News | Newsletter | Neues zum Baurecht 03/2016
Freie Kündigung des Bauvertrages – Auftragnehmer erhält auch Wagniszuschlag
BGH, Urt. v. 24.03.2016 – VII ZR 201/15
Der vom Auftragnehmer im Rahmen eines Einheitspreisvertrages auf der Grundlage des Formblattes 221 (VHB 2008) kalkulierte Zuschlag für Wagnis ist nicht als ersparte Aufwendung von der Vergütung nach § 649 S. 2 BGB, § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2006) in Abzug zu bringen, weil hiermit das allgemeine unternehmerische Risiko abgesichert werden soll.
Ein Auftragnehmer schloss mit einem öffentlichen Auftraggeber unter Einbeziehung der VOB/B einen Werkvertrag über Rohbauarbeiten, in dem das Formblatt 221 (Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation) des Vergabe- und Vertragshandbuchs für die Baumaßnahmen des Bundes (VHB 2008) für die Angebotsabgabe vorgeschrieben war. In diesem gab der Auftragnehmer einen Gesamtzuschlag von 15 % an, wobei je 5 % für Baustellengemeinkosten, allgemeine Geschäftskosten und Kosten für Wagnis und Gewinn angesetzt wurden. Der Bauvertrag wurde von dem Auftraggeber „frei“ gekündigt. Der Auftragnehmer verlangte daraufhin die vereinbarte Vergütung, wobei er auch den für Wagnis und Gewinn kalkulierten Zuschlag geltend machte.
Der BGH sprach auch den Wagniszuschlag zu. Der Auftragnehmer darf infolge der freien Kündigung die vereinbarte Vergütung verlangen und muss sich nur das anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirkt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Dabei gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diejenigen Aufwendungen, die der Unternehmer ohne die Kündigung gehabt hätte und die infolge der Kündigung entfallen sind, als erspart. In Betracht kommen insoweit insbesondere projektbezogene Herstellungskosten und variable projektbezogene Gemeinkosten. Gewinn und allgemeine Geschäftskosten, die nicht projektbezogen anfallen, sind nicht erspart.
Soll der neben dem Gewinn kalkulierte Zuschlag für Wagnis im Falle einer Kündigung des Werkvertrages durch den Auftraggeber das allgemeine unternehmerische Risiko für die durch die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmers allgemein begründete Verlustgefahr absichern, so gilt er nicht als ersparte Aufwendung im Sinne des § 649 S. 2 BGB, § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B. Wie auch der vom Auftragnehmer kalkulierte Gewinn ist dieser kalkulierte Wagniszuschlag im Falle der Kündigung eines Werkvertrages durch den Auftraggeber nicht erspart. Er dient vielmehr der Absicherung von Risiken, die mit dem Geschäftsbetrieb als solchem verbunden sind. Tatsächliche Kosten des Auftragnehmers stehen ihm nicht gegenüber. Auf die Frage, ob sich das Risiko, das mit diesem Wagniszuschlag abgedeckt werden soll, im konkreten Fall verwirklicht hat, kommt es nicht an. Der Zuschlag für Wagnis zur Absicherung des allgemeinen Unternehmerrisikos steht dem Auftragnehmer unabhängig davon zu, ob die vertraglich vereinbarte Leistung zur Ausführung gelangt oder, ob dies infolge einer freien Auftraggeberkündigung nicht der Fall ist. Das durch den Geschäftsbetrieb im allgemeinen begründete Risiko des Auftragnehmers besteht unabhängig davon, ob im Einzelfall der Vertrag ausgeführt wird. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 30.10.1997 – VII ZR 222/96 hierzu eine andere Aussage getroffen hat, hält er nicht mehr daran fest.
Im hier entschiedenen Fall stellten sich die vom Auftragnehmer in seinem Angebot beigefügtem Formblatt 221 (VHB 2008) ausgewiesenen Zuschläge für Wagnis und Gewinn also nicht als ersparte Aufwendungen im Sinne des § 649 S. 2 BGB, § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2006) dar, so dass der Auftragnehmer diesen Zuschlag nicht von seiner Vergütungsforderung in Abzug bringen musste. Vielmehr durfte er die Überschrift und den Inhalt des Formblattes 221 „Wagnis und Gewinn“ dahin verstehen, dass mit dieser Kostenposition der für das allgemeine Unternehmerrisiko kalkulierte Zuschlag angegeben werden sollte. Infolge dessen handelte es sich bei der Position „Wagnis und Gewinn“ nicht um Kosten, die lediglich ein im Hinblick auf eine bestimmte Teilleistung bestehendes Wagnis abgelten sollten.
Fazit
Mit diesem Urteil kehrt der BGH von seiner früheren weithin kritisierten Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 30.10.1997 – Az.: VII ZR 222/96, IBR 1998, 50) ab. Er stellt nunmehr zutreffend klar, dass mit dem Wagnis das allgemeine unternehmerische Risiko abgesichert werden soll. Diese Art Wagnis ist kein projektspezifisches. Es existiert unabhängig davon, ob gebaut wird. Anders verhält es sich mit den vom Auftragnehmer kalkulierten Zuschlägen für Einzelwagnisse, welche die mit der Leistungserstellung in den einzelnen Tätigkeitsgebieten des Betriebes verbundenen Verlustgefahren abgelten sollen. Diese können dann erspart sein, wenn sie mit der Leistung oder Teilen von ihr verbunden sind, die infolge der Kündigung des Auftraggebers nicht mehr zur Ausführung kommen.
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