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Die Abrechnung von „Nullpositionen“ bei einem Einheitspreisvertrag

Nach Ansicht des OLG München (Beschl. v. 02.04.2019 – 28 U 413/19 Bau) sind bei einem Einheitspreisvertrag „Nullpositionen“ gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B i.V.m. § 648 S. 2 BGB (analog) abzurechnen, wenn der Auftraggeber (AG) auf die Ausführung von Leistungen nachvertraglich verzichtet, und zwar unabhängig davon, ob der AG den Vertrag mit dem Auftragnehmer (AN) gemäß § 8 Abs. 6 VOB/B schriftlich (teil-)kündigt. Eine Abrechnung gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B (analog) erfolgt nur dann, wenn die Mengenänderungen keine Folge von nachvertraglichen Erklärungen des AG sind.

Ausgangslage

Bei einem Einheitspreisvertrag ergibt sich der vorläufige Auftragswert aus der Multiplikation der geschätzten Mengen mit den jeweiligen Einheitspreisen. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass sich Annahmen und Schätzungen im Rahmen der Planung/Ausschreibung bei der Realisierung des Bauvorhabens als unzutreffend erweisen; regelmäßig kommt es zu Mehr-, Minder-, oder sogar Nullmengen. Als Nullmengen werden solche Leistungen bezeichnet, die nicht zur Ausführung gelangen. Die Abrechnung eines Einheitspreisvertrages erfolgt durch die Multiplikation der ausgeführten Mengen mit den Einheitspreisen. Nicht ausgeführte Leistungen bzw. Nullmengen können nicht abgerechnet werden, was zu einer Unterdeckung bei dem AN führt. Um diese Äquivalenzstörung zu vermeiden, sieht § 2 Abs. 3 VOB/B für Mindermengen - nicht allerdings für Nullmengen - eine Ausgleichsberechnung vor. Danach sind die Einheitspreise bei einer über 10 v. H. hinausgehenden Unterschreitung des Mengenansatzes auf Verlangen entsprechend zu erhöhen, soweit der AN nicht durch Erhöhung der Mengen bei anderen Ordnungszahlen (Positionen) oder in anderer Weise einen Ausgleich erhält. Für den AN bedeutet dies zunächst erfreulicherweise, dass die Unterdeckung ausgeglichen wird, gleichzeitig wird aber sein Mehrerlös (z.B. bei Allgemeinen Geschäftskosten) durch Mengenmehrungen bei anderen Positionen entsprechend reduziert. Denn die Erhöhung des Einheitspreises soll im Wesentlichen dem Mehrbetrag entsprechen, der sich durch Verteilung der Baustelleneinrichtungskosten (BE), Baustellengemeinkosten (BGK) und Allgemeine Geschäftskosten (AGK) auf die verringerte Menge ergibt.

Eine solche Ausgleichsberechnung findet i.R.d. § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B, § 648 S. 2 BGB nicht statt. Danach hat der AN Anspruch auf volle Vergütung abzgl. ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs. Zwar kann der AN z.B. die AGK durch einen anderweitigen Erwerb erwirtschaften, dies bezieht sich allerdings nur auf „Füll-Aufträge“ bzw. „Ersatzaufträge“ – also auf andere Bauvorhaben -, nicht allerdings auf Mengenmehrungen bei anderen Positionen. Denn zwischen den Nullmengen einerseits und den Mehrmengen bei anderen Positionen andererseits besteht kein ursächlicher Zusammenhang in dem Sinne, dass der AN durch die Nichtausführung der Leistung erst in die Lage versetzt wurde, die Mehrmengen an anderer Stelle zu realisieren; sämtliche Leistungen waren von Anfang geschuldet und dementsprechend zu realisieren.

OLG München, Beschl. v. 02.04.2019 – 28 U 413/19 Bau

Der AG beauftragt den AN im Rahmen der Errichtung eines Schulgebäudes mit Metallarbeiten. Während der Bauphase entscheidet sich der AG dazu, zwei Positionen aus dem Leistungsverzeichnis nicht ausführen zu lassen. Nach Abschluss der Arbeiten legt der AN die Schlussrechnung und verlangt für die nicht ausgeführten Leistungen „entgangenen Gewinn“; die entfallenen Leistungen seien wie eine Teilkündigung i.S.d. § 8 Abs. 1 VOB/B zu bewerten. Der AG verweigert die Bezahlung mit der Begründung, der AN habe durch Mehrmengen bei anderen Positionen einen entsprechenden Ausgleich erhalten. Dieser Ausgleich sei gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei § 8 Abs. 1 VOB/B nicht anwendbar, weil der AG den Vertrag nicht schriftlich (teil-)gekündigt habe.

Das OLG München weist in seinem Beschluss darauf hin, dass § 2 Abs. 3 Nr. VOB/B nicht anwendbar sei, weil damit nur unwillkürliche Mengenveränderungen in Folge von fehlerhaften/ungenauen Annahmen im Rahmen der Planung/Ausschreibung geregelt würden, nicht aber die Folgen von Eingriffen des AG in den Bauentwurf oder Bauvertrag. Für die Abrechnung der nicht unter § 2 VOB/B fallenden Nullpositionen komme eine Abrechnung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B in Betracht, sei es direkt oder entsprechend. Diese Entscheidung des OLG München liegt nur grundsätzlich auf einer Linie mit der Rechtsprechung des BGH (BGH, NJW 2012, 1348). Sie weicht in einem wesentlichen Punkt davon ab. Der BGH differenziert danach, ob Nullmengen aus einer ungenauen Planung des AG oder aus einem nachvertraglichen Eingriff des AG in den Bauentwurf oder Bauvertrag resultieren. Nach Ansicht des BGH komme § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B analog dann zur Anwendung, wenn Nullmengen ohne Eingriffe in den Bauentwurf/Bauvertrag anfallen. Zwar setze § 2 Abs. 3 Nr. VOB/B grundsätzlich eine abrechenbare Mengen > 0 voraus, sodass diese Regelung bei Nullmengen nicht direkt anwendbar sei. Da aber § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B wegen der fehlenden (schriftlichen) Kündigung auch nicht anwendbar sei, bestehe eine Regelungslücke. Es sei nicht nachvollziehbar, dem AN die von ihm für entfallene Leistungen kalkulierten Deckungsanteile zu versagen, die ihm demgegenüber selbst bei einer Mindermenge von 1% des vertraglichen Mengenansatzes gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B grundsätzlich voll erstattet würden. Um dieses Problem zu lösen, stellt der BGH auf den hypothetischen Parteiwillen ab; die Parteien hätten bei Kenntnis des Umstandes, dass gewisse Positionen überhaupt nicht zur Ausführung kommen, eine entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B vereinbart.

Das OLG München differenziert ebenfalls danach, ob Nullmengen willkürlich oder unwillkürlich anfallen, weicht von der Rechtsprechung des BGH aber insoweit ab, dass es § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B i.V.m. § 648 S. 2 BGB auch dann für anwendbar hält, wenn der AG keine (schriftliche) Kündigung ausspricht. In der Entscheidung heißt es – leider ohne vertiefte Begründung - hierzu:

„Der BGH hat in der von der Beklagten zitierten Grundsatzentscheidung (BGH NJW 2012, 1348) deutlich gemacht, dass der Weg über § 2 VOB/B nur in Betracht kommt, wenn ein Fall der vom Regelungsgehalt dieser Vorschrift umfassten Äquivalenzstörung vorliegt. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift will einen interessengerechten Ausgleich für Mengenänderungen herbeiführen, wenn sich die anfängliche Schätzung als unzutreffend erweist. […] Wenn aber der Auftraggeber auf eine bestimmte Position verzichtet, fällt dies nicht unter diesen Regelungsgehalt, da der Verzicht nicht mit der Ungenauigkeit einer Prognose vergleichbar ist, was der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben hat. […] Vorliegend wurde von der Beklagten als Auftraggeberin auf die genannten Positionen verzichtet; mithin liegt keine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß den Wertungen des § 2 VOB/B vor. Die "Nullpositionen" waren daher nicht nach dieser Bestimmung abzurechnen.[…] Ob nun eine Teilkündigung vorliegt oder nicht, kann offenbleiben. Für die Abrechnung der nicht unter § 2 VOB/B fallenden „Nullpositionen“ kommt nur eine Abrechnung nach § 8 VOB/B (bzw. § 648 BGB) in Betracht, sei es direkt oder entsprechend. Daher geht die Rüge der Formunwirksamkeit der (Teil-)Kündigung ins Leere, da es um die nicht in Streit stehende – grundsätzliche Vergütungspflicht geht, wenn die Beklagte, entgegen der getroffenen Absprache, einseitig auf vereinbarte Vertragsleistungen verzichtet.“

Fazit

Die Entscheidung stärkt die Position des AN, wenn nicht § 2 Abs. 3 Nr. VOB/B, sondern § 8 Abs. 1 VOB/B i.V.m. § 648 BGB analog anwendbar ist. Denn der AN ist nicht auf die für ihn nachteilige Ausgleichsberechnung gemäß § 2 Abs. 3 VOB/B verwiesen und muss sich „nur“ ersparte Aufwendungen und einen Erlös aus Füllaufträgen anrechnen lassen. Das allerdings setzt die seltene kausale Verknüpfung von (Teil-)Kündigung und anderweitigen Erwerb voraus. Die Abgrenzung zwischen § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B und § 8 Abs. 1 VOB/B hat trotz oder gerade wegen der Grundsatzentscheidung des BGH (BGH, NJW 2012, 1348) weiterhin erhebliche Bedeutung. Denn in der Praxis bestehen nicht unerhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Aus Sicht des AN ist es zufällig, ob Nullmengen willkürlich oder unwillkürlich anfallen und damit auch, ob er auf die für ihn nachteilhafte Ausgleichsberechnung nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B (analog) verwiesen ist. Es ist kritikwürdig, dass die Anspruchshöhe unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob Nullmengen aus einer nachvertraglichen Bauentwurfsänderung durch eine Anordnung den AG (§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B), aus einer nachvertraglichen Bauentwurfsänderung ohne eine Anordnung den AG (§ 2 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B), aus einer Selbstausführung durch den AG (§ 2 Abs. 4, 8 Abs. 1 VOB/B), aus einer konkludenten, ausdrücklichen und/oder schriftlichen Kündigung durch den AG (§ 8 Abs. 1 VOB/B) oder aus einer fehlerhaften Planung des AG (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B (analog)) resultieren. In all diesen Fällen stammen die Nullmengen aus der Sphäre des AG, wobei der AN keinen Einfluss darauf hat, ob der AG in Kenntnis der fehlerhaften Planung (deklaratorisch) eine Änderungsanordnung oder Kündigung erklärt.

Autor

Dr. Danilo Rosendahl

Dr. Danilo Rosendahl

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