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Zurückversetzung wegen Widerspruch in Vergabeunterlagen (Zulassung von Nebenangeboten)

VK Bund, Beschluss vom 07.09.2020, Az. VK 1-68/20

Öffentliche Auftraggeber können Nebenangebote in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung zugelassen bzw. vorschreiben. Unterbleibt eine entsprechende Zulassung, sind Nebenangebote nicht zugelassen und können auch nachträglich nicht mehr zugelassen werden (§ 8 EU Abs. 2 Nr. 1 VOB/A). Diese Vorgaben für Bauvergaben finden sich teils sinngemäß, teils wortgleich in den unterschiedlichen Vergaberechtsregimen, etwa in § 35 Abs. 1 VgV, § 33 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 2 SektVO, § 32 Abs. 1 S. 1, 4 VSVgV oder auch in § 25 UVgO. Reichen Bieter trotz unterbliebener Zulassung gleichwohl Nebenangebote ein, sind diese auszuschließen. Dies richtet sich z.B. für Bauvergaben nach § 16 EU Nr. 5 VOB/A und ist auch in den übrigen Vergaberechtsregimen vergleichbar geregelt.

Streitpotential in der Praxis bieten meist die Fragen, ob Nebenangeboten nicht nur zugelassen, sondern auch vorgeschrieben darf dürfen und ob etwaige (Mindest-) Anforderungen für Nebenangebote wirksam aufgestellt sind.

Die VK Bund hatte sich im Beschluss vom 07.09.2020 (Az: VK 1-68/20) mit einem interessanten Fall zu beschäftigen der zeigt, dass selbst die vermeintlich simple Zulassung von Nebenangeboten einige Fallstricke bergen kann. Der Auftraggeber wie auch mindestens die Hälfte der Bieter waren offenkundig von zugelassenen Nebenangeboten ausgegangen, gleichwohl musste das Verfahren zurückversetzt werden.

1. Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber führte ein EU-weites offenes Verfahren zur Vergabe von Instandsetzungsarbeiten an einem Schiebetor einer Schleusenanlage durch, die u.a. großflächige Korrosionsschutzarbeiten umfassten. In Ziffer II.2.10) der EU-Bekanntmachung hatte der Auftraggeber Nebenangebote (bzw. im Terminus der EU-Richtlinie: Varianten /Alternativangebote) ausdrücklich ausgeschlossen:

"Angaben über Varianten/Alternativangebote: Varianten/Alternativangebote sind zulässig: nein."

In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, in den Teilnahmebedingungen und auch in der Baubeschreibung waren hingegen konkrete Vorgaben für Nebenangebote enthalten. In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (Formblatt 312-B) unter "Anlagen zu diesem Formblatt A) die beim Bieter verbleiben und im Vergabeverfahren zu beachten sind" war die Zeile "Mindestanforderungen an Nebenangebote" angekreuzt. Außerdem war im Formblatt die Zulassung von Nebenangeboten angekreuzt:

"Nebenangebote sind zugelassen (s. auch Nr. 4 der Teilnahmebedingungen [...])"

Weiter war dort angekreuzt (indes ohne Bereiche zu benennen):

"nur für nachfolgend genannte Bereiche:"

In den Teilnahmebedingungen waren Nebenangebote ebenfalls ausgeführt:

"4 Nebenangebote

4.1 Nebenangebote müssen die geforderten Mindestanforderungen erfüllen; dies ist mit Angebotsabgabe nachzuweisen.

4.2 Der Bieter hat die in Nebenangeboten enthaltenen Leistungen eindeutig und erschöpfend zu beschreiben; die Gliederung des Leistungsverzeichnisses ist, soweit möglich, beizubehalten.

Nebenangebote müssen alle Leistungen umfassen, die zu einer einwandfreien Ausführung der Bauleistung erforderlich sind.

Soweit der Bieter eine Leistung anbietet, deren Ausführung nicht in Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen oder in den Vergabeunterlagen geregelt ist, hat er im Angebot entsprechende Angaben über Ausführung und Beschaffenheit dieser Leistung zu machen.

4.3 Nebenangebote sind, soweit sie Teilleistungen (Positionen) des Leistungsverzeichnisses beeinflussen (ändern, ersetzen, entfallen lassen, zusätzlich erfordern), nach Mengenansätzen und Einzelpreisen aufzugliedern (auch bei Vergütung durch Pauschalsumme).

4.4 Nebenangebote, die den Nummern 4.1 bis 4.3 nicht entsprechen, werden von der Wertung ausgeschlossen."

Auch die Baubeschreibung enthielt im Bereich „Bauablauf“ Ausführungen zu Nebenangeboten:

"Strahlarbeiten, Strahlschuttentsorgung

Auf der Baustelle dürfen nur […] verwendet werden. Auf der Baustelle darf nur […]

Für die Ballast- Luft- und Maschinenkammern […] ist die Alternative zu prüfen und zu bewerten, die Vorbereitungsarbeiten mit […] durchzuführen.

Diese Vorbereitungsart ist gesondert in Form eines Nebenangebots einzureichen.“

Außerdem stellten Bieter Fragen zu Nebenangeboten, die der Auftraggeber ebenfalls damit beantwortete, diese seien ausdrücklich zugelassen. Auf eine ganz konkrete Bieterfrage zur Instandsetzung eines in der Schleuse enthaltenen, jedoch nicht mehr gebauten Pumpentyps teilte der Auftraggeber sogar mit, dass im Hauptangebot zwar die Teilzerlegung und die Instandsetzung der Pumpen anzubieten sei, ein Austausch aber in Form eines Nebenangebots vorgesehen werden könne.

Die Antragstellerin gab daraufhin ein Hauptangebot sowie ein Nebenangebot ab. Der Auftraggeber teilte zunächst mit, dass diesem Angebot – unter Berücksichtigung des Nebenangebots – der Zuschlag erteilt werden solle. Nach der Rüge eines konkurrierenden Bieters informierte der Auftraggeber jedoch darüber, dass das Angebot nun doch nicht berücksichtigt werden könne, da Nebenangebote nicht zulässig seien. Der Zuschlag sollte daher auf das Angebot des konkurrierenden Bieters erteilt werden.

Die Antragstellerin rügte diese Vergabeentscheidung und hat dann mangels Abhilfe ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Die Antragstellerin war weiterhin der Ansicht, Nebenangebote seien zugelassen. Der Auftraggeber hielt nun daran fest, diese wären nicht zugelassen worden.

2. Die Entscheidung

Die VK Bund hält den Nachprüfungsantrag für zulässig und teilweise begründet. Nebenangebote waren nicht zugelassen, es dem Auftraggeber aber trotzdem verwehrt, den Zuschlag auf das bestplatzierte Hauptangebot zu erteilen.

Die Antragstellerin ging nach ihrem Vortrag davon aus, dass Nebenangebote zugelassen waren. Ein Verstoß gegen Vergaberecht war aus ihrer Sicht nicht gegeben und bis zum Erhalt des Absageschreibens gemäß § 134 GWB auch nicht ersichtlich. Diesen Verstoß hat sie mithin rechtzeitig gerügt.

Der Auftraggeber hat aber Nebenangebote zu Recht nicht in die Wertung einbezogen.

Nebenangebote waren nach der EU-Bekanntmachung nicht zugelassen. Grundsätzlich gilt, dass Nebenangebote gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 1 VOB/A in der Auftragsbekanntmachung zugelassen oder vorgeschrieben werden können. Fehlt eine solche Angabe, sind Nebenangebote nicht zugelassen (§ 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A). Dies entspricht Art. 45 Abs. 1 der zugrundeliegenden EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU. Danach haben öffentliche Auftraggeber in der Bekanntmachung darauf hinzuweisen, ob sie Varianten „zulassen oder verlangen oder nicht“. Ohne eine entsprechende Angabe sind Varianten nicht zugelassen (Art. 45 Abs. 1 S. 3). Nicht zugelassene Nebenangebote sind auszuschließen bzw. ein Zuschlag darf auf sie nicht ergehen (§ 16 EU Nr. 5 1. Alt. VOB/A, Art. 56 Abs. 1 lit a) EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU).

Nach Ansicht der VK Bund spricht der Wortlaut der Normen auch gegen eine nachträgliche Zulassung von Nebenangeboten (etwa durch die Beantwortung der Bieterfrage!).

Im Vergabeverfahren sind die Gebote der Gleichbehandlung und Transparenz für die Bieter in jedem Fall zu beachten. Die Vergabeunterlagen müssen daher alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, genau und eindeutig enthalten. Hierzu gehören auch die Regeln zur Bekanntmachung der Zulassung von Nebenangeboten.

Der Zuschlag darf aber trotzdem nicht auf das bestplatzierte Hauptangebot des konkurrierenden Bieters ergehen. Schon die bloße Nichtberücksichtigung von eingereichten Nebenangeboten im Rahmen der Wertung ist vergaberechtswidrig. Das Vergabeverfahren muss bei fortbestehender Vergabeabsicht des Auftraggebers zwingend zurückversetzt werden. Denn die Gesamtheit der Vergabeunterlagen war zur Zulassung von Nebenangeboten widersprüchlich. Die Bieter waren aufgrund einer Vielzahl von Angaben – trotz gegenteiliger Angabe in der Bekanntmachung – zur Annahme verleitet, dass Nebenangebote dennoch zugelassen seien. Tatsächlich hatte auch die Hälfte aller Bieter ein Nebenangebot eingereicht.

Außerdem ist davon auszugehen, dass die Hauptangebote unter Berücksichtigung der Erwartung erstellt wurden, dass auch Nebenangebote zulässig waren. Denn es kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass die Zulassung eines Nebenangebots maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung des Hauptangebotes ausgeübt hat, weil die Möglichkeit, Nebenangebote einzureichen, Bietern einen auf mehrere Angebote gestützten Wettbewerbsbeitrag eröffnet, der typischerweise aufeinander abgestimmt wird (vgl. zuletzt VK Südbayern, Beschl. v. 17.03.2020, Z3-3-3194-1-47-11/19 m.w.N.). Die Widersprüchlichkeit der Vergabeunterlagen und der hiermit erzeugte Einfluss auf die Hauptangebote kann nur durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens beseitigt werden,– mindestens in den Stand vor Abgabe der Hauptangebote.

3. Praxishinweise

Die Antragstellerin ist zwar mit ihrem Begehren – Wertung ihres Nebenangebots – bisher nicht durchgedrungen. Aber der Auftraggeber muss das Vergabeverfahren mindestens in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückversetzen. Ein Auftraggeber kann sich insofern auch dazu entscheiden, eine neue Bekanntmachungen zu veröffentlichen und hierbei Nebenangebote zuzulassen. Durch diesen Weg können Nebenangebote letztlich doch gewertet und bezuschlagt werden. Sämtliche Angebote sind indes neu einzureichen.

Zur Hilfe kam der Antragstellerin hier die Erwägung, dass die Rechtsprechung im Allgemeinen davon ausgeht, dass nicht nur die Nebenangebote inhaltlichen Bezug zum Hauptangebot haben, sondern umgekehrt Bieter auch in der Gestaltung und Kalkulation von Hauptangeboten berücksichtigen, dass es ein (alternatives) Nebenangebot gibt. Dies war der Antragstellerin hier wohl selbst nicht bewusst. Vorgetragen hatte sie dies nicht.

Zur Zulassung von Nebenangeboten beschränkte sich die Vergabekammer im hiesigen Fall schlicht auf den Wortlaut von § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 1, 2 VOB/A. Es erscheint aber nicht zwingend, die als maßgeblich angelegte grammatische Auslegung auf die herangezogenen Passagen zu verkürzen. Die von der Vergabekammer unterstellte strikte Trennung zwischen den (hier vermeintlich irrelevanten) Vergabeunterlagen und der (einzig maßgeblichen) Auftragsbekanntmachung, die sich letztlich einzig auf den Begriff der „Auftragsbekanntmachung“ bzw. „Aufforderung zur Interessensbestätigung“ in § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 1 VOB/A stützen kann, muss sowohl rechtlich als auch mit Blick auf das Verständnis in der Praxis hinterfragt werden.

Bereits der Folgesatz (§ 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A) spricht nur vom Fehlen einer „entsprechenden Angabe“ und erfordert – insofern streng nach Wortlaut – gar keinen derart engen begrifflichen Fokus. Insofern wäre zumindest der Regelungszusammenhang zu betrachten. Der Verordnungsgeber hat selbst Verbindungen zwischen Bekanntmachung und Vergabeunterlagen gezogen, u.a. sämtliche Vorgaben unter die gemeinsame Überschrift „Vergabeunterlagen“ gestellt und innerhalb von § 8 EU VOB/A wird zwischen Bekanntmachung und Vergabeunterlagen gewechselt. Dies findet sich auch in weitere Vorschriften, etwa in § 12a EU Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Nr. 3 S. 2 VOB/A oder auch § 12a EU Abs. 1 Nr. 3 S. 3 VOB/A. Verlässt man also den strengen Fokus auf den isolierten Begriff der „Auftragsbekanntmachung“, der in der Regelung zum Ausschluss nicht zugelassener Nebenangebote (§ 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A) immerhin gerade nicht wörtlich genannt ist, verliert das Argument der von der Vergabekammer zur Wortlautgrenze erheblich an Wirkung. Selbst in der Argumentation der Vergabekammer und rein grammatischer Auslegung führt ein nur geringfügig weiterer Blick schon zu einem anderen Ergebnis. Eine Auslegung nach Historie (z.B. die EU-Vergaberichtlinie), nach Systematik bzw. Sinn und Zweck ließen zudem ebenfalls ein deutlich differenzierteres Bild zeichnen. Damit wäre zumindest Spielraum eröffnet, die unstreitig stark widersprüchlichen Angaben des Auftraggebers zu bewerten.

Der Weg der Vergabekammer ist vor diesem Hintergrund rechtlich nicht so eindeutig, wie es der Beschluss darstellt. Dies insbesondere dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass der Auftraggeber gezielt Vorgaben für Nebenangebote formuliert und veröffentlicht hat, die Bieter diese Vorgaben zwangsläufig zur Kenntnis nehmen mussten, per Bieterfrage die Zulässigkeit von Nebenangeboten formell bejaht wurde und sodann auch eine Vielzahl von Bietern die Vergabeunterlagen gleichermaßen in diesem Sinne verstanden haben. Wenn die Beteiligten die Ausschreibung weitgehend einheitlich so verstanden haben, dass Nebenangebote zugelassen waren, ist zumindest zu diskutieren, ob dies nicht doch hinreichende Grundlage für eine „entsprechende Angabe“ des Auftraggebers iSd. § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A bietet.

Die Rückversetzung dürfte für die Beteiligten auf eine Wiederholung des Aufwandes für die Angebotsphase hinauslaufen, einzig damit der Auftraggeber ein in der EU-Bekanntmachung (vermutlich sogar schlicht irrtümlich) gesetztes Formularhäkchen korrigieren kann. Immerhin ging er (spätestens mit Beantwortung der Bieterfrage) selbst davon aus, Nebenangebote zugelassen zu haben. Wenn aber letztlich nur noch die formalistische Einhaltung einheitlicher EU-Standards durchzusetzen ist, darf zurecht gefragt werden, ob dies in jedem Fall den damit verbundenen Aufwand für alle Beteiligten rechtfertigt.

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