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Entscheidung nach Beweislast als ultima ratio

BGH, Urteil vom 07.02.2019 – VII ZR 27417

Ein Auftraggeber (AG) beauftragte einen Auftragnehmer (AN) mit der Abdichtung der Terrasse seines Wohnhauses. Nachdem der AN seine Leistung ausgeführt hatte, brachten andere, vom AG beauftragte Unternehmer, Estrich auf und verlegten darauf Fliesen. An den an die Terrasse angrenzenden Wänden zeigte sich im Nachhinein Feuchtigkeit, die der AG gegenüber dem AN rügte, weil sie auf eine mangelhafte Abdichtung der Terrasse zurückzuführen sei. Der AN wies die Mängelanzeige zurück, woraufhin der AG den AN vor dem Landgericht auf Mängelbeseitigung sowie auf Schadensersatz für Folgeschäden in Anspruch nahm. Das LG verurteilte den Beklagten nach Einholung eines Sachverständigengutachtens antragsgemäß. Dagegen wehrte sich der Beklagte mit der Berufung. Das OLG wies die Klage unter Abänderung des Urteils des LG ab, unter anderem weil es eine Bauteilöffnung für erforderlich hielt, die der beweisbelastete Kläger ablehnte. Dagegen wehrte sich der AG mit der Revision.

Mit Erfolg! Der BGH gibt der Revision statt und verweist den Rechtsstreit an das OLG zurück, damit eine weitere Sachaufklärung stattfinden kann. Der BGH macht deutlich, dass die Anwendung der Beweislastregeln zur Streitentscheidung eine ultima ratio darstellt, die erst dann zum Tragen kommt, wenn und soweit das Gericht alle zulässigen Beweismöglichkeiten ohne Erfolg ausgeschöpft hat und weitere Feststellungen nicht mehr möglich erscheinen. Des Weiteren stellte der BGH klar, dass ein Gericht eine beweisbelastete Partei nicht allein wegen der Nichteinzahlung eines Auslagenvorschusses oder des Versäumens einer Ausschlussfrist als beweisfällig ansehen darf. Vielmehr muss das Gericht versuchen, vor Erlass einer Entscheidung zunächst die beweiserhebliche Frage in anderer Weise aufgrund des bereits vorhandenen oder gegebenenfalls anzuregen Parteivortrags und der verfügbaren Beweismittel zu klären. Dies soll auch dann gelten, wenn eine Sachverständigenbegutachtung aus einem anderen Grund ganz oder teilweise unterbleiben muss, der aus der Sphäre der beweisbelasteten Partei stammt. Vorliegend hätte das Berufungsgericht mit dem Sachverständigen die Frage klären müssen, ob die Undichtigkeit und deren Ursache nicht auch ohne Freilegung der Abdichtung beantwortet werden kann.

Fazit

Der BGH nimmt die Gerichte in die Pflicht und verlangt eine Beweisaufnahme nicht frühzeitig zu beenden, nur weil sich eine Partei weigert, den Beweis auf eine bestimmte Art und Weise zu erbringen, wie z.B. durch eine Bauteilöffnung. Werden Untersuchungen von einer Partei verweigert, unabhängig davon ob sie beweisbelastet ist oder nicht, ist das Gericht gehalten, zu prüfen, ob die Untersuchungen erforderlich sind und welche anderen Möglichkeiten bestehen, um die Beweisfrage zu beantworten. Erst wenn das Gericht sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft hat und die Beweisfrage nicht durch andere Beweismittel (z.B. Zeugen, Augenschein usw.) beantwortet werden kann, kommt eine Entscheidung nach den Beweislastregeln, also zulasten der beweisbelasteten Partei in Betracht. Dabei muss das Gericht jedoch beachten, ob der Beweis von der nicht beweisbelasteten Partei vereitelt wurde. Wird dem Sachverständigen beispielsweise eine für die Beantwortung der Beweisfrage erforderliche Bauteilöffnung oder eine Besichtigung einer Wohnung durch den Beweisgegner trotz rechtzeitiger Ankündigung nicht ermöglicht, dreht sich die Beweislast um und der Beweisgegner unterliegt, weil der Beweis nicht geführt werden konnte (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 26. 6. 2017, 10 U 132/15).

Autor

Dr. Amneh Abu Saris

Dr. Amneh Abu Saris

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