Section-Image

Die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind europarechtswidrig

Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, 2 g und 3 Richtlinie 2006/123/EG verstoßen, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.

EuGH, Urteil vom 04.07.2019 - Rs. C-377/17

Die in der HOAI festgelegte Pflicht zur Einhaltung der Höchst- und Mindestsätze stellt einen Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie und die Niederlassungsfreiheit dar. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) am 04.07.2019 entschieden. In der sog. Dienstleistungsrichtlinie ist seit Ende 2006 geregelt, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nationale Vorschriften überprüfen müssen, die die "Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer" regeln. Solche Vorschriften sind nur zulässig, wenn sie durch einen „zwingenden Grund des Allgemeininteresses“ gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Hintergrund dieser Regelungen ist die Sicherstellung eines freien Dienstleistungsverkehrs, weil Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden sollen, sich einen Markteintritt durch Preiswettbewerb zu erleichtern. Die EU-Kommission sieht keine Rechtfertigung für das durch die HOAI vorgegebene verbindliche Preisrecht.

Der EuGH folgt in seinem unanfechtbaren Urteil der Kommission. Maßgebend ist zunächst, dass die Bestimmungen der Richtlinie auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte anwendbar sind. Inhaltlich führt der EuGH an, dass zum einen die Höchstsätze der HOAI nicht verhältnismäßig sind, weil als weniger einschneidende Maßnahme auch in Betracht komme, Kunden Preisorientierungen für die verschiedenen von der HOAI genannten Kategorien von Leistungen zur Verfügung zu stellen. Zum anderen folgt der der EuGH zwar der Argumentation der Bundesregierung noch dahingehend, dass die Mindestsätze im Hinblick auf die Beschaffenheit des deutschen Markts grundsätzlich dazu beitragen können, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu gewährleisten, und die angestrebten Ziele (Qualität der Arbeiten, Verbraucherschutz, Bausicherheit, Erhaltung der Baukultur, ökologisches Bauen) zu erreichen. Diese Ziele müssten jedoch in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden. Das wiederum leisten sie nicht. Der Umstand, dass in Deutschland Planungsleistungen von Dienstleistern erbracht werden könnten, die nicht ihre entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen hätten, lasse im Hinblick auf das mit den Mindestsätzen verfolgte Ziel, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu erhalten, eine Inkohärenz in der deutschen Regelung erkennen. Damit sind sowohl die Höchst-, als auch die Mindestsätze der HOAI europarechtswidrig.

Die Bundesrepublik Deutschland muss den festgestellten Vertragsverstoß nunmehr unverzüglich abstellen. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, die Regelung über die Mindest- und Höchstsätze schnellstmöglich anzupassen. In Vergabeverfahren dürfen Angebote jenseits des Preisrahmens ab sofort aber nicht mehr ausgeschlossen werden. So genannte „Aufstockungsklagen“ bei Honorarvereinbarungen unterhalb der Mindestsätze werden wohl ab sofort auch zwischen Privaten keinen Erfolg mehr haben. Die Höchstsätze werden jedenfalls kaum mehr zu halten sein. Ob Mindestsätze vorgegeben werden können, etwa wenn der Berufszugang reguliert wird und die Kommission diese Lösung mitträgt, bleibt abzuwarten. Die nationalen Gerichte haben kurzfristig unterschiedlich reagiert. Die einzelnen Entscheidungen der Oberlandesgerichte Celle, Hamm und des Kammergerichts sind in dieser Ausgabe wiedergegeben. Jedenfalls gegen die Entscheidung des OLG Hamm vom 23.07.2019 Az. 21 U 24/18 ist beim BGH Revision unter dem Aktenzeichen VII ZR 174/19 eingelegt worden. Diese Entscheidung wird nun mit Spannung erwartet.

Autor

Dr. Thomas Hildebrandt

Dr. Thomas Hildebrandt

Weitere Artikel dieser Ausgabe

  • Prof. Dr. Ralf Leinemann: BGH: Kein Angebotsausschluss mehr bei „Änderung an den Vergabeunterlagen“

     

  • Julia Barnstedt: Vorsicht bei der Vereinbarung von Baukostenobergrenzen

     

  • Dr. Danilo Rosendahl: Die Verjährung von Mängelansprüchen bei fehlender Abnahme