr, militärische oder usurpierte Macht oder Bürgerkrieg,

(iii) Aufstand, Unruhe, Störung, Streik oder Aussperrung durch andere Personen als das Personal des Auftragnehmers und andere Mitarbeiter des Auftragnehmers und der Subunternehmer,

(iv) Kriegsmunition, explosives Material, ionisierende Strahlung oder Kontamination durch Radioaktivität, es sei denn, dies ist auf die Verwendung solcher Munition, Sprengstoffe, Strahlung oder Radioaktivität durch den Auftragnehmer zurückzuführen, und

(v) Naturkatastrophen wie Erdbeben, Hurrikan, Taifun oder vulkanische Aktivität.

Es muss erwähnt werden, dass Pandemien zwar nicht in dieser Liste enthalten sind, die Liste jedoch nicht abschließend ist. Daher können Auftragnehmer argumentieren, dass COVID-19 als ein außergewöhnliches Ereignis angesehen werden kann, das als höhere Gewalt qualifiziert werden darf, da sie es nicht hätten verhindern können. Darüber hinaus wäre selbst vom erfahrensten Auftragnehmer kaum zu erwarten gewesen, dass er das Eintreten hätte vorhersehen können.

Folglich würde höhere Gewalt einen Fristverlängerungsanspruch begründen (Unterabschnitt 19.4 (a)). Sie würde jedoch nur unter bestimmten eingeschränkten Umständen wie Krieg, Terrorismus und Streiks einen Anspruch auf zusätzliche Kosten begründen (Unterabschnitt 19.4 (b)). Es erscheint unwahrscheinlich, dass COVID-19 auf diese eingeschränkten Kategorien anwendbar ist, da erstens Pandemien nicht in der Liste ((i) - (iv)) erwähnt werden und zweitens die Nummer (v) der Liste, mit der eine Pandemie am engsten verbunden zu sein scheint, ausdrücklich nicht als Teil der Ereignisse oder Umstände genannt wird, die einen Anspruch auf zusätzliche Kosten rechtfertigen können. Daher kann allgemein davon ausgegangen werden, dass COVID-19 keinen Anspruch auf Geldforderungen begründet.

Um eine Fristverlängerung erfolgreich in Anspruch nehmen zu können, müssen die Parteien eine 14-tägige Kündigungsfrist einhalten (Unterabschnitt 19.2) und sind verpflichtet, jede weitere Verzögerung bei der Vertragserfüllung so gering wie möglich zu halten (Unterabschnitt 19.3). Die Art der möglichen Milderungsmaßnahmen wird sehr stark von den individuellen Umständen abhängen. Die Auftragnehmer könnten z.B. ihr Zeitmanagement anpassen, um Verzögerungen zu verringern. Sie könnten auch Nachweise für alle derartigen Maßnahmen vorlegen, um die Tatsache und das Spektrum der unternommenen Milderungsbemühungen zu belegen. Darüber hinaus könnten sie alternative oder zusätzliche Maßnahmen im Bereich der Lieferketten für Güter, Materialien und Ausrüstung in Erwägung ziehen.

Beendigung

Ist der Auftragnehmer aufgrund höherer Gewalt für einen zusammenhängenden Zeitraum von 84 Tagen oder für mehrere Zeiträume, die insgesamt mehr als 140 Tage betragen, an der Ausführung der Arbeiten gehindert, so kann jede Partei den Vertrag kündigen (Unterabschnitt 19.6). Es muss betont werden, dass eine Kündigung nur möglich ist, wenn die Situation alle laufenden Arbeiten wesentlich beeinträchtigt (Unterabschnitt 19.6). So würde z.B. ein Materialmangel, der nur einen Teil der Werke betrifft, keine Kündigung rechtfertigen.

Nach der Kündigung wird der Auftragnehmer für alle von ihm durchgeführten Arbeiten bezahlt, einschließlich der Kosten für Anlagen und Materialien, die Entfernung der Arbeiten und Ausrüstung und die Kosten für den Rücktransport (Unterabschnitt 19.6 Buchstaben a) - e)).

Praktische Ratschläge

COVID-19 hat zu Unsicherheiten geführt, sowohl hinsichtlich der praktischen als auch der rechtlichen Auswirkungen. Um weitere negative wirtschaftliche Auswirkungen zu verringern, sollte das Auftreten oder Bestehen von Beeinträchtigungen aufgrund von COVID-19 der anderen Vertragspartei so bald wie möglich gemeldet werden. Die Vertragspartner sollten so intensiv und häufig wie möglich miteinander kommunizieren, damit alle Parteien in die Lage versetzt werden, die Situation so gut wie möglich zu bewältigen. Vertragliche Zusätze wie "Stillhaltevereinbarungen" oder Fristverlängerungen innerhalb des Vertrags können in diesem Bereich hilfreich sein. Da eine Kündigung das schwerwiegendste aller verfügbaren Rechtsmittel ist, sollte vorher immer Rat eingeholt werden, um andere Eventualitäten einschließlich der Auswirkungen des auf den Vertrag anwendbaren Rechts abzudecken.

Autor

Michael Göger, LL.M.

Michael Göger, LL.M.

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