Section-Image

News aus der LP-Welt

Pressemeldungen, Auszeichnungen, Veröffentlichungen, Seminare - wir halten Sie informiert

Keine Pflicht zur Bedenkenanzeige bei allgemein bekannten Risiken!

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 20.07.2015 – 6 U 7/14 (BGH, Beschluss vom 17.05.2017 – VII ZR 198/15 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen))

Bedenkenhinweise sind umso weniger geboten, wie der Auftragnehmer darauf vertrauen darf, dass entsprechendes Wissen auf Seiten des Auftraggebers vorausgesetzt werden kann!

Gegenstand des Bauauftrags waren u. a. Beschichtungsarbeiten an einem Flugzeughangar. Zum Einfahren in den Hangar wurden verschiebbare Rolltore eingebaut, die zum Öffnen der Halle jeweils zurückgeschoben werden. Die Rolltore liefen auf in den Beton eingefassten Stahlschienen. Die Klägerin, eine Fachfirma für Beschichtungsarbeiten, sollte den Beton im Bereich der Rolltore abfräsen und anschließend eine Beschichtung in diesem Bereich aufbringen. Mit den Betonarbeiten und dem Einbau der Stahlschienen war die Klägerin nicht beauftragt. Ein halbes Jahr nach Ausführung der Arbeiten rügte die Beklagte die Anhebung der Beschichtung im Bereich des Torbalkens sowie den Abriss im Betongefüge. Ein Sachverständiger stellte fest, dass die Ursache in der höheren Wärmeleitfähigkeit von Stahl gegenüber Beton begründet liegt. Die Beklagte forderte die Klägerin zur Mangelbeseitigung auf, die die Klägerin mit der Begründung ablehnte, der gerügte Mangel falle nicht in ihren Verantwortungsbereich. Die Beklagte stellte daraufhin die Zahlung des restlichen Werklohns ein, weshalb die Klägerin auf Restwerklohnzahlung klagte.

Zu Recht! Der Klägerin steht der klageweise geltend gemachte restliche Werklohnanspruch zu. Zwar fehlt der erbrachten Werkleistung die vertraglich vorausgesetzte Funktionstauglichkeit, da sich die aufgebrachte Beschichtung im Bereich der Torschienen ablöst. Trotz nicht geäußerter Bedenken gegen die Ausführung hat das Gericht aber die Schadensursache maßgeblich der Beklagten selbst zugerechnet. Denn die Beklagte hat nicht nur die Planung für die von der Klägerin auszuführenden Beschichtungsarbeiten vorgegeben, sondern auch die Planung der den Beschichtungsarbeiten vorangegangenen Torlaufschienen- und Betonarbeiten, die jeweils von über Spezialwissen in ihrem Fachbereich verfügenden Vorunternehmen ausgeführt wurden. Hinweise sind umso weniger geboten, wie die Klägerin nach den Umständen darauf vertrauen darf, dass entsprechendes Wissen auf Seiten der Beklagten vorausgesetzt werden kann. Bei der vom Sachverständigen festgestellten Ursächlichkeit für die Mängel, einem unterschiedlichen Temperaturausdehnungsverhalten der verwendeten Materialien, handele es sich um Grundwissen der Physik, das in der Technik allgemein bekannt sein dürfte. Die Klägerin, die unstreitig über Fachwissen bei Beschichtungsarbeiten verfügt, hat ihre Leistungen entsprechend den Vorgaben der Beklagten – auch was die Vorarbeiten betrifft – erbracht. Dabei war ihr bekannt, dass auch auf Seiten der Beklagten weitere Fachfirmen mit Spezialwissen tätig waren, insbesondere was die Konstruktion der Torlaufschienen in Verbindung mit dem Vergussbeton betraf. Daher muss aus verständiger Sicht der Klägerin ein Wissen der vom Sachverständigen angeführten Grundkenntnisse zum Temperaturverhalten erst Recht bei den Spezialisten der Vorarbeit vorausgesetzt werden. Handelt es sich, wie vorliegend, um einen Verstoß gegen allgemeines Grundwissen zu physikalischen Eigenschaften verschiedener Materialien, bestand für die Klägerin kein Anlass, Prüfungen vorzunehmen bzw. Bedenken anzumelden. Sie konnte vielmehr darauf vertrauen, dass im Rahmen der Planung wie auch Durchführung der Vorarbeiten allgemein geläufige wissenschaftliche Vorgaben beachtet worden waren; insbesondere war es nicht ihre Aufgabe, sich zu vergewissern, ob alternative Wege zur Überbrückung dieser Spannungen gewählt worden waren.

Fazit:

Eine weitere interessante Entscheidung zur Reichweite der Prüfungs- und Hinweispflicht nach § 4 Abs. 3 VOB/B. Die Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers ist eine der wichtigsten Regelungen der VOB/B, da ihre konsequente Berücksichtigung auf Seiten des Auftragnehmers vielfach die Entstehung von Mängeln und/oder die Haftung für entstandene Mängel vermeiden könnte. Entsprechend darf diese Pflicht des Auftragnehmers auch nicht bagatellisiert werden (vgl. Kniffka-Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Auflage, 6. Teil, Rn. 46 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 24.02.2005, VII ZR 328/03). Ob, wie im vorliegenden Fall vom OLG Zweibrücken angenommen, alleine der Bezug auf „Grundwissen der Physik“ des Auftraggebers bzw. des von diesem eingeschalteten Fachmanns ausreicht, um einen Auftragnehmer von seiner Prüfungs- und Hinweispflicht zu befreien, erscheint mutig. Dies dürfte – wieder einmal – vom konkreten Einzelfall abhängig sein.

Die Anforderungen an die Prüfungs- und Hinweispflicht von Auftragnehmern richten sich stets nach dem Einzelfall und seinen Besonderheiten, je kompetenter jedoch der Auftraggeber ist, desto geringer sollen die Anforderungen an die Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers sein. Nichtsdestotrotz sind Auftragnehmer gut beraten, Bedenken lieber einmal zu oft als einmal zu wenig anzuzeigen, um sich tatsächlich vor einer Mängelhaftung schützen zu können.

Weitere Artikel dieser Ausgabe

  • Dr. Amneh Abu Saris: Keine Haftung des Bauträgers für Verwaltungskosten bei unwirksamer Abnahmeklausel!

     

  • Eva Hildebrandt-Bouchon, M.A.: Rückgabezeitpunkt der Vertragserfüllungsbürgschaft darf nicht an die Mängelbeseitigung gekoppelt sein

     

  • Julia Barnstedt: Ein fehlendes gemeinsames Aufmaß führt nicht dazu, dass der Auftragnehmer keine Werklohnforderung mehr geltend machen kann oder diese zumindest nicht fällig ist.

     

  • Architekten- und Ingenieurvertrag oder Projektsteuerung, Dienst- oder Werkvertrag? Neue Rechtsunsicherheiten in der Vertragsgestaltung

     

  • Dr. Eva-D. Leinemann, LL.M., Notarin in : Harte Strafklauseln in Gemeinschaftsordnungen stehen der Eintragungsfähigkeit ins Grundbuch nicht entgegen

     

  • AGK-Zuschlag auch für Mehrmengen über 110%!

     

  • Dr. Thomas Hildebrandt: Keine Insolvenzanfechtung bei Durchsetzung unbestrittener Ansprüche