News | Newsletter | Neues zum Baurecht 04/2018
Das Ende des Grundsatzes "guter Preis bleibt guter Preis und schlechter Preis bleibt schlechter Preis"?!
KG, Urteil vom 10.07.2018 - 21 U 30/17 (nicht rechtskräftig)
Das Kammergericht Berlin (nachfolgend KG) hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der klagende Generalunternehmer (nachfolgend GU) Restvergütung aus einem VOB/B-Vertrag wegen zusätzlicher Leistungen geltend macht.
Die Auftraggeber (nachfolgend AG) beauftragten den GU zu einer Pauschalvergütung in Höhe von netto EUR 84.033,61 mit der Sanierung eines Wohnhauses. Die Leistungen wurden am 13.10.2010 von den AG abgenommen. Unter dem 28.04.2011 legte der GU die Schlussrechnung. Mit dieser Rechnung begehrt er die vertraglich vereinbarte Pauschalvergütung sowie weitere netto EUR 32.742,95 für zusätzlich erbrachte Leistungen. Abzüglich der erhaltenen Zahlungen und eines Mängeleinbehalts von 5 % ermittelte er eine offene Vergütung von brutto EUR 46.773,40. Diese macht der GU klageweise geltend. Das erstinstanzlich befasste Landgericht Berlin gab der Klage lediglich in einer Höhe von EUR 7.787,29 zzgl. Zinsen statt, da dem GU über die Pauschalvergütung hinaus keine weitere Vergütung zustehe. Hiergegen wendet sich der GU mit seiner Berufung.
Entscheidung
Teilweise mit Erfolg! Das KG spricht dem GU einen Vergütungsanspruch in Höhe von EUR 17.098,59 zu. Das KG ist der Ansicht, dass dem Kläger nach Auslegung des Vertrages und der von den Parteien vor und bei Vertragsschluss abgegebenen Erklärungen ein Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B für die änderungsbedingten Mehrkosten zustehe. Für die Berechnung der dem Kläger zustehenden Mehrvergütung gelte Folgendes:
„Ausgangspunkt sind nach § 2 Abs. 5 VOB/B somit die Mehrkosten (im Folgenden auch: "Kosten M" oder "M"), die dem Unternehmer durch die Leistungsänderung entstehen. Sie sind zu ermitteln durch einen Vergleich der Kosten, die dem Unternehmer bei Ausführung der ursprünglich vereinbarten Leistungen entstanden wären (im Folgenden auch: "Kosten alt", "Kosten A" oder "A") mit den Kosten, die ihm durch die Leistungsänderung entstehen (im Folgenden auch: "Kosten neu", "Kosten N" oder "N").
Es gilt also: M = N - A
Bei den Kosten N handelt es sich um diejenigen Kosten, die dem Unternehmer tatsächlich aufgrund der Leistungsänderung entstanden sind, bei den Kosten A um diejenigen, die dem Unternehmer tatsächlich entstanden wären, wenn die Leistung nicht geändert worden wäre.“
Die Kalkulation der ursprünglich vereinbarten Vergütung habe für die Preisermittlung nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B nur die Bedeutung eines Hilfsmittels. Wenn die Kalkulation die tatsächlichen Kosten des Unternehmers nicht zutreffend wiedergebe oder hierüber Streit zwischen den Parteien bestünde, so komme es für die Ermittlung der Mehrkosten nach der Formel M = N - A nicht auf die kalkulierten, sondern die tatsächlichen Kosten an. Grund hierfür sei, dass nachträgliche Leistungsänderungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in der Regel nicht antizipiert werden, so dass der Kalkulation regelmäßig nichts entnommen werden könne. In der Konsequenz können die Kosten N nicht der Kalkulation des Vertragspreises entnommen werden.
Nach Ermittlung der tatsächlichen Mehrkosten ist die Berechnung des Mehrvergütungsanspruchs nach Ansicht des KG noch nicht abgeschlossen. Insbesondere wenn die Vergütung des Unternehmers, auf die sich die Parteien des Bauvertrags geeinigt haben, über die Kostendeckung hinaus einen weiteren Betrag enthält, den der Unternehmer zur Deckung seiner Allgemeinen Geschäftskosten und seines Gewinns verwenden kann, sei ein entsprechender Zuschlag auch beim Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B gerechtfertigt. Denn in diesem spiegle sich das Verhandlungsergebnis wieder, das zu dem Vertrag geführt habe und das dem Unternehmer auch bei Leistungsänderungen erhalten bleiben solle.
Nach Ansicht des KG gilt dieses Prinzip auch in dem Fall, in dem der Unternehmer seine Preise nicht auskömmlich kalkuliert hat. So stehe dem Unternehmer gemäß § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B im Falle einer Leistungsänderung immer – auch bei einer Unterkalkulation – ein Mehrvergütungsanspruch zu, der sich auf seine Mehrkosten zuzüglich eines angemessenen Zuschlags zur Deckung seiner Allgemeinen Geschäftskosten und seines Gewinns belaufe. Denn der Unternehmer werde gemäß § 1 Abs. 3 VOB/B dazu verpflichtet, geänderte Leistungen auszuführen, die nicht beauftragt waren. In der Konsequenz müssten ihm zumindest die dadurch entstandenen Kosten als Mehrvergütung erstattet werden. Der Senat resümiert:
„Die zur Rechtfertigung der Fortschreibung nicht auskömmlicher Preise mitunter herangezogene Formel "guter Preis bleibt guter Preis, schlechter Preis bleibt schlechter Preis" gibt deshalb in ihrem zweiten Halbsatz nach der Auffassung des Senats die Rechtslage nach der VOB/B nicht zutreffend wieder.“
Fazit
Das Urteil ist zu begrüßen. Es schließt sich der seit langem von der Verfasserin vertretenen Auffassung an (siehe nur BauR 2012, 380 ff.), wonach der Unternehmer nicht verpflichtet sein kann, unterdeckte Preise für geänderte oder zusätzliche Leistungen fortzuschreiben, sondern die tatsächlich entstehenden Mehrkosten beanspruchen kann, denen im Falle der Leistungsänderung die tatsächlich ersparten Minderkosten gegenüberzustellen sind. Auch das Urteil des BGH vom 14.03.2013 - VII ZR 142/12 ist in dem vom KG entschiedenen Sinn zu lesen, wenn dort ausgeführt wird, dass bei der Ermittlung der Vergütung im Falle einer geänderten Leistung eine Gesamtschau erfolgen müsse, mit der sichergestellt wird, dass der Auftragnehmer durch die Leistungsänderung keine Nachteile in Kauf nehmen muss. So sei es allgemein anerkannt, dass dem Auftragnehmer jedenfalls die Deckungsbeiträge für den Gewinn aus dem ursprünglich geschlossenen Vertrag erhalten bleiben müssen. Schon dies verbietet es, nicht auskömmlich kalkulierte Preise für Leistungsmodifikationen fortzuschreiben. Denn hierdurch würde der sich im Falle der Abwicklung des Hauptvertrages ohne Leistungsmodifikationen ergebende Gewinn abgeschmolzen.
Das Kammergericht hat die Revision zum Bundesgerichtshof ausdrücklich zugelassen. Man darf daher gespannt sein, ob der BGH der Fortschreibung unterkalkulierter Preise endlich eine Absage erteilt.
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