Section-Image

Kein Mitverschulden des Auftraggebers bei offensichtlichen Planungsfehlern

Kammergericht Berlin, Urteil vom 09.01.2015 – 7 U 227/03, nachgehend BGH, Beschl. v. 02.11.2016 – VII ZR 30/15 (NZB zurückgewiesen)

  1. Der Auftragnehmer hat sowohl im VOB- als auch im BGB-Bauvertrag Pläne und sonstige Ausführungsunterlagen fachlich zu überprüfen und gegebenenfalls Bedenken mitzuteilen. (…)
  2. Der Auftraggeber muss sich kein Mitverschulden seines Architekten anrechnen lassen, wenn der Auftragnehmer die Leistung trotz eines offenkundigen Planungsmangels ausführt, ohne zuvor Bedenken angemeldet zu haben.

Der mit der Errichtung eines Mehrfamilienhauses beauftragte Auftragnehmer führt auf Grundlage einer bauseits bereitgestellten Planung die von ihm geschuldeten Bauleistungen aus. Die vom Architekten des Auftraggebers erstellte Ausführungsplanung enthält Planungsfehler. Der Auftragnehmer errichtet nach dieser Ausführungsplanung das geschuldete Mehrfamilienhaus und realisiert dadurch den bereits in der Ausführungsplanung enthaltenen Planungsfehler des Architekten. Aufgrund der dadurch mangelhaften Bauleistung verweigert der Auftraggeber die Zahlung des offenen Werklohns an den Auftragnehmer. Dieser klagt daraufhin mit der Begründung, dass er das Mehrfamilienhaus entsprechend der mangelhaften Planung und damit der bauseitigen Vorgaben errichtet habe, beim zuständigen Landgericht auf Zahlung des vollen offenen Werklohnanspruches. Im Berufungsverfahren bestätigt das Kammergericht das klageabweisende Urteil des Landgerichts mit der Begründung, dass zum einen bei jedem Bauvertrag ungeachtet der Geltung der VOB/B eine Prüf- und Hinweispflicht des Auftragnehmers gegeben sei und dieser es hier zum anderen unterlassen habe, die für ihn nach seinen eigenen Fähigkeiten offensichtlich erkennbar fehlerhafte Ausführungsplanung auf ihre Eignung zur Realisierung des von ihm geschuldeten Erfolges hin zu überprüfen. In diesem Fall sei auch ein Mitverschulden wegen des bauseitigen Planungsfehlers ausgeschlossen. Die gegen die Entscheidung des Kammergerichts eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen.

Zutreffend stellt das Kammergericht zunächst fest, dass der Auftragnehmer nicht nur im Geltungsbereich der VOB/B verpflichtet ist, bauseitige Vorleistungen mit Bezug auf die von ihm geschuldeten Leistungen zu überprüfen und bei aufkommenden Zweifeln, auf seine Bedenken hinzuweisen. Auch die Auffassung des Kammergerichts, dass sich die Frage der Offenkundigkeit bauseitiger Fehler anhand der jeweils individuellen Fachkenntnisse des Auftragnehmers bezogen auf seine Leistung bemisst, ist vertretbar.

Mit seiner Entscheidung über die Frage eines Mitverschuldens des Auftraggebers wegen der aus seiner Sphäre stammenden Fehlerquelle in der Ausführungsplanung verschärft das Kammergericht, wie bereits zuvor andere Gerichte (vgl. etwa OLG Dresden, Urt. v. 13.05.2014 – 9 U 1800/13; NZB zurückgewiesen durch BGH, Beschl. v. 15.06.2016 – VII ZR 143/14), jedoch die Haftung für den sich realisierenden Mangel nicht nur unerheblich zulasten des Auftragnehmers, was bei größeren Auftragsvolumen in wirtschaftlicher Hinsicht erhebliche Folgen haben kann.

Die hier vom Kammergericht angenommene Alleinhaftung des Auftragnehmers ist bereits unter rechtlichen Gesichtspunkten überaus streitbar. Sie läuft der aus anderen Rechtsinstituten bekannten Verteilung der Haftungsanteile im Falle kumulativer Verursachung zuwider, indem sie die Verschuldensanteile in ein Rangverhältnis stellt, ohne hinreichend zu berücksichtigen, dass sowohl das ausgeführte als auch das geplante Werk für sich jeweils mangelhaft sind. Dogmatisch zutreffend dürfte mit Blick auf die Erfolgshaftung des Werkvertragsrechts aber allenfalls eine Argumentation unter Kausalitätsgesichtspunkten sein. Daneben wird der besonderen Bedeutung bauseitiger, im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegender Vorleistungen für den Gesamtwerkerfolg nicht hinreichend Rechnung getragen.

Fazit:

Ausführenden Unternehmern ist mehr denn je zur umfassenden Prüfung und vorsorglichen schriftlichen Anmeldung begründeter Bedenken im Zusammenhang mit bauseits zur Verfügung gestellten Planungsunterlagen zu raten. Andernfalls droht im schlechtesten Fall eine Alleinhaftung, die ihren Verursachungslauf eigentlich in der Sphäre des Auftraggebers genommen hat. Zweifel am Umfang und an der Tiefe der Prüfungspflicht von bauseits zur Verfügung gestellten Planungsunterlagen kann in Ansehung der derzeitigen Rechtsprechungstendenz und zur Erreichung größerer Rechtssicherheit nur dahingehend begegnet werden, dass bei jedwedem Leistungsbezug im Rahmen der tatsächlichen Möglichkeiten lieber „ein Mehr“ geprüft wird, als ein „zu Wenig“.

Autor

Dr. Wiebke Mund

Dr. Wiebke Mund

Weitere Artikel dieser Ausgabe

  • Dr. Amneh Abu Saris: Wesentliche Mängel verhindern Ablösung des Sicherheitseinbehalts: Klausel unwirksam!

     

  • Hauke Meyhöfer: Mehrvergütungsanspruch für Zusatzleistungen auch bei Pflicht zur Vorlage von Nachtragsangeboten „möglichst vor Ausführung“