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Entweder ganz oder gar nicht: Auch ein unvollständig ausgefülltes Formblatt fehlt

Die Vorlage eines unvollständig ausgefüllten Formblatts steht rechtlich nach der VK Bund (Beschluss vom 25.05.2020 - VK 1-24/20) der Nichtvorlage gleich.

Sachverhalt

Die Vergabestelle führte ein offenes Verfahren zur Vergabe von Bauleistungen durch. Der Angebotsaufforderung lag u.a. die Leistungsbeschreibung und das Formblatt 223 VHB bei. Letztes war "ausgefüllt auf gesondertes Verlangen" der Vergabestelle einzureichen. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Angebot des Bieters A lag auf dem ersten Platz. Die Vergabestelle forderte von A die Vorlage des Formblatts VHB 223 "Aufgliederung der Einheitspreise" nach. Dieser legte ein eigenes Formblatt vor, das er nicht vollständig ausgefüllt hat. Die Vergabestelle verlangte im Rahmen der Aufklärung um zusätzliche Erläuterung, warum er in einigen Positionen keine Lohnkosten eingetragen habe. Dies erklärte A nicht ausreichend. Nach Ausschluss seines Angebots leitete er ein Nachprüfungsverfahren ein.

Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag bleibt erfolglos; mit nachfolgenden Begründungen der VK Bund. Das Angebot des Bieters A ist gemäß § 16 EU Nr. 4 VOB/A auszuschließen, weil er das Formblatt 223 VHB nicht vollständig ausgefüllt vorgelegt hat. Beim Formblatt 223 VHB, in dem der Bieter in Tabellenform seine Einheitspreise nach bestimmten Kriterien aufgliedern soll, handelt es sich um eine Erklärung, dessen "Vorlage sich der öffentliche Auftraggeber vorbehalten hat", weil die Vergabestelle festgelegt hat, dieses Formblatt gesondert anzufordern, also den Zuschlag nur nach Vorlage und Prüfung dieses Formblattes zu erteilen. Ein Auftraggeber ist gemäß §§ 16 EU bis 16d EU VOB/A verpflichtet, zumindest dasjenige Angebot, auf das er den Zuschlag erteilen will, in mehreren Schritten zu werten. Einer dieser Schritte ist die Prüfung der Angemessenheit des Angebotspreises, die sich nicht aufgrund des Preisabstands zwischen dem niedrigsten zum nächstteureren Angebot entscheidet, sondern nach dem Preis-Leistungsverhältnis des betreffenden Angebots (vgl. nur § 16d EU Abs. 2 Nr. 1 VOB/A, § 60 Abs. 1 VgV, Art. 69 Abs. 1 RL 2014/24/EU). Da das Angebot des Bieters A von allen eingereichten den niedrigsten Preis hatte und der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist, kam dieses Angebot in der Angebotswertung in die engere Wahl, so dass eine Prüfung des Preises (jedenfalls) des Angebots des Bieters A angezeigt war. Im Vergaberecht ausdrücklich erwähnt und daher nicht zu beanstanden ist es, wenn ein öffentlicher Auftraggeber vom Bieter eine nähere Aufschlüsselung der Preisermittlung und nähere Ausführungen zu seinen Kosten verlangt (s. § 16d Abs. 1 Nr. 2 VOB/A: "Unterlagen über die Preisermittlung", § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A: "Einsicht in die (...) Preisermittlungen (Kalkulationen)", § 60 Abs. 2 VgV, Art. 69 Abs. 2 RL 2014/24/EU). Denn nicht nur der Gesamtpreis eines Angebots ist wertungsrelevant, sondern auch seine Kalkulation, allein schon weil letztere Aufschluss darüber geben kann, ob das Angebot des Bieters kostendeckend ist.

Der Bieter A hat das von der Vergabestelle geforderte Formblatt nicht vorgelegt i.S.d. § 16 EU Nr. 4 VOB/A, weil er zahlreiche Spalten überhaupt nicht ausgefüllt hat. Hierbei braucht nicht entschieden zu werden, ob der Bieter A bereits deshalb auszuschließen ist, weil er auf die Anforderung der Vergabestelle, das Formblatt 223 VHB, das die Vergabestelle als Blanko-Muster den Vergabeunterlagen beigefügt hatte, vorzulegen, nicht dieses Formblatt, sondern eine von ihm selbst erstellte Aufgliederung der Einheitspreise vorgelegt hatte, die ebenfalls mit "223" überschrieben war.

Im Wesentlichen stimmt die Tabelle des Bieters A mit dem Formblatt 223 VHB überein. Selbst diese hat Bieter A indes nicht vollständig ausgefüllt. Allein die körperliche Vorlage des Formblatts beantwortet die eindeutige und berechtigte Aufforderung der Vergabestelle, die Kosten nach konkreten Kategorien (Zeitansatz, Löhne, Stoffe, Geräte, Sonstiges) aufzugliedern, nicht; die Vorlage einer unvollständigen Erklärung ist daher rechtlich ebenso zu behandeln, also wenn diese Erklärung schon rein körperlich überhaupt nicht vorgelegt wurde. So verhält es sich auch hier. Denn in zahlreichen Leistungspositionen hat der Bieter A nicht einmal im von ihm selbst entworfenen Formblatt Lohnkosten eingetragen, obwohl nach der Leistungsbeschreibung unzweifelhaft Arbeitsleistungen anfallen. Er  hat stattdessen die betreffende Spalte "Lohn" in einer Vielzahl von Positionen gar nicht ausgefüllt, was aus maßgeblicher Sicht eines objektiven Empfängers (vgl. §§ 133, 157 BGB) so verstanden werden kann, dass bei diesen Positionen keine Lohnkosten anfallen.  

Zusätzlich ist das Angebot des Bieters A gemäß § 15 EU Abs. 2 VOB/A auszuschließen, da er das Aufklärungsverlangen nicht vollständig beantwortet hat. Da die Antworten des Bieters A im Ergebnis nicht für die Aufklärung verwendbar waren, warum er in bestimmten Positionen kalkulatorisch keine Lohnkosten angesetzt hat, obwohl nicht nur Liefer-, sondern auch lohnpflichtige Arbeitsleistungen zu erbringen sind, sind die Antworten rechtlich so zu behandeln, als wenn der Bieter A die geforderten Aufklärungen und Angaben insgesamt verweigert oder die ihm zur Aufklärung gesetzte Frist unbeantwortet hätte verstreichen lassen. Zwar darf ein öffentlicher Auftraggeber fehlende Erklärungen, die nicht bereits mit dem Angebot vorzulegen waren, sondern deren spätere Vorlage er sich wie hier im Falle des Formblattes 223 VHB vorbehalten hat, gemäß § 16a EU Abs. 1 S. 2 VOB/A nicht noch einmal nachfordern. Erlaubt, wenn nicht sogar geboten, ist es jedoch, ein Angebot vor seinem Ausschluss weiter aufzuklären. D.h. die Vergabestelle hat dem Bieter A zu Recht gebeten, seine Preiskalkulation und damit gleichzeitig seine bisherigen Angaben im Formblatt 223 noch einmal zu erläutern. Doch auch das Ergebnis dieser Aufklärungen führt hier nicht dazu, dass das Angebot wegen des unvollständigen Formblatts 223 nicht auszuschließen ist.

Auswirkungen auf die Praxis

Damit ist (erneut) klar: Der Ausschluss eines Angebots gilt bei einer fehlenden Unterlage genauso wie bei einer nicht vollständigen Unterlage. Übrigens wäre die Vorlage eines nicht geforderten Formblatts (wohl) bereits für sich ein Ausschlussgrund (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.09.2018, Verg 32/18).

Autor

Bastian Haverland

Bastian Haverland

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