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Keine Insolvenzanfechtung bei Durchsetzung unbestrittener Ansprüche

BGH, Urteil vom 22.06.2017 - IX ZR 111/14

Setzt ein Gläubiger eine unbestrittene Forderung erfolgreich zwangsweise durch, kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung kannte, wenn der Gläubiger außer dieser Forderung und den von ihm zur zwangsweisen Durchsetzung der Forderung unternommenen erfolgreichen Schritten keine weiteren konkreten Tatsachen über die Zahlungsunfähigkeit oder die Vermögenslage seines Schuldners kennt.*)

Während einer Baumaßnahme über einen am 12.07.2007 geschlossenen Bauvertrag stellte der Unternehmer (U) dem Besteller (B) eine Abschlagsrechnung über EUR 52.000, die B am 03.09.2007 unter Abzug von Skonto bezahlte. Die Schlussrechnung über 39.000 Euro er-stellte der U am 04.10.2007. Mehrere fruchtlose Mahnungen erfolgten noch Dezember 2007 und am 14.02.2008. Daraufhin zahlte B am 10.03.2008 EUR 20.000. U erhob im April 2008 wegen seines restlichen Vergütungsanspruchs Klage über EUR 19.000 Euro. Am 22.05.2008 erging ein Versäumnisurteil. U beantragte im Rahmen der Zwangsvollstreckung eine Vorpfändung, die der Bank des B am 03.06.2008 zugestellt wurde. B zahlte am 05.06.2008 insgesamt EUR 24.000 auf den Urteilsbetrag nebst Kosten und Zinsen. Hiernach gestellte Eigen- und Gläubigerinsolvenzanträge führen zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28.01.2009. Der Insolvenzverwalter ficht die am 05.06.2008 geleistete Zahlung von EUR 24.000 im Wege der Insolvenzanfechtung an und verlangt diese Summe zurück.

Ohne Erfolg! Der BGH ist der Auffassung, dass B zwar mit Benachteiligungsvorsatz eine Rechtshandlung begangen habe. Die Kenntnis des U von diesem Benachteiligungsvorsatz lässt sich aber nicht feststellen. Deshalb ist der Vermutungstatbestand des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht erfüllt. Danach wird vermutet, dass der Gläubiger (hier U) den Vorsatz des Schuldners (hier B) kannte, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die übrigen Gläubiger benachteiligte. Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO ist dafür ausreichend, wenn dem Gläubiger die Zahlungseinstellung bekannt ist. Die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen, steht dem gleich. Eine offene Forderung allein genügt aber noch nicht, um zwingend auf eine – auch drohende – Zahlungsunfähigkeit schließen zu können, solange nicht Maßnahmen zur Forderungseinziehung getroffen werden, deren Erfolglosigkeit einen Rückschluss auf eine ungünstige Vermögenslage des Schuldners zulassen. Im hier vom BGH entschiedenen Fall lag lediglich ein erstmaliger Zahlungsrückstand vor. Nähere Kenntnisse über die Vermögensverhältnisse und die Liquidität des B hatte U nicht. Der Insolvenzverwalter konnte auch nicht beweisen, dass der B den U über Zahlungsschwierigkeiten informiert hatte. Die von U durchgeführten Maßnahmen haben zur vollen Befriedigung des U nach Titulierung geführt. In den Entscheidungen, in denen der BGH die Insolvenzanfechtung bejahte, war der Gläubiger etwa Hauptlieferant des Schuldners, der über einen längeren Zeitraum und regelmäßig verspätet zahlte, der Zahlungsrückstand anstieg und der Schuldner erklärte, eine Rückführung von Altverbindlichkeiten sei nur im Weg der Ratenzahlung möglich.

Fazit:

Da der U auch unter Berücksichtigung seiner eigenen, verspätet beglichenen Forderung keine tragfähigen Anhaltspunkte hatte, dass sich der B in existenziellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, war der Anfechtungstatbestand des § 133 Abs. 1 InsO nicht erfüllt. Von den wirtschaftlichen Verhältnissen des B hatte U keine Kenntnis. Er wusste insbesondere nicht, dass B auch anderen Gläubigern gegenüber Schulden hatte, die nicht pünktlich beglichen wurden (so schon BGH, Urt. v. 07.05.2013 - IX ZR 113/10 und vom 07.11.2013 - IX ZR 49/13). Für die Frage, ob der U die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des B kannte, konnte sich der Insolvenzverwalter auch nicht auf die ältere Rechtsprechung des BGH stützen, wonach ein Gläubiger bei gewerblich tätigen Schuldnern damit rechnen muss, dass es weitere Gläubiger des Schuldners mit ungedeckten Ansprüchen gibt. Diese Rechtsprechung setzte voraus, dass der Gläubiger die (drohende) Zahlungsunfähigkeit bereits kennt, und betrifft allein die daran anschließende Frage, ob die feststehende Kenntnis von drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit auch die im Rahmen des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO geforderte Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung indiziert. Kannte der Anfechtungsgegner die drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, muss er grundsätzlich auch davon ausgehen, dass Zahlungen an ihn selbst andere Gläubiger benachteiligen, wenn der Schuldner unternehmerisch tätig und deshalb damit zu rechnen war, dass auch andere Gläubiger existieren. Der BGH macht jedoch deutlich, dass für den Fall, dass früheren Entscheidungen etwas anderes entnommen werden kann, daran nicht mehr festgehalten wird. Mit dieser Entscheidung ist dem BGH ein weiterer wichtiger Schritt zur Rechtssicherheit im Rahmen von Insolvenzen gelungen. Die neuere Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung beseitigt noch vorhandene Unsicherheiten, denn auch mit der vorliegenden Entscheidung legt der BGH den Anfechtungstatbestand des § 133 InsO a.F. eher einschränkend aus (vgl. zuletzt auch BGH, Urteil vom 06.07.2017 - IX ZR 178/16). Wurde ein Insolvenzverfahren nach dem 05.04.2017 eröffnet, ist das geänderte Insolvenzanfechtungsrecht anwendbar.

Autor

Dr. Thomas Hildebrandt

Dr. Thomas Hildebrandt

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