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Öffentliche Vergaben in Corona-Zeiten - Handlungsleitlinien des BMWi für die Vergabe öffentlicher Aufträge infolge von COVID-19 als temporäre Erleichterung?!

Die Pandemie hält die Welt und auch Deutschland weiterhin auf Trab und zieht wirtschaftlich und finanziell nicht abschätzbare Folgen mit sich. Mutmaßungen über eine „zweite Welle“ beherrschen den Alltag vieler Unternehmen und der öffentlichen Auftraggeber. Auch die öffentliche Beschaffung und die laufenden sowie beginnenden Vergabeverfahren müssen lernen mit den Folgen der COVID-19 Pandemie umgehen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) erkannte die sich im Zuge der Corona-Krise stellenden Probleme und beschloss am 13.07.2020 Handlungsleitlinien für die Bundesverwaltung für die Vergabe öffentlicher Aufträge zur Beschleunigung investiver Maßnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19 Pandemie, welche am 14.07.2020 in Kraft getreten sind und bis zum 31.12.2021 für öffentliche Auftraggeber befristet Geltung erlangen.

Mit Erlass der Handlungsleitlinien sollten öffentliche Investitionsmaßnahmen dem wirtschaftlichen Einbruch schneller entgegenwirken können. Erklärtes und löbliches Ziel war, Start-ups, kleine/mittlere Unternehmen und Innovationen mit den staatlich zur Verfügung stehenden Fördermitteln zu unterstützen. So wurden insbesondere die Wertgrenzen und Vergabefristen (Teilnahme- und Angebotsfristen) für Vergaben im Unterschwellenbereich angepasst.

Zusammenfassend wurde im Bereich der „Unterschwellenvergabe“ beschlossen, dass Ausschreibungen von Liefer- und Dienstleistungsverträgen (abweichend von § 8 Abs. 2 S.2 UVgO) bis zu einem Auftragswert in Höhe von 100.000,00 EUR wahlweise im Rahmen von beschränkten Ausschreibungen oder Verhandlungsverfahren mit/ohne Teilnahmewettbewerb ohne Umsatzsteuer durchgeführt werden können. Zudem können Direktaufträge (abweichend zu § 14 UVgO) bis zu einem Auftragswert in Höhe von 3.000,00 EUR ohne Umsatzsteuer vergeben werden.

Bei den Leitlinien hinsichtlich der Vergabe von Bauaufträgen verhält es sich ähnlich. Hier können beschränkte Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb (abweichend von § 3a Abs. 1 S. 2 VOB/A) bis zu einem Auftragswert von 1.000.000,00 EUR ohne Umsatzsteuer vergeben werden. Ein freihändiges Verfahren ist (abweichend von § 3 a Abs. 1 S. 2 VOB/A) bis zu einem Auftragswert in Höhe von 100.000,00 EUR möglich. Direktaufträge können (abweichend von § 3 a Abs. 4 VOB/A) bis zu einem Auftragswert in Höhe von 5.000,00 EUR ohne Umsatzsteuer vergeben werden.

Zudem gilt es zu beachten, dass nach den Handlungsleitlinien des Bundes die Angebotsfrist für Bauaufträge im Unterschwellenbereich (abweichend von § 10 Abs. 1 S. 1 VOB/A) weniger als 10 Tage betragen kann.

Fazit

Insgesamt wird durch die Handlungsleitlinien versucht ein der COVID-19-Ausnahmesituation angepasstes, schnelleres Vergabeverfahren zu ermöglichen.

Auch wurden in der politischen Vergangenheit -2009 nach der Finanzkrise und 2015 in der Flüchtlingskrise- bereits Lockerungen bei Vergabeverfahren versucht. Solche Lockerungen/Vereinfachungen haben durchaus Ihre Vorteile, kommen jedoch - entgegen des ursprünglichen Grundgedankens - überwiegend der Seite des Auftraggebers zugute. Baufirmen, Planer, Consulting- und Dienstleistungsfirmen kommen zwar durchaus schneller an die unterhalb des EU-Schwellenwertes liegenden Aufträge; durch die extensive Ausweitung von Direktvergaben bzw. beschränkten Vergaben werden in der Praxis jedoch meist nur die dem Auftraggeber bekannten Unternehmen überhaupt erst zur Angebotsabgabe aufgefordert. Neue, unbekannte Unternehmen, die gerade die Unterstützung durch die staatlichen Stellen benötigen, sind Auftraggebern derweil zumeist unbekannt.

Es gilt daher auch die Kehrseite der Medaille zu betrachten, denn auch bei dem Vorteil einer „beschleunigten“ Vergabe, bedeutet das für die weniger etablierten Bieter zugleich, dass sie noch wachsamer sein müssen, um rechtzeitig auf sich aufmerksam zu machen. Der Bund schreibt insoweit ab gewissen Auftragswerten Veröffentlichungen auf dem Internetportal des Bundes „in angemessener Zeit vor der Entscheidung über die Auftragsvergabe“ vor, die gerade kleinere Unternehmen dringend verfolgen sollten. Doch bleibt offen, was denn eine angemessene Zeit ist. Sollte die Zeit durch die Vergabestelle selbst gewählt werden- wovon auszugehen ist - bedeutet das nicht, dass die Zeit auch für einen potentiellen Bieter angemessen wäre.

Insgesamt können die vereinfachten Vergabeverfahren kurzfristig zu schnelleren Vergaben führen und sind für den Moment sicher auch dringend geboten. Die hiermit einhergehenden Wettbewerbsbeschränkungen sind indes immens, sodass nur zu hoffen bleibt, dass die Ausnahmen nicht zur Regel geraten.

Autor

Sabrina Stahler (geb. Hißting)

Sabrina Stahler (geb. Hißting)

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